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Ein krankes System: Hausärzte sind auf dem Land Mangelware

In der Kolumne Stadtflucht berichtet unsere Autorin von ihren Erfahrungen als Neuzugezogene auf dem Land. Sie hat mehr als zwei Jahrzehnte in der Stadt gewohnt.

Es begann ziemlich gut, da am Briefkasten. Ein warmer Augustmorgen, kurz nach unserem Umzug ins Glarnerland. Ich hielt die Rechnung für die Krankenkassenprämie in der Hand. Und hätte am liebsten laut in die Bergwelt rausgejauchzt. Wenn man begreift, dass die monatliche Prämie nach dem Kantonswechsel mit 200 Franken weniger zu Buche schlägt, ist das schon ein Grund, sich mal so richtig zu freuen. Ich meine: 2400 Stutz im Jahr, wow. Viel Geld in Zeiten, wo alles teurer wird.

Und dann kam das neue Jahr und ein Husten, der mich mit Vorliebe nachts schikanierte und dem auch nach zwei Wochen die Luft nicht ausging. Sogar mein Mann, der nie zum Arzt geht, meinte, ein Besuch beim Doktor wäre vielleicht angebracht. Also nahm ich das Telefon in die Hand und wählte den erstbesten Hausarzt an.

Ich dachte, dass das hier auf dem Land keine grosse Sache sei, einen zu finden. Ja, dass das ähnlich läuft wie beim Bergdoktor im Fernsehen. Der hat immer Zeit, da gibt es nicht mal ein Wartezimmer, man spaziert einfach rein, sagt nett «Grüss Gott» und der Doktor zückt sogleich das Stethoskop. Sogar in seiner Freizeit kommt er gerne zum Check bei seinen Patienten zu Hause vorbei und hat als Supplement gleich noch die Lösung bei privaten Dramen parat.

Okay, ganz so filmreif habe ich es mir natürlich nicht vorgestellt. Auch nicht derart persönlich, ich komme mit meinen Dramen alleine klar. Aber auch nicht, dass ich es nicht einmal bis ins Wartezimmer schaffen würde. Die wenigen Hausärztinnen und -ärzte in der Region klapperte ich alle telefonisch ab. Der Tenor: «Wir nehmen keine neuen Patienten auf, die Kartei ist voll.» Ein Praxisassistent war redseliger, beklagte sich, dass es im Kanton viel zu wenig Hausärzte gäbe, «beschweren Sie sich bei der Gesundheitsdirektion in Glarus».

Wohl besser direkt in Bern. Dort versprach die Politik – der Herr Berset – vor zehn 10 Jahren, dass in 10 Jahren, also heute, das Problem des Hausärztemangels gelöst sei, man mache den Job attraktiver. Irgendwas scheint da schiefgelaufen zu sein, die Situation ist jetzt viel prekärer als damals. Und das nicht nur im Glarnerland, nicht nur in der Schweiz, auch in Deutschland und Österreich, wo der Bergdoktor herkommt. Viele Hausärzte stehen kurz vor der Pensionierung, neue kommen kaum nach. Weil sich die Jungen alle spezialisieren, sei es auf Hals-Nasen-Ohren, auf den Magen, aufs Untenrum – deutlich lukrativere Jobs.

Und der Patient? Weil die Hausärzte langsam aussterben, ist er gezwungen, den teureren Spezialisten aufzusuchen, obwohl das vielleicht gar nicht nötig wäre. So wie bei mir. Jetzt ist der Husten zwar weg, aber die Rechnung, die ich erhalten habe, gesalzen. Wenn das Geld beim Spezialisten zerrinnt, ist die Freude über tiefere Prämien dahin. Kein Wunder, explodieren die Kosten im Gesundheitswesen. Dieses System krankt gewaltig. Das ist viel schlimmer als ein hartnäckiger Husten.