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Das Aargau-Wappen in der brasilianischen Turnhalle: Einblick in die einzige Aargauer Schule im Ausland

Der Kanton Aargau hat zwei Millionen Franken aus dem Swisslos-Fonds für die Schweizerschule im brasilianischen Curitiba gesprochen. Mit dem Zustupf soll eine Turnhalle gebaut werden. Wie es so ist, dort in die Schule zu gehen und was diese mit Entwicklungshilfe und dem Fachkräftemangel in der Schweiz zu tun hat.  

Ende Jahr hat der Kanton die neusten Beiträge aus dem Swisslos-Fonds bekannt gegeben. Von den diesmal 48 unterstützten Projekten erhält die Schweizerschule der südbrasilianischen Stadt Curitiba den höchsten Betrag: 2,05 Millionen Franken wurden gesprochen für das dortige Neubauprojekt «Aargau II».

Geplant ist, Stand jetzt, eine Doppelturnhalle mit womöglich einem weiteren Spielfeld auf dem Dach. Die Kosten werden auf rund 3 Millionen Franken geschätzt, eine Million steuert die Schule selbst bei. Nötig ist der Ausbau, weil die Schule stark wächst: Allein in den letzten drei Jahren kamen 100 neue Schulkinder hinzu. Vom Kindergarten bis zum Gymnasium sind es insgesamt 780, weitere stehen auf der Warteliste.

Zudem sei die heutige Sporthalle eher ein Hangar mit einem Betonboden. Sie erlaube nicht wirklich einen Sportunterricht, wie man ihn von einer Schule in der Schweiz kennt, heisst es auf Anfrage. Die Anlagen gehören in letzter Instanz dem Kanton Aargau. Es sei also keine Investition «à fonds perdu».

So sieht die heutige Sporthalle der Schweizerschule in Curitiba aus.
Bild: zvg

Die Schweizerschule in Curitiba, genauer genommen in Pinhais, in der Metropolitanregion der Grossstadt, erhält so viel Geld vom kantonalen Swisslos-Fonds, weil der Aargau Patronatskanton der Schule ist. Verschiedene Deutschschweizer Kantone übernehmen solche Patronate, wie Bettina Diem, Leiterin Sektion Mittelschule beim Kanton Aargau, erklärt. Das Patronat der Schweizerschule in São Paulo trägt zum Beispiel der Kanton Basel-Stadt, dasjenige in Santiago de Chile der Kanton Basel-Landschaft, in Lima der Kanton Thurgau.

Schweizer Firmen hatten grosses Interesse daran

Alle 17 Schweizerschulen im Ausland wurden von ortsansässigen Personen aus der Schweiz gegründet. Es sind Privatschulen, geführt als gemeinnützige Institutionen, die vom Bund anerkannt und von den Kantonen finanziell unterstützt werden.

Die Schweizerschule in Curitiba wurde 1980 geschaffen – unter anderem, weil bedeutende Schweizer Technikunternehmen ein Interesse daran hatten. Namen wie BBC oder Micafil finden sich zum Beispiel unter den Gründungspartnern. Hintergrund war der Bau des Wasserkraftwerks Itaipu ab 1975, damals das leistungsstärkste der Welt. Viele Ingenieure aus der Schweiz zogen als Expats in die Region, die historisch ohnehin viel Zuwanderung aus dem deutschsprachigen Raum erhalten hatte.

Die Schule in Curitiba startete mit zwölf Kindern, heute sind es 780. Sie erhalten sowohl den brasilianischen Schulabschluss wie das International Baccalaureate Diplom (IB). Unterrichtet wird nach dem Schweizer Lehrplan 21 und dem Lehrplan aus Brasilien. Laut Auslandschweizer-Ausbildungsgesetz muss eine Schweizerschule zudem eine schweizerische Schulleitung haben. 2004 entzog der Bundesrat zum Beispiel der Schule in Rio de Janeiro die Anerkennung als Schweizerschule, da sie «zunehmend brasilianischen Charakter angenommen» habe.

Der künftigen Elite Brasiliens wird Swissness vermittelt

Die Schweizerschulen haben den Auftrag, Swissness zu vermitteln, also gewisse Werte, hinter denen die Schweiz steht. Im Gespräch erklärt Reto Schafflützel, Schulleiter in Curitiba, dass sich die Schweizerschulen auch als eine Form der Entwicklungshilfe sehen. Die Schule gilt als eine der besten in Südbrasilien. Dort gehen die Kinder zur Schule, die künftig in der Elite des Landes mitspielen werden.

