
Zuschauer stellt entscheidende Frage in Strom-«Arena» – und nur eine kann antworten
Am Montag ging in weiten Teilen Spaniens und Portugals plötzlich nichts mehr. Stromausfall. In manchen Orten bis zu 18 Stunden lang.
Was auf der iberischen Halbinsel passiert ist, bedeutet ein Horrorszenario für die Initiantinnen und Initianten der Blackout-Initiative. Diese zielt darauf ab, das Bauverbot für Atomkraftwerke aufzuheben. Obwohl sich das Stimmvolk 2017 klar für dieses ausgesprochen hat.
2023 und 2024 sagte das Stimmvolk weitere zwei Male klar Ja. Ein Mal zur Energiestrategie 2050, die vorsieht, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral ist. Ein Mal zum Stromgesetz, das den Ausbau erneuerbarer Energien fördert.
Der Weg, den die Bevölkerung gehen möchte, scheint also eindeutig: in eine klimafreundliche, atomstromfreie Zukunft. Aber ist das überhaupt machbar? Darüber sinnierten in dieser «Arena»:
Aline Trede, Fraktionspräsidentin Grüne
Benjamin Giezendanner, Nationalrat SVP/AG
Gabriela Suter, Nationalrätin SP/AG
Jonas Lüthy, Präsident Jungfreisinnige
Die Ursachen für den Stromausfall in Spanien und Portugal sind noch nicht abschliessend geklärt. Doch SVP-Nationalrat Benjamin Giezendanner hat bereits eine Erklärung dafür gefunden:
«Die Ursache ist der Flatterstrom!»
Und woher kommt der «Flatterstrom»? Natürlich von den erneuerbaren Energielieferanten Wind und Solar, findet Giezendanner. Denn sowohl Solaranlagen als auch Windräder seien vom Wetter und der Jahreszeit abhängig. Ganz anders als Atomstrom, der das ganze Jahr hindurch gleichmässig Strom liefere. Daraus schlussfolgert Giezendanner:
«Wir brauchen mehr Bandstrom und weniger Flatterstrom.»
Ergo: Die Schweiz müsse das AKW-Neubauverbot aufheben. Giezendanner fügt an: «Wir müssen unsere Energiesysteme stabilisieren. Sonst haben wir Zustände wie auf der iberischen Halbinsel.»
SP-Nationalrätin Gabriela Suter beschwichtigt:
«Wir sind immer noch am Anfang dieser Energiewende. Aber sie nimmt Fahrt auf.»
Jetzt wieder über AKWs zu sprechen, sei kontraproduktiv. Die Aufhebung des Neubauverbots würde nämlich nicht automatisch dazu führen, dass die Schweiz besser gegen eine Strommangellage gewappnet sei. Denn: Kein privates Unternehmen habe Interesse, die hohen Investitionen für den Bau eines AKWs zu tätigen. Suter sagt:
«Neue AKW könnten nur mit staatlichen Subventionen gebaut werden.»
Dieses Geld würde dann beim Ausbau der Erneuerbaren fehlen, die deutlich schneller am Stromnetz angeschlossen wären als ein Atomkraftwerk.
Giezendanner überzeugen diese Argumente nicht. «Wissen Sie, was man in Spanien gemacht hat?», fragt er Suter. Und antwortet gleich selbst: «Man hat die Reaktoren heruntergefahren. Weil man Energie wegnehmen musste.»
Bei Solaranlagen könne man das nicht. Wenn es sehr sonnig sei und es eine Überproduktion von Strom gebe, könnten diese das Stromnetz überlasten. Dann geht Giezendanner argumentativ zurück zu seiner ersten Parole des Abends und fordert: Bandstrom statt «Flatterstrom». AKW statt Erneuerbare.
Es ist ein Moment von vielen, in denen die Zuschauenden Giezendanners Argumentationskette nicht so ganz nachvollziehen können. Das fällt auch der Grünen-Nationalrätin Aline Trede auf: «Sie haben zuerst gesagt, dass man AKW für genau solche Fälle wie in Spanien braucht. Und jetzt sagen Sie, man hat die AKW herunterfahren müssen.»
Warum Giezendanner sich selbst widersprechen muss, macht Trede, die an der ETH Umweltwissenschaften studiert hat, gleich klar: «Heutzutage braucht man nicht mehr Bandstrom!» Unser Stromnetz funktioniere zunehmend dynamischer. In diesem dynamischen Umfeld würde Bandstrom zum Problem werden.
Wie gebannt hört das gesamte Studio zu. Mucksmäuschenstill. Selbst Giezendanner. Selbst Moderator Sandro Brotz. Von Trede können alle etwas lernen. Sie ist jetzt im Lehrerinnen-Modus.
Mit ruhiger Stimme erklärt Trede das gesamte Schweizer Stromnetz. Und stellt dabei die Bürgerlichen schulmeisterlich in den Senkel. Sie würden lieber den zumeist berechtigten Einsprachen von Umweltverbänden die Schuld dafür geben, dass sich Neubauprojekte von Erneuerbaren verzögerten, anstatt nach Lösungen zu suchen. Sie würden lieber ein demokratisches Instrument – die Verbandsbeschwerden – beschneiden, anstatt gute Projekte zu planen. Projekte, die sowohl genügend Strom bringen, als auch die Umweltgesetze einhalten würden.
Es ist nicht verwunderlich, dass Trede die einzige der vier Gäste ist, die gegen Schluss der Sendung auf Fragen des Publikums effektiv antwortet. Ohne auszuweichen. Ein Mann im Publikum bringt es auf den Punkt:
«Die entscheidende Frage ist: Kann die Versorgungssicherheit mit den erneuerbaren Energien sichergestellt werden?»
Eine überzeugende Antwort darauf habe er bis jetzt noch nicht gehört.
Trede kann sie geben, diese Antwort. Sie lautet: Ja.
Vier Universitäten hätten sich der Frage gewidmet, wie die Schweiz ihre Stromversorgung bis 2035 sicherstellen könne. Diese hätten drei Szenarien erstellt, mit denen das möglich wäre. «Es gibt sogar ein Szenario, in dem man es schaffen würde, die Stromversorgung sicherzustellen, ohne Atomstrom und ohne Windenergie», sagt Trede. Weil sich Windräder nicht sonderlich grosser Beliebtheit erfreuen würden. Trede schlussfolgert:
«Mit Solar, mit Wasser und mit Biomasse ist es möglich.»
Als Trede endet, ist abermals Ruhe im Saal. Keiner von rechts ruft eine Parole oder widerspricht. Suter kann nichts mehr hinzufügen. Niemand im Publikum rutscht unsicher auf der Bank herum. Sogar Brotz steht der Mund offen.
Es scheint fast, als hätte Trede die Angst vor einem schweizweiten Blackout mit ihrem Fachwissen weggepustet. Wenigstens für einen klitzekleinen Moment. Wenigstens im Studio 8.