
Er hat die Kantonsverwaltung digitalisiert: «Informatik, das war mein Leben»
«Schön und gut, was Sie uns da installiert haben, aber in einem Jahr ist der ganze Zauber wieder draussen.» Kurt Müller muss noch heute lachen, wenn er erzählt, was er 1967, also vor 58 Jahren, von einem Beamten der Aargauer Fremdenpolizei (heute Migrationsamt) zu hören bekam. Er hatte dort eben ein Computersystem für die Kontrolle ausländischer Arbeitskräfte («Fremdarbeiter» sagte man damals noch) in Betrieb gesetzt.
Doch der Beamte lag völlig falsch. Der «ganze Zauber» verschwand überhaupt nicht – ganz im Gegenteil. Schritt für Schritt wurden in der Folge beim Kanton leistungsfähige Informatiksysteme eingeführt. Und heute scheint es fast unglaublich, dass die Staatsverwaltung einst ohne digitale Unterstützung überhaupt funktionieren konnte.
Kurt Müller, der heute Mittwoch in Oberentfelden seinen 90. Geburtstag feiert, hat die Entwicklung der Informatik im Aargau entscheidend mitgeprägt – er galt als «Mr. Informatik» des Kantons. 1963 wurde der gebürtige Baselbieter vom damaligen Chef der Finanzverwaltung und späteren FDP-Ständerat Hans Letsch als erster und mehrere Jahre einziger Informatiker beim Kanton Aargau angestellt und ging 1998 als Chef der Abteilung Informatik mit rund sechzig Mitarbeitenden in Pension.
Andere Kantone übernahmen Aargauer Lösungen
Zu Beginn seiner Tätigkeit beim Kanton entwickelte er noch selbst Applikationen: «Ich habe Hunderte von Programmen geschrieben», erinnert er sich. Später erlaubten ihm dies die Leitungsaufgaben der rasch wachsenden Abteilung Informatik nicht mehr.
In Kurt Müllers Berufsleben trugen die Meilensteine Anschriften in Grossbuchstaben. PIS, APACO, RAPAL und VIACAR sind nur einige der vielen Informatikprojekte, die er geleitet oder begleitet hat. Oft handelte es sich dabei um Schweizer Premieren, die den Ruf des Aargaus als führender, innovativer Kanton in der Informatik begründeten. Andere Kantone übernahmen gegen gutes Geld oft im Aargau entwickelte Lösungen. Ob Steuerrechnungen oder Fahrzeugausweise, ob Spitaladministration oder Lehrstellennachweis – es gab kaum einen Bereich staatlicher Tätigkeit, in dem Kurt Müller informatikseitig nicht beteiligt war.
Dass Informatikprojekte beim Bund oder bei Kantonen heute finanziell und/oder terminlich teils massiv aus dem Ruder laufen, ist in den letzten Jahren schon fast zur Regel geworden. In Kurt Müllers Stimme schwingt durchaus etwas Stolz mit, wenn er sagt: «Das gab es bei uns nie.» Er verfolge die Entwicklung mit Interesse, und seine Analyse aufgrund seiner Erfahrung ist klar: «Da wird meist viel zu viel an Anforderungen hineingepackt, und während des Projekts gibt es zu viele Änderungen. Das ist ein Rezept dafür, dass es in die Hosen geht.»
Noch immer jeden Tag am Computer
Der gelernte Maschinenschlosser Müller kam 1957 bei der Schweizer Niederlassung einer US-Computerfirma mit der Welt der Datenverarbeitung in Kontakt, das Thema packte ihn, und er bilanziert heute: «Informatik, das war mein Leben.» Der technische Fortschritt, den er miterlebt hat, ist nichts anderes als atemberaubend. Ein Beispiel: «Um einen Buchstaben oder eine Zahl zu speichern (1 Byte), brauchte es in einem Rechner vier elektromechanische Relais», erinnert er sich.
Heute gehört ein Speicherchip mit einer Kapazität von einer Billion Bytes (eine Zahl mit zwölf Nullen) schon fast zur Grundausrüstung selbst eines günstigen PC. «Der wichtigste Treiber der Entwicklung in der Informatik ist immer noch die Speicherkapazität», ist Kurt Müller überzeugt und verweist auf die künstliche Intelligenz, deren Anwendungen in den Rechenzentren riesige Datenspeicher erfordern.
In einem Interview anlässlich seiner Pensionierung bekannte der abtretende «Mr. Informatik» des Kantons Aargau: «Die Geister, die ich rief, wurde ich nicht mehr los.» Das gilt auch nach 27 Jahren Ruhestand. Ist er nicht mit seinem Hund unterwegs, so ist er nach eigenem Bekunden noch «jeden Tag am Computer». Und sollte einmal etwas nicht funktionieren, kann der Aargauer Informatikpionier auf innerfamiliäre Unterstützung zählen.