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Chaos im Rüstungsbetrieb: Finanzkontrolle übt scharfe Kritik an Ruag-Konzernspitze

Im Fall der 96 in Italien eingemotteten Panzer lief alles schief, was schieflaufen konnte. Zu diesem Schluss kommen die Finanzprüfer des Bundes. Vernichtend fällt die Kritik an der Konzernspitze aus.

Welche Rolle spielte Verteidigungsministerin Viola Amherd? Das ist eine der zentralen Fragen beim umstrittenen, aber letztlich gescheiterten Panzer-Deal, den die Ruag mit dem deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall Anfang 2023 einzufädeln versuchte. Bislang war die Botschaft klar: Die Mitte-Bundesrätin war nicht beteiligt am Deal, der offensichtlich im Widerspruch zur restriktiven Waffenexport-Politik des Gesamtbundesrats stand.

Nun zeigt ein am Dienstag publizierter Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle: Hätte Amherd wirklich gewollt, hätte sie intervenieren können. Das Generalsekretariat des Verteidigungsdepartements war bereits rund einen Monat vor dem Vertragsabschluss im Bild. «Bei Bedenken hätte das Geschäft jederzeit vor Vertragsunterschrift gestoppt werden können», schreiben die Prüfer.

Doch die Brisanz wurde offenbar nicht erkannt, als der damalige VBS-Generalsekretär Toni Eder am 19. Januar 2023 von der Ruag über die Kaufanfrage aus Deutschland informiert wurde. Am Tag darauf antwortete er Konzernchefin Brigitte Beck lapidar, aus Sicht des Eigners – also des Bundes – spreche nichts gegen dieses Geschäft. Allerdings müsse der formelle Entscheid des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) – zuständig für Exporte von Kriegsmaterial – abgewartet werden.

Blackbox Panzerlager

Dazu muss man wissen: Die 96 Kampfpanzer des Typs Leopard 1, die in Italien eingemottet sind, wollte Rheinmetall in Deutschland aufmöbeln und anschliessend in die Ukraine liefern. Damit wäre Schweizer Kriegsmaterial direkt im Kriegsgebiet gelandet. Es ist deshalb wenig überraschend, dass der Bundesrat im Juni 2023 den Handel mit Verweis auf die Neutralität untersagte und der Vertrag hinfällig wurde. Auch nährt der Bericht den Verdacht, dass die zurückgetretene Ruag-Chefin Beck am Ende über diesen Deal gestolpert ist.

Das VBS hätte aber auch aus einem anderen Grund hellhörig werden sollen. Bis zu Becks Mail im Januar 2023 wusste das Departement nach eigenen Angaben gar nichts von der Existenz der Panzer in Italien. Das zuständige Departement war also sieben Jahre lang nicht darüber informiert, dass die Ruag bei der Servicefirma Goriziane im ostitalienischen Villesse alte Panzer lagerte.

Der Bericht der EFK zum Leo-1-Schlamassel hat Konsequenzen: Ruag-Präsident Nicolas Perrin gibt seinen Job ab. Diplomatisch heisst es im Communiqué, der Rücktritt erfolge «obwohl aus dem Bericht der EFK keine zwingenden Gründe für diesen Schritt hervorgehen.» Doch die Geschäfte im Zusammenhang mit den Leo 1 hätten eine Tragweite erreicht, die für die Ruag zunehmend zur Belastung würden. Wann Perrin den Posten abgibt, ist noch offen. Die Übergabe erfolge in Absprache mit dem Bund. Perrin übernahm 2020 die Leitung der Ruag MRO Holding – die entstand nach der Aufteilung des Ruag-Konzerns in zwei Einheiten. Die Ruag hält fest, dass das Leo-1-Geschäft eine «Altlast» sei. Wesentliche Aktivitäten hätten zwischen vor der Entflechtung des Ruag-Konzerns stattgefunden. Der EFK-Bericht müsse in diesem Kontext beurteilt werden. (dk)

Auch bei der Ruag hielt sich das Interesse in Grenzen, den Eigner über das Italien-Geschäft zu informieren. Obwohl sich die Geschäftsleitung und die Verwaltung wiederholt die Frage stellten, ob der Panzerbestand im Ausland überhaupt den Vorgaben des Eigners entspricht, informierten sie den Bund erst im zweiten Quartalsreporting 2021. Das, nachdem der Verdacht aufgekommen war, dass das Lager gewisse Risiken berge. Gemäss EFK empfahl die interne Revision der Ruag ein «Exit-Szenario» aus dem Geschäft. Warum das VBS erst im Januar 2023 im Bild gewesen sein soll, bleibt schleierhaft.

