
Viel Symbolik, wenig Substanz: Vier Jahre nach der Pflegeinitiative
Mit 61 Prozent Ja-Stimmen wurde die Pflegeinitiative im November 2021 deutlich angenommen. Sie verpflichtet den Bund, für eine qualitativ hochwertige Pflege zu sorgen und die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals zu verbessern. Doch passiert ist offenbar zu wenig, kritisieren die Gewerkschaften. Während Massnahmen zur Ausbildung eingeleitet wurden, bleibt die zweite Hälfte des Verfassungsauftrags – bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal, klare Regelungen – weitgehend unbearbeitet. So lautet die Botschaft der Pflegefachpersonen, die am Montag in der Region Aargau-Solothurn auf die Strasse gingen.
«Die Verfassungsänderung ist rechtsgültig und bindend», sagt Dariyusch Pour Mohsen vom VPOD Aargau/Solothurn. «Trotzdem fehlt bis heute ein Rahmengesetz, das zentrale Punkte wie Personalbemessung, Löhne oder Arbeitszeiten regelt.» Statt Lösungen gebe es politischen Leerlauf: Die Kantone verweisen auf den Bund, der Bund auf die Kantone.
Pflegealltag zwischen Erschöpfung und Ausstieg
Besonders in der Langzeitpflege scheint sich die Situation zuzuspitzen. Dort dominieren zunehmend standardisierte Abläufe und bürokratische Zwänge – zulasten der individuellen Betreuung. Gleichzeitig würden immer mehr private Anbieter in den Markt drängen, die nur nach maximalem Profit streben, kritisiert die Gewerkschaft Unia. Um eine menschenwürdige Pflege sicherzustellen, dürfe die Finanzierung aber nicht von Gewinnmaximierung bestimmt werden.
Die Folgen seien dramatisch, heisst es. Laut Studien steige fast jede zweite Pflegefachperson vorzeitig aus dem Beruf aus. Die Gründe: überlastete Dienste, ungenügende Vereinbarkeit mit dem Privatleben, schlechte Löhne. In der Langzeitpflege wird bis 2030 mit einem Mangel von bis zu 65’000 Fachpersonen gerechnet. Fabio Iseini von Syna warnt: «Pflege ist ein Schlüsselsektor. Wenn er nicht funktioniert, entstehen Folgekosten in Milliardenhöhe.»(phh)