Sie können so von oben her gewisse Prozesse in der brasilianischen Gesellschaft lostreten. Den Schulkindern werden deshalb Werte mitgegeben wie Gleichstellung oder soziale Gerechtigkeit. «Unsere Schulkinder müssen sozial aktiv sein», sagt Reto Schafflützel. Sie müssen zum Beispiel eine Zeit lang in einem Altersheim arbeiten oder Jugendlichen aus den Slums Englisch unterrichten und eine Diplomarbeit darüber schreiben.

Dazu bildet die Schule in Curitiba Lehrpersonen aus. «Wir sehen es als Beitrag an das Bildungssystem Brasiliens.» In Brasilien sei der Frontalunterricht über 45 Minuten noch die Norm. «Wir finden aber, eine Lehrperson soll nur 10 bis 15 Minuten reden und dann die Schülerschaft in ihrem Lernprozess begleiten.»

Im April werden zwölf brasilianische Lehrpersonen aus Curitiba nach Wohlen reisen, um den dortigen Schulunterricht kennenzulernen. Der Aargau sei präsent, sowohl im Unterrichtsinhalt wie in der pädagogischen Unterrichtsform. Im Gegenzug erhält die Schule in Curitiba Besuch von anderen Schulen aus ganz Brasilien, wie Reto Schafflützel sagt. «Sie schauen sich hier unser System an. Auch das ist extrem wichtige Entwicklungshilfe.»

Beitrag gegen Fachkräftemangel in der Schweiz

Die Schule in Curitiba ist für lokale Verhältnisse teuer: 500 Franken im Monat kostet sie im Kindergarten, 750 Franken im Gymnasium. 114 Schulkinder erhalten aktuell ein Stipendium von der Schule. Bringt ein Kind gute Leistungen, die Eltern können aber das Schulgeld nicht mehr zahlen, dann kommt die Schule ihnen entgegen. Bei Schweizer Kindern ist sie zudem dazu verpflichtet, je nach Einkommen Rabatt zu gewähren, zum Teil bis zu 100 Prozent.

«Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, bei uns zur Schule zu gehen und sie auf ein Studium oder eine Arbeit in der Schweiz vorzubereiten», sagt Reto Schafflützel. «So können auch wir mithelfen, dem Fachkräftemangel in der Schweiz entgegenzuwirken. Das ist auch für die Wirtschaft interessant.»

Der Kanton Aargau ist Patronatskanton der Schweizer Schule in Pinhais, nahe der südbrasilianischen Stadt Curitiba.
Bild: zvg

«Der Aargau als mein Heimatkanton war eher ein ‹Fun Fact›»

Davon berichten kann der heute 21-jährige Antonio Guillebeau: In Aarau als Sohn eines Schweizers und einer Brasilianerin geboren, wuchs er zunächst in Kölliken auf, ehe er als Sechsjähriger in die Gegend von Curitiba zog. Heute studiert er Wirtschaft an der Uni Zürich, aktuell im dritten Jahr, derzeit verbringt ein Austauschjahr in Japan.

Die Schweizerschule in Curitiba besuchte er zwar nur eineinhalb Jahre, ehe er 2017 in die Schweiz zurückkam und an die Kanti Baden ging. Er bezeichnet sie als eine für ihn zwar kurze, für sein Leben aber sehr relevante Zeit. «Ich habe immer noch viele Freunde von damals und die Lehrpersonen waren die besten, die ich je hatte, vor allem die brasilianischen. Sie waren sehr engagiert und konnten uns richtig motivieren. Ich ging dort wirklich gerne zur Schule», erzählt er. Vom Schulstoff her sei die Schule sehr fordernd gewesen, für ihn auch weiter fortgeschritten als die Kanti Baden. Die Schule habe viel geboten, zum Beispiel schon damals Unterricht in Robotik, den Antonio besuchte.

«Es ist eine grosse Schule mit Grünflächen und viel Platz», sagt er. «Ich hoffe, dass sie zugänglicher gemacht wird auch für Menschen mit weniger finanziellen Ressourcen.» In Erinnerung blieben Antonio auch die Anlässe über Schweizer Kultur. Was die Präsenz seines Heimatkantons in der Schule betrifft, sei diese aber, mindestens damals, eher ein «Fun Fact» gewesen, wie er sagt. «Ich glaube, ich war der Einzige, der das Aargauer Kantonswappen in der Turnhalle bemerkte.»

Antonio (mit Brille in der Mitte) in seiner damaligen Schulklasse vor sieben Jahren.
Bild: zvg