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Das Filet kommt aus der Schweiz, aber die Avocado aus Peru – warum die Schweiz Mühe hat mit der Selbstversorgung

Rund die Hälfte der Nahrungsmittel importiert die Schweiz. Pikant dabei: Während bei Fleisch und Milch der Selbstversorgungsgrad hoch ist, ist er bei pflanzlichen Produkten tief. Das kommt nun politisch unter Druck. 

Der Pfirsich hing in Spanien am Baum, die Zucchetti wuchs in Italien und die – immer beliebtere – Avocado in Peru: Ein beträchtlicher Anteil unserer Nahrungsmittel stammen aus dem Ausland. Der sogenannte Netto-Selbstversorgungsgrad liegt bei rund 50 Prozent. Der Schweizer Bauernverband machte Anfang Juli darauf aufmerksam, dass wir daher – statistisch gesehen – bereits alle in der Schweiz produzierten Lebensmittel gegessen haben.

Für die reiche Schweiz sei das finanziell kein Problem, sagte Bauernverbands-Direktor Martin Rufer an einer Medienkonferenz zum «Food Overshoot Day» kürzlich. Weltweit aber litten viele an Hunger. Auch die Schweizer Landwirtschaft müsse daher ihren Beitrag an die Lebensmittelproduktion leisten, sagt der Bauernverband, das sei «moralische Pflicht».

Der Verweis auf den Selbstversorgungsgrad ist für den Bauernverband nicht ohne Risiko. Einerseits ist dieser wichtig für ihn, um eine Schwächung der einheimischen Produktion abzuwehren. Andererseits befeuert die Statistik eine für die Branche eher ungemütliche Diskussion: jene ums Fleisch. Denn der Selbstversorgungsgrad liegt bei pflanzlichen Nahrungsmitteln laut Agristat nur bei einem Drittel, beim Fleisch hingegen bei 84 Prozent. Bei der Milch ist die Quote noch höher.

Beliebt, aber leider nicht lange verfügbar: Die Schweizer Erdbeersaison ist kurz.
Bild: Donato Caspari/CH Media

Das ist ein guter Nährboden für die Volksinitiative «für eine sichere Ernährung», für die derzeit Unterschriften gesammelt werden. Diese fordert einen massiv höheren Selbstversorgungsgrad von 70 Prozent –insbesondere dadurch, dass mehr pflanzliche Lebensmittel produziert und konsumiert werden. Die Initianten rund um Franziska Herren – bekannt von der Trinkwasserinitiative – kritisieren, dass auf 60 Prozent der Ackerflächen Futtermittel angebaut werden. Ihr Ansatz: Würde in der Schweiz mehr Gemüse und Getreide statt Fleisch konsumiert, liesse sich der Selbstversorgungsgrad steigern.

Der Bauernverband hält das in der Initiative genannte Ziel von 70 Prozent für unrealistisch. Für den unterschiedlichen Selbstversorgungsgrad bei pflanzlichen und tierischen Produkten gebe es ein ganzes Set an Gründen. Ein wichtiger ist, dass die Schweiz über viel Grasland verfügt, das nicht als Ackerland taugt. Gleichzeitig sei im pflanzlichen Bereich die Wertschöpfung teils tief, die Konkurrenz durch günstige Importe hoch. Und: Die Zahlungsbereitschaft für «Swissness» sei beim Fleisch höher.

Nicht nur das Klima setzt Grenzen

Doch was sagen eigentlich die Gemüse- und Früchteproduzenten? Wollen sie nicht mehr produzieren? «Natürlich möchten wir einen möglichst hohen Selbstversorgungsgrad beim Obst und bei Beeren», sagt Jimmy Mariéthoz, Direktor des Schweizer Obstverbands. «Aber die klimatischen und wirtschaftliche Bedingungen setzen uns Grenzen.»

Bei traditionellen Schweizer Früchten wie etwa den Äpfeln sei der Selbstversorgungsgrad hoch, sagt Mariéthoz. Bei Erdbeeren oder Kirschen hingegen sei er tief, weil die Saison in der Schweiz kurz sei. Ganz zu schweigen von der Banane. «Ein Selbstversorgungsgrad bei den Früchten von 70 Prozent ist ohne Verzicht auf exotische Früchte im Konsum schlicht nicht möglich.»

Diese sind bei den Konsumentinnen und Konsumenten beliebt: Bananen sind mengenmässig die meistverkaufte Frucht, gefolgt von Äpfeln und Orangen. Auf Platz acht lag 2022 die Avocado – noch vor der Birne, wie aus dem «Marktbericht» des Bundesamts für Landwirtschaft hervorgeht.

«Man könnte in der Schweiz mehr Gemüse anpflanzen, aber nicht die breite Auswahl, welche die Konsumenten und Konsumentinnen wollen», sagt auch Pierre-Yves Perrin, Geschäftsführer beim Getreideproduzentenverband. Hinzu komme der Preisdruck: Weil etwa bei den Eiweisserbsen der Grenzschutz sehr tief sei, sei die Schweizer Produktion nicht konkurrenzfähig. «Ich kann die Argumente der Initiative von Franziska Herren verstehen», sagt Perrin. «Aber ich sehe nicht, wie man das umsetzen könnte. Das ist schlicht unrealistisch.»