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SVP-Graber nervt sich über Papi-Tage: «Gehen mit dem Sohn in den Zoo, weil das cool ist»

Der Bundesrat um Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider möchte die AHV durch eine Anhebung von Lohnprozenten und Mehrwertsteuer stabilisieren. Linke und Gewerkschaften zeigen sich in der «Arena» mit diesem Plan einverstanden. Dem Mittelstand gehe es einmal mehr an den Kragen, toben die Bürgerlichen.

So wie tags zuvor auf der Winterthurer Schützenwiese, ging am Freitagabend auch im Fernsehstudio am Leutschenbach die Post ab.

Unter der Leitung von Schiedsrichter Sandro Brotz suchten alle vier Protagonisten der AHV-«Arena» unnachgiebig die Offensive und versuchten gleichzeitig, gegnerische Verbalangriffe so gut wie möglich wegzuverteidigen.

Die Intensität der Debatte war hoch, die Argumente deckten von fadenscheinig bis stichhaltig die ganze Bandbreite ab. Am Ende war man sich natürlich nicht einig, was die Zukunft des wichtigsten Schweizer Sozialwerks betrifft.

Doch nun zur Startformation des politischen Klingenkreuzens. Es debattierten:

Daniel Lampart, Chefökonom Schweizerischer Gewerkschaftsbund

Flavia Wasserfallen, Ständerätin SP

Severin Moser, Präsident Schweizerischer Arbeitgeberverband

Michael Graber, Nationalrat und Mitglied Parteileitung SVP

Migranten und die AHV

Die Frage, auf die das Parlament und nicht zuletzt auch das Stimmvolk eine Antwort finden müssen: Wie soll es weitergehen mit der Alters- und Hinterlassenenvorsorge, kurz AHV?

Die Fakten liegen auf dem Tisch: Aktuell beziehen fast 2,6 Millionen Menschen eine AHV-Rente, 2035 dürften es rund 3 Millionen sein. In den kommenden Jahren werden die letzten Babyboomer pensioniert, während die Lebenserwartung kontinuierlich ansteigt. Gleichzeitig stagniert die Zahl der Erwerbstätigen, welche die heutigen Rentner im Umlageverfahren finanzieren. Ab 2026 wird zudem eine 13. AHV-Rente ausbezahlt.

Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider plant die nächste AHV-Reform.
Bild: Keystone

Dieser suboptimalen Situation will der Bundesrat entgegenwirken, wie Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider vergangene Woche bekannt gab. Mit höheren Lohnbeiträgen und einer Anhebung der Mehrwertsteuer soll die AHV stabilisiert werden. Ein höheres Rentenalter ist derzeit keine Option, der Bundesrat will jedoch Anreize schaffen, damit die Menschen länger als bis 65 arbeiten.

Die AHV wird zu 72 Prozent aus Lohnprozenten finanziert.
Bild: Shutterstock

Mit dem bundesrätlichen Reformpaket kann SVP-Nationalrat Michael Graber so wenig anfangen wie ein Schneemann mit Sauna-Gutscheinen. Durch zusätzliche Lohnprozente und eine höhere Mehrwertsteuer werde der Mittelstand einmal mehr geschröpft. Dass die Sozialdemokraten Baume-Schneiders Plan unterstützen, kann Graber nicht verstehen:

«Früher war die SP die klassische Arbeiterpartei. Heute seid ihr die Partei derer, die nicht mehr arbeiten.»

Ohnehin gelte es, die AHV grundsätzlich zu überdenken. Der SVP-Mann stört sich etwa daran, dass «Zugewanderte, Flüchtlinge und Asyl-Migranten» nur ein Jahr Beiträge bezahlen müssten und dann bereits AHV-berechtigt seien. Zudem wandere rund ein Drittel sämtlicher Rentengelder ins Ausland. Man müsse sich fragen, wie man mit der Eintrittsschwelle umgehe und ob es nicht schlauer sei, die Pensionskasse zwecks Entlastung der AHV zu stärken.

«Der AHV geht es hervorragend»

«Ich glaube, ich bin im falschen Film», entgegnet SP-Ständerätin Flavia Wasserfallen. Die AHV werde systematisch schlecht gemacht, obwohl sie hervorragend aufgestellt sei.

Wasserfallen rechnet vor: Im vergangenen Jahr habe die AHV fast 6 Milliarden Franken Gewinn erzielt, das Vermögen betrage aktuell 55 Milliarden Franken. Sie präzisiert: «Es könnten ein Jahr AHV-Renten ausbezahlt werden, ohne dass ein Rappen hereinkommt.»

