
Siegfried verliert vor Obergericht: Abgezogene Arbeitsstunden müssen gutgeschrieben werden
Nach einer Cyber-Attacke im Mai 2021 konnte beim Zofinger Pharma-Unternehmen Siegfried während Wochen nicht gearbeitet werden. Siegfried schickte die Mitarbeitenden nach Hause, bis die Anlagen wieder liefen. Die dabei anfallenden Minusstunden teilte der Grosskonzern auf: Die Hälfte wurde dem Gleitzeit-Konto der Angestellten belastet, die andere Hälfte übernahm Siegfried. «Sie sagten: fifty-fifty, das sei doch fair», sagt Domenik Seiwald. Die Konten verschiedener Mitarbeiter rutschten daraufhin ins Minus – doch Seiwald wollte dies nicht auf sich beruhen lassen. Er zog Siegfried vors Bezirksgericht Zofingen. Dort erhielt er teilweise recht.
Obergericht stellt sich auf die Seite des Mitarbeiters
Die Stunden haben den Mitarbeitern abgezogen werden dürfen, entschied das Bezirksgericht im März 2024, die Gleitzeit-Konten hätten dabei aber nicht ins Minus fallen dürfen. Jetzt trafen sich das Pharma-Unternehmen und der mittlerweile ehemalige Mitarbeiter erneut vor Gericht: Der Fall wurde letztinstanzlich vom Obergericht behandelt – und Seiwald erhielt dieses Mal vollumfänglich Recht.
Weil der Cyberangriff unter das Betriebsrisiko des Arbeitgebers fällt, müssen die abgezogenen Stunden dem ehemaligen Mitarbeiter wieder gutgeschrieben werden, entschied das Obergericht. Die Stunden wurden Domenik Seiwald ausbezahlt: Rund 1000 Franken, wie die Workzeitung schreibt, die den Fall nach dem letztinstanzlichen Urteil aufgriff. «Das ist das erste Urteil in der Schweiz zu den Pflichten des Arbeitgebers bei einer Cyberattacke», zitiert die Zeitung Lucien Robischon von der Unia Basel.
Bemerkenswert: Im Schlichtungsprozess hatte Siegfried Domenik Seiwald ein noch höheres Angebot gemacht. Doch Seiwald hatte darauf verzichtet – weil er sich nicht zu Stillschweigen verpflichten wollte. Er wollte, dass auch die anderen Siegfried-Mitarbeitenden die Möglichkeit bekommen, die abgezogenen Stunden zurückzufordern.
Siegfried schreibt Stunden nicht freiwillig gut
Von sich aus schreibe der Pharma-Konzern die abgezogenen Stunden jedoch nicht gut, hält die Workzeitung fest. «Wir sind überzeugt, dass unser Massnahmenpaket zur Bewältigung der Cyber-Attacke notwendig und angemessen war», schreibt das Pharmaunternehmen auf eine entsprechende Anfrage der Zeitung. Die Stundengutschrift werde daher lediglich «angeboten», so ein Sprecher von Siegfried.
Folglich erhält die Stunden zurück, wer sie ausdrücklich zurückverlangt. Ob die Mitarbeitenden ihre abgezogenen Stunden unter diesen Umständen ausdrücklich zurückfordern werden, ist eine andere Frage. Denn schon nach der Cyber-Attacke im Jahr 2021 hätten sich viele Mitarbeitende nicht gewehrt, weil sie Angst hatten, ihre Stelle zu verlieren, sagt Domenik Seiwald. Dies ist heute wohl nicht anders.