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Steht uns der Blackout bevor? Regierungsrat Attiger: «Müssen uns auf Reduktionen einstellen» – Unternehmer Bertschi kritisiert Staat

Wie ist die Energiewende noch zu schaffen? Um diese brandaktuelle Frage drehte sich die Podiumsdiskussion im Stapferhaus Lenzburg, die im Rahmen der Ausstellung «Power Aargau» durchgeführt wurde. Die Einschätzungen von Politik und Wirtschaft gingen weit auseinander.
Moderatorin Karin Frei leitete die Podiumsdiskussion im Stapferhaus.
Claudio Thoma
Hans-Jörg Bertschi von der Bertschi Group zeigte sich enttäuscht von der Bundesregierung, die seit Jahren von der Energieknappheit wisse.
Claudio Thoma
Regierungsrat Stefan Attiger versuchte zu beruhigen. Der Bundesrat habe den Ernst der Lage erkannt und sei auf der Suche nach Lösungen.
Claudio Thoma
Thomas Vellacott, CEO von WWF Schweiz zeigte auf, dass das Feindbild der Umweltverbände als Bauverweigerer falsch sei.
Claudio Thoma
Gabriela Hug-Glanzmann, Professorin an der ETH Zürich, zeigte auf, warum die Zukunft klar der Solarenergie gehört. 
Claudio Thoma
Viele Voten aus dem Publikum bereicherten die Energie-Diskussion im Stapferhaus. 
Claudio Thoma
Monika Rühl, Vorsitzende der Geschäftsleitung bei economiesuisse, griff die Bundesregierung an. Sie sei «schlicht nicht in der Lage, in den Krisenmodus zu schalten.»
Claudio Thoma
In einem Punkt waren sich alle Rednerinnen und Redner einig: Es braucht grosse Anstrengungen, damit die Energiewende geschafft werden kann.
Claudio Thoma

«Die Aargauer scheinen ein zuversichtliches Volk zu sein», lacht Moderatorin Karin Frei, als sie die vielen erhobenen Hände im Saal zählt. Kurz zuvor hat sie das Publikum gefragt, wer glaube, dass die Energiewende noch zu schaffen sei. Die Frage ist brandaktuell. Schliesslich ist die Energieversorgung weltweit schon lange angespannt. Und mit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine droht auch der Schweiz eine Stromlücke im kommenden Winter.

Auch Regierungsrat Stefan Attiger weiss die Ängste nicht zu zerstreuen. In seiner Eröffnungsrede spricht er die Herausforderungen an, die anstehen, um die drohende Gefahr des Blackouts abzuwenden. «Alleine kann es die Schweiz nicht schaffen, eine autarke Energieversorgung ist nicht möglich», so der Vorsteher des Departements Bau, Verkehr und Umwelt.

Um die geplante Dekarbonisierung der Energiewirtschaft voranzutreiben, brauche es Übergangslösungen. Doch diese bedürften grosser Investitionen und vor allem: viel Zeit. Attiger ist darum überzeugt:

«Das Ziel der ‹Netto-Null-Emissionen› bringen wir bis 2030 nicht hin.»

Im Hinblick auf den drohenden Energiemangel zeigt sich Hansjörg Bertschi vom gleichnamigen Aargauer Logistikunternehmen enttäuscht. Der Bundesrat wisse seit Jahren, dass es eng werden könnte mit der Energie. Doch statt Übergangslösungen zu suchen oder Deals mit dem Ausland auszuhandeln, verharre die Schweiz in ihrem «Silo-Denken», kritisiert der weltweit tätige Unternehmer aus Dürrenäsch.

Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl pflichtet ihrem Vorredner bei. «Wir stellen fest, dass die Schweiz nicht fähig ist, in den Krisenmodus zu schalten», kritisiert sie. Dabei würde rundherum bereits Alarm geschlagen. So etwa in Deutschland, wo geplant ist, Flüssiggas auf Spezialschiffen vor der Nordseeküste für den Winter zu horten.