Liste der Versäumnisse ist lang

Das Beispiel steht symptomatisch für den Schlamassel im Umgang mit den Panzern. Die Liste der Versäumnisse, welche die Finanzprüfer im 25-seitigen Bericht der Ruag vorwerfen, ist lang und detailliert. Bereits der Kauf der Panzer und einer Menge Ersatzteile von der italienischen Agenzia italiana difesa (AID) im Jahr 2016 beinhaltete formelle Mängel. So hielt die Ruag die Kompetenz- und Unterschriftenregelung nicht ein. Auch fehlte eine formelle Genehmigung durch die Konzernleitung und den Verwaltungsrat. Eine weitere Sonderbarkeit: In der Bilanz wurden die Panzer mit null bewertet, obwohl die AID den individuellen Wert der Panzer auf 9000 bis 96’000 Euro schätzte.

Fragen wirft auch das Verhalten von Ruag Deutschland auf, das am Erlös des Ersatzteillagers beteiligt war. So unterschrieb die eigentlich nicht zuständige Tochterfirma 2021 ein Addendum zum Dienstleistungsvertrag mit Goriziane, auf dessen Gelände die Panzer lagerten. Darin verpflichtete sich Ruag Deutschland, rückwirkend den Betrag für die monatliche Lagermiete von 5000 auf 18’000 Euro zu erhöhen. Es sei «aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht nachvollziehbar», dass der Mietpreis rückwirkend mehr als verdreifacht wurde, so die EFK. Auch hier wäre eine Genehmigung durch die Geschäftsleitung notwendig gewesen.

Nicht viel neues fördert der Bericht zum Seilziehen zwischen der Ruag und Global Logistics Support (GLS) zutage. Die deutsche Logistikfirma hatte letzten August Anspruch auf 25 der 96 Panzer angemeldet. Sie habe diese 2019 der Ruag abgekauft. Die Ruag argumentierte, der Erwerb der Panzer sei in der Zwischenzeit rückabgewickelt worden. Weil die GLS die Fahrzeuge nicht in Italien abholte, überwies sie den Kaufpreis zurück.

Allerdings musste die Ruag im Dezember einen Rückschlag hinnehmen. Vor einem italienischen Gericht erwirkte GLS mittels superprovisorischer Verfügung die Herausgabe der 25 Panzer. Dagegen legte die Ruag erfolgreich Rechtsmittel ein. Das Verfahren ist weiterhin hängig. Eine erste Anhörung vor Gericht ist im Herbst vorgesehen.

Walliser Ruag-Manager vor Gericht

Es ist nicht das einzige Gerichtsverfahren. In Deutschland führt die Staatsanwaltschaft Verden ein Strafverfahren gegen fünf Personen wegen des Verdachts der Untreue, der Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr. Einer davon ist ein ehemaliger Ruag-Mitarbeiter aus dem Wallis. Über eine Firma in Deutschland, die zur Hälfte seiner Frau gehörte, sollen im November 2019 zwei Panzergetriebe «über fünf Stationen am gleichen Tag mit eklatanter Preissteigerung» veräussert worden sein. Das hatte der «Blick» gestützt auf interne Daten berichtet.

Was sagt der Bund zu all dem? Gemäss einer Stellungnahme im EFK-Bericht erwarten das zuständige Verteidigungs- und Finanzdepartement, dass die Ruag «offensichtliche Mängel» in Organisation, Abläufen und Geschäftstätigkeit umgehend bereinigt. «Die Eignerstellen sind irritiert, dass gemäss Einschätzung der EFK die Ruag MRO in ihrer Geschäftstätigkeit nicht die notwendige Sorgfalt an den Tag gelegt hat und so Mehrkosten entstanden sind.»

Bleibt die Frage, welche Schuld den Eigner selbst trifft. Das dürfte sich dann klären, wenn die Finanzkontrolle ihren zweiten Prüfbericht vorlegt. Darin geht es um die Rolle des Bundes.