Es brauche keinen grossen Reformwurf, vielmehr gelte es, die Zukunft der ersten Säule schrittweise und ohne Panikmache zu sichern – vor allem im Hinblick auf die 13. AHV-Rente, die im nächsten Jahr zum ersten Mal ausbezahlt wird:

«Für zwei Drittel der Rentnerinnen und Rentner ist die AHV das wichtigste Einkommen.»

Der AHV drohen «massivste Verluste»

Wie ein Vater, dessen Sohn wiederholt die Schule schwänzt, ist Severin Moser nicht wütend, sondern enttäuscht. Die Pläne des Bundesrates würden Arbeitgeber, Arbeitnehmer, die Wirtschaft und die Konsumenten belasten:

«Für den Standort Schweiz ist das nicht gut.»

Moser erwähnt, dass die Schweiz die höchsten Lohn- und Lohnnebenkosten habe – «doppelt so hoch wie in Deutschland und Frankreich». Hinzu kämen ein Zoll- und Wirtschaftskrieg, obendrauf ein extrem starker Franken. «Das sind alles Wettbewerbsnachteile für unsere Exportindustrie, das muss kompensiert werden.» Jetzt zur Sicherung der AHV die Lohnbeiträge zu erhöhen, sei nicht angebracht.

Für den Präsidenten des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes ist es unverständlich, dass der Bundesrat ein höheres Rentenalter nicht einmal geprüft hat. In Richtung Wasserfallen sagt er: «Es geht nicht um die nächsten zwei, drei Jahre, es geht um die nächsten 15 Jahre.» Moser warnt vor «massivsten Verlusten».

Erhöhung des Rentenalters ist vom Tisch

Beim Stichwort Rentenaltererhöhung startet Daniel Lampart vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund durch wie ein A380, der die Landung abbrechen muss.

Genüsslich erwähnt er die vom Arbeitgeberverband unterstützte Renteninitiative der Jungfreisinnigen, die das Rentenalter 67 zum Ziel hatte und im letzten Jahr mit fast 75 Prozent Nein-Stimmen versenkt wurde. Der Gewerkschafter betont:

«Die hat ja schlechter abgeschnitten als jede Juso-Initiative.»

Für Lampart ein glasklares Zeichen: Die Erhöhung des Rentenalters sei vom Tisch. So oder so sei es müssig, die Leute länger arbeiten lassen zu wollen. Lampart zitiert eine Studie von Swiss Life – dort sitzt Severin Moser im Vorstand –, wonach sechs von zehn Unternehmen grundsätzlich nicht bereit sind, über 55-jährige Arbeitnehmer einzustellen. Solange man die Menschen nicht einmal bis 65 arbeiten lasse, müsse man nicht über eine Erhöhung des Rentenalters diskutieren.

Für Lampart sind zusätzliche Lohnprozente von 0,8 Prozent – je hälftig zu tragen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern – verkraftbar. «Das kostet die Leute pro Jahr 200, 300 Franken mehr, dafür haben sie auch 2000 Franken mehr Rente – eine super Investition.»

Der Papi-Tag und die AHV

Damit waren die Positionen klar verteilt: Linke und Gewerkschaften haben mit Massnahmen wie höheren Lohnprozenten keine Probleme, den Bürgerlichen sind sie ein Dorn im Auge. Auf der linken Seite möchte man die AHV stärken, den Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden sind die zweite und die dritte Säule hingegen ebenso wichtig.

Wie sehr die beiden Lager in ihren Ansichten divergieren, zeigte sich im letzten Viertel der intensiven, aber doch meist anständigen AHV-«Arena». SVP-Nationalrat Graber warf das Thema Teilzeitarbeit auf: «Viele Junge arbeiten gar nicht mehr 100 Prozent.» Graber illustrierte sein Argument mit einem Beispiel:

«Ich habe Kollegen, die haben einen Papi-Tag. Dann gehen sie mit dem Sohn in den Zoo, weil das cool ist.»

Die ‹Lohnprozente› dieses Tages würden in der AHV fehlen, so Graber weiter. «Mit eurer Politik wird die Teilzeitarbeit dermassen gefördert, dass der AHV schon vor dem Rentenalter sehr viel Geld fehlt.»

SP-Ständerätin Flavia Wasserfallen quittierte Grabers Begründung lediglich mit einem genervten: «Oh mein Gott».

Auf sozialpolitischer Ebene konnte in den verbleibenden Sendeminuten keine Einigkeit mehr erzielt werden. Als Moderator Brotz für die Schlussrunde jedoch ein Bild der Schweizer Eishockeymannschaft einblendete, taten die geladenen Politiker unisono ihre Unterstützung kund und zeigten sich erfreut über den Lauf von Patrick Fischers Mannen. Immerhin das.

Die Schweizer Eishockey-Nati begeistert von links bis rechts.
Bild: Keystone

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