«Wir müssen uns keine Illusionen machen», mahnt Rühl. «Wenn bei den Deutschen das Gas knapp wird, bekommen auch wir nichts mehr.» Der Bund müsse darum umgehend die Versorgung für den kommenden Winter gewährleisten.

Attiger versucht zu beruhigen und erklärt, auch der Bundesrat habe die Gefahr erkannt und einen runden Tisch mit den Kantonen einberufen. Um eine Mangellage abzuwenden, brauche es die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Es müssten Lösungen gefunden werden, wo mehr Energie zu holen sei und wo sie eingespart werden könne. Attiger ist überzeugt: «Wir müssen uns auf Reduktionen einstellen. Und gleichzeitig alternative Energiequellen vorantreiben.»

Wasserkraft top, Solarenergie hinkt

Thomas Vellacott, CEO von WWF Schweiz, gibt zu bedenken, dass unser Land extrem abhängig von fossilen Brennstoffen sei, weitaus mehr als vom Strom. Die Schweiz sei stark in der Wasserkraft, im Solarbereich hinke sie aber weit hinterher. «Die Solarenergie muss unser zweites Standbein neben der Wasserkraft werden», erklärt Vellacott.

Doch auch dort lauern Probleme. So gäbe es nicht nur sehr lange Lieferfristen für Solarpanels und ein Mangel an Fachkräften, um Photovoltaikanlagen zu installieren. Auch würden die vielen Regulierungen und politischen Rahmenbedingungen in der Schweiz Projekte im Bereich der Solarenergie ausbremsen, wie Gabriela Hug-Glanzmann, Professorin im Power Systems Laboratory der ETH Zürich, festhält.

WWF-Chef: Umweltverbände sind keine Verhinderer

Aus dem Publikum fordert Urs Widmer, Geschäftsleiter des Aargauischen Gewerbeverbands, dass nun dringend auch Elektriker, Zimmerleute und Sanitäre für die Installation von Solarpanels in «Schnellbleichen» ausgebildet werden. Mit einem Seitenhieb in Richtung WWF kritisiert er weiter, dass zwar Geld da sei, in neue Produktionsstätten von Solarpanels zu investieren. Diese könnten dann aber lange nicht gebaut werden, weil auf dem dafür vorgesehenen Platz «bestimmt noch der Laubfrosch heimisch» sei.

Dies lässt sich WWF-Chef Vellacott allerdings nicht bieten und kontert den Angriff souverän. Er sagt:

«Wir haben zwei grosse Krisen, die unsere Welt elementar bedrohen: die Klima- und die Biodiversitätskrise.»

Wer nicht verstehe, dass diese beiden Krisen zusammengehören und bereit sei, diese gemeinsam zu lösen, der habe nichts verstanden. Weiter rechnet Vellacot vor, dass etwa im Bereich Windkraft weitaus weniger Einsprachen von Umweltverbänden als von anderen Unternehmen wie beispielsweise der Flugsicherungsgesellschaft Skyguide eingehen. Er folgert: «Das Feindbild der Umweltverbände als Verhinderer ist schlichtweg falsch.»

Dass die Zukunft der Energieversorgung klar in der Solarkraft liegt, darin sind sich die Rednerinnen und Redner einig. Damit die Energiewende geschafft werden kann, müssten aber alle Optionen ausgeschöpft werden. Es brauche gewaltige Anstrengungen und die Zusammenarbeit aller, um die Gefahr einer Mangellage abzuwenden. Regierungsrat Attiger bringt es auf den Punkt:

«Wir müssen es schaffen, es gibt keine Alternative.»

Dass Ideen und Innovationen zum Erreichen dieses Ziels da sind, zeigen auch die drei Start-up-Unternehmen aus dem Aargau, die dem Publikum im Stapferhaus vorgestellt werden. Die Solar Manager AG in Muri maximiert und optimiert mit einer eigens entwickelten App den Eigenbedarf von Solarstrom in Haushalten. Die FenX mit Sitz in Turgi produziert Isolationsmaterial aus Industrieabfällen für die Bauindustrie. Und das in Laufenburg beheimatete Unternehmen Powerblox entwickelt mobile, modulare und weitgehend wartungsfreie Energiesysteme.