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«Das Gegenteil von Willkommenskultur»: Martina Bircher hilft Gemeinden, Sozialhilfekosten zu senken

Mit ihrer Firma berät Aarburger Vizestadtpräsidentin und SVP-Nationalrätin Martina Bircher Gemeinden darin, wie sie ihre Sozialhilfekosten senken können. Während eines Stadtspaziergangs mit einem NZZ-Journalisten erklärte sie ihr Erfolgsmodell. Nun hagelt es Kritik von Aargauer Ratskolleginnen.

Lange war Aarburg die Gemeinde mit der höchsten Sozialhilfequote im Kanton Aargau. Seit 2014 amtet Martina Bircher als Sozialvorsteherin. Seit einigen Jahren hat sich die Quote drastisch reduziert, Bircher konnte die Sozialhilfeausgaben von 5,5 Millionen Franken auf unter 3 Millionen senken. In einem Interview mit der AZ hat die Vize-Stadtpräsidentin vor einiger Zeit die Gründe erläutert.

Nun hat Bircher ihren Erfolg zum Geschäft gemacht, wie die NZZ am Sonntag berichtet. Sie berät Gemeinden, wie diese bei Integration und Fürsorge Millionen sparen können. Mit dem Journalisten begab sie sich auf einen «Stadtspaziergang der besonderen Art», um zu zeigen, wie sie in Aarburg den «Turnaround» geschafft habe. «Aktuell haben wir nur noch eine Sozialhilfequote von 1,9 Prozent», sagte sie zur Zeitung.

Unter Bircher sei Aarburg aus der Konferenz für Sozialhilfe SKOS ausgetreten, sie drehe jeden Rappen zweimal um, mische sich auch operativ in die Dossierführung ein, heisst es im Artikel weiter. Sozialhilfeempfänger würden akribisch kontrolliert, die Stadt mache unangekündigte Hausbesuche. Schickt eine Migrantin ihr Kind nicht in den Deutschkurs, werden laut NZZ am Sonntag die finanziellen Mittel gekürzt. «Alles ist auf Birchers Maxime ausgerichtet: Sozialhilfe darf kein Dauerzustand sein. Höchstens eine kurze, temporäre Hilfe.»

Harsche Kritik von den Aargauer Ratskolleginnen

Aus ihrem persönlichen politischen Erfolg hat Martina Bircher ein Businessmodell gemacht. Ihre Stelle als Projektleiterin bei der Post hat die Betriebsökonomin laut NZZ am Sonntag vor vier Jahren gekündet, seither baue sie ihre Firma Bircher Consulting auf. Das Startup berate Gemeinden, wie sie bei den Sozialdiensten Geld sparen können.

Der Zürcher Zeitung erzählt Bircher: «Ein Auftrag war, die Firmenkultur eines Sozialdienstes zu verändern.» Typischerweise gehe es aber darum, die Prozesse wie in Aarburg zu optimieren. Rund ein Dutzend Gemeinden habe sie schon beraten. Zu ihren Kunden gehört offenbar auch der regionale Sozialdienst Baden.

Bircher, die im Herbst Regierungsrätin werden und die Nachfolge von Alex Hürzeler antreten will, sagt zur NZZ am Sonntag: «Es liefen Wetten gegen mich, wie lange ich es durchziehe.» Bei ihren Aargauer Nationalratskolleginnen sorgt Birchers Geschäftsmodell für Kritik. «Was sie macht, ist das Gegenteil von Willkommenskultur», lässt sich die Irène Kälin (Grüne) zitieren. Sie höre aus der Region, dass Armutsbetroffene Aarburg mieden. Kälin hält es für «befremdlich», dass Bircher ihre Rezepte zum Geschäft mache, weil ja gerade die SVP immer über die sogenannte Sozialindustrie schimpfe.

Auch SP-Nationalrätin Gabriela Suter stösst es laut NZZ am Sonntag sauer auf, «dass Bircher ihre politischen Konzepte verkauft». Es dürfe keinen Wettbewerb gegen unten geben, stattdessen brauche es «eine schweizweite Vereinheitlichung der Sozialhilfe und Rechtssicherheit» Fast ein Drittel der Unterstützten seien Kinder, ruft Suter in Erinnerung, so Suter zur NZZ am Sonntag. (mn.)