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Darum geht es im Vertragswerk mit der EU

Aussenminister Ignazio Cassis hat am Freitag über die ausgehandelten Verträge mit der EU informiert.

Worum es geht

Ausgehandelt sind die neuen Verträge mit der EU bereits seit Ende Jahr. Doch öffentlich waren sie bisher nicht. Nun, nachdem die Verträge ratifiziert und übersetzt sind und die Regierung innenpolitische Begleitmassnahmen verabschiedet hat, lüftet der Bundesrat das Geheimnis. Am Freitag veröffentlicht er das 1800 Seiten dicke Vertragspaket und informiert an einer Medienkonferenz.

Das umfasst das Vertragspaket

Neue Abkommen in drei Bereichen:Strom, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

Neue institutionelle Regeln:Diese legen beispielsweise fest, wie die Verträge aktualisiert werden (dynamische Rechtsübernahme) und wie das Vorgehen im Streitfall ist. Statt wie einst vorgesehen in einem Rahmenabkommen, werden diese Fragen nun in jedem Abkommen einzeln geklärt.

Personenfreizügigkeit:Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU wird ergänzt. Die Schweiz übernimmt die sogenannte Unionsbürgerrichtlinie der EU, aber mit einigen Ausnahmen und Absicherungen. Diese regelt beispielsweise den Aufenthalt von EU-Bürgern, die ihren Job verloren haben, und baut den Zugang zur Sozialhilfe aus. Die Schweiz hat aber Ausnahmen ausgehandelt. So kann sie beispielsweise weiterhin verurteilte ausländische Straftäter ausweisen.

Schutzklausel:Im Freizügigkeitsabkommen wird die bestehende Schutzklausel zur Zuwanderung konkretisiert: Bei sehr starker Zunahme der Zuwanderung aus der EU in kurzer Zeit kann die Schweiz Gegenmassnahmen ergreifen.Neue Gesetzesbestimmungen sollen regeln, unter welchen Bedingungen die Schweiz die Personenfreizügigkeit mit der EU tatsächlich einschränken kann.

Lohnschutz:Die Schweiz hat zudem den Lohnschutz vertraglich abgesichert. Lockert die EU den Lohnschutz in ihren Mitgliedstaaten, muss das die Schweiz nicht übernehmen. Daneben hatder Bundesrat mit den Sozialpartnern und den Kantonen ein Massnahmenpaket geschnürt.Dieses soll gewisse Lockerungen, die die bilateralen Verträge vorsehen (zum Beispiel eine kürzere Voranmeldefrist für ausländische Arbeitskräfte oder die umstrittene Spesenregelung), innenpolitisch abfedern.

Kohäsionsbeitrag der Schweiz an die EU:Seit 2007 überweist die Schweiz der EU Gelder – total bisher 2,6 Milliarden Franken. Damit werden Projekte in wirtschaftlich schwächeren EU-Mitgliedstaaten finanziert. Neu wird ein Mechanismus für regelmässige Schweizer Beiträge geschaffen. Der erste Beitrag für 2030 bis 2036 beträgt 350 Millionen Franken pro Jahr – deutlich mehr als bisher also.

Weitere Elemente:Unter anderem neue Regeln für staatliche Beihilfen und ein Rechtsrahmen, der der Schweiz die Teilnahme am Forschungsprogramm Horizon, dem Studentenaustauschprogramm Erasmus und anderen EU-Programmen sichert. Ausserdem will der Bundesrat den politischen Austausch mit der EU stärken.

Die umstrittensten Punkte

Dynamische Rechtsübernahme:Die Schweiz sichert der EU zu, neues EU-Recht im Bereich der bilateralen Verträge «dynamisch» zu übernehmen: Gesetzesänderungen erfolgen nicht automatisch, sondern im normalen Prozess mit parlamentarischer Beratung und allenfalls Volksabstimmung. Die Verpflichtung, neue EU-Gesetze anzunehmen, stösst dennoch auf heftige Kritik in der Schweiz.

Ausgleichsmassnahmen:Sagt das Schweizer Volk Nein zur Übernahme von neuem EU-Recht, kann die EU Ausgleichsmassnahmen ergreifen. Diese müssen verhältnismässig sein und können beim paritätischen Schiedsgericht angefochten werden. Kritiker sagen, die Androhung von Ausgleichsmassnahmen beschränke die Abstimmungsfreiheit in der Schweiz.

Stromabkommen:Der neue Vertrag soll der Schweiz einen besseren Zugang zum EU-Strommarkt ermöglichen und damit die Versorgungssicherheit stärken.Damit verbunden ist die Öffnung des Strommarkts: Neu sollen Privatkunden ihren Stromanbieter frei wählen können, wenn sie wollen. Anders als die beiden anderen neuen Abkommen zu Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ist das Stromabkommen höchst umstritten. Während der Bundesrat mit tieferen Stromkosten rechnet, warnt Gewerkschaftsboss Pierre-Yves Maillard, dass der Strom mit dem Abkommen langfristig teurer werde. Andere befürchten einen Verlust von Souveränität. Bereits wird im Parlament diskutiert, ob das Stromabkommen vom EU-Paket abgekoppelt werden soll.

Wie es nun weitergeht

Kantone, Verbände, ja alle interessierten Kreise werden nun Gelegenheit haben, Stellung zum Vertragspaket zu beziehen. Anschliessend wird das Parlament darüber beraten.

Am Ende wird es zur Volksabstimmung kommen. Noch unklar ist, ob es für eine Annahme ein einfaches (Volk) oder ein doppeltes Mehr (Volk und Stände) braucht.Der Bundesrat hat bereits klargemacht, dass aus seiner Sicht ein fakultatives Referendum ausreicht– das Ständemehr also nicht nötig ist. Doch auch in dieser Frage ist das letzte Wort längst nicht gesprochen.