
Schweizer Frauen, ab in die Armee? Was Sie zur Service-Citoyen-Initiative wissen müssen
Was fordert die Initiative?
Wer den Schweizer Pass hat, soll einen «Dienst zugunsten der Allgemeinheit und der Umwelt» leisten. Auch Frauen sollen also neu dienstpflichtig sein. Heute sind nur volljährige Schweizer Männer verpflichtet, ins Militär oder den Zivildienst einzurücken – oder im Fall von Untauglichkeit Zivilschutz zu leisten und eine Ersatzabgabe zu entrichten.
Ob künftig auch Ausländerinnen und Ausländer zum Dienst antraben müssen, lässt die Initiative offen. Unabhängig von der konkreten Umsetzung des Parlaments steht jedoch fest: Bei einem Ja zur Vorlage müssten mindestens 70’000 Personen pro Jahr einen Dienst leisten – anstelle von heute 35’000.
Wohin mit all den zusätzlichen Dienstpflichtigen?
Die Initianten wollen, dass das Militär über genügend Personal verfügt und die Sollbestände erreicht werden. Daneben könne der Dienst auch «in Form eines anderen, gleichwertigen und gesetzlich anerkannten Milizdienstes» geleistet werden. Explizit denken die Initianten an Einsätze in der Katastrophenprävention, in der Betreuung oder im Bereich der Ernährungssicherheit.
Es obliegt dem Parlament, die genauen Tätigkeitsbereiche zu definieren. Der Bundesrat geht aufgrund der breiten Definition davon aus, dass die Dienstpflicht auch in der Freiwilligenfeuerwehr, in politischen Ämtern, im Samariterverein oder in den heutigen Zivildienstfeldern wie Schulen oder der Pflege geleistet werden kann.
Wie viel kostet ein Ja zur Vorlage?
Weil Armeeangehörige und Zivis ihr Berufsleben unterbrechen müssen, erhalten sie Erwerbsersatz. Dieser beläuft sich derzeit auf rund 800 Millionen Franken pro Jahr – und würde sich verdoppeln, wenn sich die Zahl der Dienstpflichtigen verdoppelte. Um die zusätzlichen Kosten zu decken, müssten die Lohnbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, mit denen der Erwerbsersatz finanziert wird, entsprechend erhöht werden.
Gleichzeitig rechnet der Bundesrat mit Mehrausgaben bei der Militärversicherung (heute 160 Millionen Franken pro Jahr) und mit Mehreinnahmen bei der Ersatzabgabe (heute 170 Millionen Franken pro Jahr) zu rechnen. Letztere müssen jene Personen entrichten, die bei der Aushebung als untauglich eingestuft wurden. Der Bundesrat warnt ausserdem, dass Firmen bei einem Ja zur Vorlage den Arbeitsausfall von Frauen kompensieren müssten und der Verwaltung durch die Koordination der zusätzlichen Einsätze Mehrkosten entstünden. Deren Höhe lässt sich jedoch nicht beziffern.
Was wollen die Initianten bezwecken?
Kopf hinter der Initiative ist die Genferin Noémie Roten, Präsidentin des Vereins Service-Citoyen. Sie diente in der Schweizer Armee als Lastwagenfahrerin und empfindet das heutige System als diskriminierend – sowohl gegenüber Männern als auch Frauen. Jeder und jede soll seinen Beitrag leisten (können).
Mit dem vorgeschlagenen Bürgerdienst für alle will das Initiativkomitee die Solidarität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken – vor dem Hintergrund der zunehmenden Individualisierung und der Krise des Milizsystems. Zugleich soll durch die Verdoppelung der Zahl der Dienstpflichtigen die Sicherheit erhöht werden, wobei der Begriff breit gefasst ist. Gemeint sind nicht nur militärische Bedrohungen, sondern auch Risiken wie die Cyberkriminalität oder der Klimawandel.

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Wer befürwortet die Initiative, wer lehnt sie ab?
Als einzig grosse Partei steht die GLP hinter der Vorlage. Diese wird zudem von der EVP und Jungparteien wie der Jungen Mitte unterstützt. Die Grünen sowie die Bundesratsparteien (SP, Mitte, FDP, SVP) haben die Nein-Parole beschlossen. Auch die Landesregierung empfiehlt die Initiative zur Ablehnung.
Wie argumentieren die Gegner?
Im Zentrum der Kritik stehen drei Argumente. Erstens, das gesellschaftspolitische: Solange Frauen den Grossteil der unbezahlten Care-Arbeit, der Kindererziehung und der Hausarbeit leisten, würde ein Bürgerdienst zu einer zusätzlichen Mehrfachbelastung führen. Zweitens, das wirtschaftliche: Die Kosten für Bund, Arbeitnehmer und Arbeitgeber wären zu hoch.
Drittens, das sicherheitspolitische: Mit der Ausweitung der Dienstpflicht auf Frauen würde die Zahl Dienstpflichtiger die benötigten Zielgrössen in der Armee (jährlich 25’000 neue Dienstpflichtige) und Zivilschutz (5400) deutlich übertreffen. Im Rahmen des Bürgerdienstes müssten daher Tätigkeiten übernommen werden, die heute vom freien Arbeitsmarkt abgedeckt werden – was insbesondere Berufe im Tieflohnsektor unter Druck setzen könne.

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Aber: Die Armee klagt doch immer wieder über fehlendes Personal?
Ja, wegen Alimentierungsproblemen bei der Armee und beim Zivilschutz sieht auch der Bundesrat Handlungsbedarf. Er will das Problem jedoch anders anpacken. Kurzfristig sollen vor allem Wechsel in den Zivildienst unattraktiver werden: Das Parlament hat sechs vom Bundesrat vorgeschlagene Massnahmen angenommen, die für «Abschleicher» längere Dienstpflichten vorsehen. Zudem möchte die Landesregierung den Orientierungstag künftig auch für Frauen obligatorisch machen. Dazu soll bis Ende 2025 eine Vernehmlassung eröffnet werden.
Langfristig plant der Bundesrat, das System der Dienstpflicht tiefergreifend umzupflügen. Er schlägt zwei Varianten vor: Zum einen das Modell der «Sicherheitsdienstpflicht», bei der weiterhin nur Schweizer Männer einrücken müssten. Zivilschutz und Zivildienst würden jedoch fusioniert. Zum anderen die «bedarfsorientierte Dienstpflicht», die auch für Frauen gälte. Dienst leisten müsste allerdings nur, wer von der Armee oder dem Zivilschutz benötigt wird, um die Sollbestände zu erreichen. Den Zivildienst bliebe bestehen. Bis 2027 soll das weitere Vorgehen festgelegt werden.