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«Besorgniserregend:» Polizeiverbands-Präsidentin Marclay kritisiert Richterin, die Blessuren bei Polizisten als Berufsrisiko sieht

Die Präsidentin des Bezirksgerichts Kulm habe Gewalt gegen Polizisten bagatellisiert, kritisiert der Verband Kantonspolizei Aargau. Die Richterin hatte gesagt, Blessuren seien bei Polizisten ein Stück weit Berufsrisiko. Die Sprecherin der Aargauer Gerichte entgegnet, die Richterin habe damit nur den Polizeialltag beschrieben.

Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte wurden Boris (Name geändert) unter anderem vorgeworfen. Bei einer Hausdurchsuchung hatte sich der Mann stark gewehrt, Beamte gestossen, angespuckt, beleidigt und einen in die Innenseite des Oberschenkels gekniffen. «Dort, wo die Haut dünn ist», sagte der betroffene Kantonspolizist letzte Woche vor dem Bezirksgericht Kulm.

Er forderte 100 Franken Genugtuung, schliesslich habe er einen blauen Fleck davongetragen. Gerichtspräsidentin Yvonne Thöny wies die Forderung jedoch ab und sagte: «Blessuren sind bei Polizisten ein Stück weit Berufsrisiko. Wie Verletzungen bei Fouls im Fussball. Die Spieler fordern auch nicht immer eine Genugtuung.»

Suzanne Marclay befürchtet kaum Signalwirkung

Diese Aussage sorgt für Unmut beim Verband Kantonspolizei Aargau (VKA). In einer Medienmitteilung hält der Verband fest, Gewalt und Drohungen gegen Polizistinnen und Polizisten hätten in den letzten Jahren stark zugenommen. Weiter schreibt der Verband um Präsidentin Suzanne Marclay-Merz: «Umso besorgniserregender ist die Urteilsbegründung eines Bezirksgerichts, in welchem die Verletzung eines Polizisten in Folge eines Angriffs vom zuständigen Gericht als ‹Berufsrisiko› bezeichnet worden ist.»

Marclay ist FDP-Grossrätin und Stadträtin in Aarau, wo sie in den letzten vier Jahren das Sicherheitsressort leitete und damit auch für die Polizei zuständig war. Angst, dass sich nun Gewalt gegen Polizisten aufgrund dieses Urteils weiter häufen wird, hat Marclay nicht. Sie sagt aber, dass nach der Aussage des Gerichts «gewisse Bedenken» diesbezüglich mitschwingen würden. Der Verband der Kantonspolizei wehre sich dagegen, Gewalt gegen Polizeibeamte durch solche Aussagen zu bagatellisieren oder gar zu normalisieren.

Verband: «Polizeikräfte setzen Tag für Tag ihr Leben aufs Spiel»

Dazu heisst es in der Mitteilung: «Unsere Polizeikräfte setzen Tag für Tag Leib und Leben aufs Spiel, zum Wohle und für die Sicherheit der Bevölkerung. Angriffe gegenüber unseren Polizeikräften verurteilen wir – unsere Polizistinnen und Polizisten verdienen auch vor Gericht mindestens denselben Schutz von Leib und Leben, wie andere Bürgerinnen und Bürger.»

Für Suzanne Marclay ist es nun besonders wichtig, dass Polizistinnen und Polizisten, die Opfer von Gewalt werden und sich allenfalls sogar Verletzungen zuziehen, weiterhin Zivilklage einreichen. «Wenn es die Möglichkeit gibt und es die Umstände legitimieren, sollte man auch davon Gebrauch machen», sagt die Präsidentin des Verbandes.

Aargauer Gerichte: Gewalt gehört «leider» zum Polizeialltag

Nicole Payllier, Leiterin Kommunikation bei den Aargauer Gerichten, hält auf Anfrage der AZ fest, dass der Beschuldigte in der Verhandlung wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte schuldig gesprochen worden sei. Das Bezirksgericht Kulm habe dabei Gewalt gegen Polizisten «keinesfalls» bagatellisiert, schreibt Payllier.

Nicole Payllier.

Weiter schreibt sie: «Selbstverständlich war auch die fragliche Äusserung keinesfalls bagatellisierend gemeint.» Vielmehr habe man dadurch zum Ausdruck bringen wollen, «wie der Polizeialltag – leider – aussieht beziehungsweise welchen Provokationen Polizisten heutzutage regelmässig ausgesetzt sind», schreibt Payllier.