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Wie das Steuergesetz trotz Bschiss-Vorwurf und Holperstart eine Mehrheit fand

Nach etwas Irritation mit überraschenden Gemeinderesultaten zu Beginn stand am Ende ein klares Ergebnis: Gut 54 Prozent der Stimmenden sagten Ja zur Steuergesetzrevision. Warum das eine linke Gegnerin, der Finanzdirektor und ein FDP-Befürworter alle als Erfolg werten.

Die ersten Resultate zur Steuergesetzrevision liessen aufhorchen: Gleich mehrere kleine, konservativ stimmende und rechtsbürgerlich wählende Gemeinden sagten Nein. Sollte sich eine Überraschung anbahnen, eine unheilige Allianz zwischen ärmeren Dörfern auf dem Land und links-grün dominierten Städten? Hätte sich die Entwicklung fortgesetzt, wäre eine Überraschung – ein Nein zur Steuersenkungsvorlage – möglich gewesen.

Doch schon kurz nach 11 Uhr zeigte sich: Der vermeintliche Trend war ein Strohfeuer, als der Kanton die Ergebnisse von 173 Gemeinden publizierte, lag die Ja-Mehrheit bei knapp 55 Prozent. Auch eine halbe Stunde später, als 192 Gemeinderesultate vorlagen, hatte sich der Zwischenstand nur minim verändert. Dann ging das grosse Warten los, es dauerte mehr als eine Stunde, bis auch die letzten fünf Gemeinden ausgezählt waren.

Gegnerin: «Das Resultat ist ein grosser Erfolg»

SP, Juso und Gewerkschaften trafen sich am Abstimmungssonntag im Garten des Volkshauses Aarau zum Brunch. Kurz vor dem Mittag war die Stimmung etwas gedrückt – aber SP-Co-Präsidentin Lucia Engeli sagte: «Es ist noch nicht fertig, einige Städte fehlen». Grossrätin Carol Demarmels war weniger hoffnungsvoll: «Statistisch ist klar, dass es nicht mehr reichen wird», sagte die diplomierte Mathematikerin.

Sie hoffte noch auf die Städte: Lucia Engeli, die neue Co-Präsidentin der SP, im Interview mit Tele M1.
Bild: Fabio Baranzini

Und so kam es denn auch: 54,1 Prozent der Stimmenden nahmen die Revision an, die tiefere Vermögenssteuern und höhere Kinderabzüge bringt. «Wir hätten uns natürlich eine Ablehnung gewünscht, aber das Resultat ist ein grosser Erfolg», sagte Demarmels. Mit einem Nein-Anteil von 46 Prozent hätten SP, Grüne und EVP, die gemeinsam das Referendum ergriffen, ihren Wähleranteil deutlich übertroffen.

Reiche profitieren und sagen deshalb Ja?

Das sollte der Regierung zu denken geben, fand die SP-Finanzexpertin: «Wenn nur knapp mehr als die Hälfte der Bevölkerung eine Steuersenkungsvorlage annimmt, muss der Regierungsrat sich überlegen, ob er auf dem richtigen Weg ist». Der Verteilmechanismus sei falsch, es profitierten nur Reiche, deshalb sei die Zustimmung auch in wohlhabenden Gemeinden am grössten.

Dass gerade Ennetbaden, eine links-grüne Hochburg, die Steuervorlage annahm, gab Demarmels zu denken. Stimmten die Menschen nach dem Portemonnaie und nicht nach ihrer politischen Überzeugung ab? «Auch ich stelle mir die Frage, ob die Mehrheit der Bevölkerung mit Blick auf sich selber entschieden hat», sagte die Grossrätin. Die SP hingegen mache immer Politik für alle, ergänzte sie.

Befürworter: «Zuerst ein leicht diffuses Bild»

Bei den bürgerlichen Befürwortern, die sich im Gasthof zum Schützen in Aarau trafen, herrschte nach den ersten Ergebnissen leichte Verunsicherung. Kampagnenleiter und FDP-Grossrat Stefan Huwyler sagte, die Ablehnung in ländlichen Gemeinden wie Zeihen und Schinznach habe zuerst ein etwas diffuses Bild ergeben. «Das änderte sich aber mit der Annahme in den eher linken Gemeinden Ennetbaden und Staufen», freute sich der Freisinnige.

Stefan Huwyler, FDP-Geschäftsführer und Kampagnenleiter, verfolgt im «Schützen» in Aarau die Resultate.
Bild: Fabio Baranzini

Huwyler gab sich um den Mittag zuversichtlich, dass der Ja-Anteil nicht mehr unter 54,5 Prozent fallen werde. Er sollte sich täuschen, doch auch die 54,1 Prozent reichten am Ende komfortabel. «Man darf nie davon ausgehen, dass es ein sehr deutliches Resultat gibt», sagte der FDP-Geschäftsführer. Tatsächlich fiel das Ja etwas weniger klar aus als vor drei Jahren: Im Mai 2022 hatten 56,7 Prozent der Stimmenden eine Gewinnsteuer-Senkung für Unternehmen gutgeheissen.

Steuerbschiss-Slogan verfingt erneut nicht

Schon damals hatten die linken Gegnerinnen und Gegner von einem Steuerbschiss gesprochen, auch diesmal stand das Schlagwort wieder auf ihren Plakaten. Zudem reichte die SP eine Beschwerde ein, weil in den offiziellen Unterlagen zur Abstimmung nicht transparent dargestellt sei, wer profitiere und wer nicht. «Das war die erste Abstimmungsbeschwerde bei einer kantonalen Vorlage», sagte Finanzdirektor Markus Dieth, «und sie hat sicher für etwas Verunsicherung gesorgt».

Dieth betonte, das Verwaltungsgericht habe die Beschwerde abgewiesen, der Regierungsrat habe sich korrekt verhalten. Auch das Ergebnis der Abstimmung sei sehr erfreulich, «ein Meilenstein in der Steuerstrategie, die vom Grossen Rat beschlossen wurde». Nach der letzten Revision mit Fokus auf Firmen hätte sich die Stimmberechtigten nun für eine Entlastung von Familien und tiefere Vermögenssteuern ausgesprochen.

Finanzspezialisten im Austausch: Regierungsrat Markus Dieth im Gespräch mit FDP-Fraktionschef Silvan Hilfiker.
Bild: Fabio Baranzini

Mit dem Ja vom Sonntag ist ein Teil der zusätzlichen Belastung der Bevölkerung kompensiert, der durch Neuschätzung von Liegenschaften und höheren Eigenmietwert entsteht. Ausgeglichen sind rund 150 von 190 Millionen Franken, die restlichen 40 Millionen sollen mit der Steuerreform 2027 folgen. Zudem sei das Ja ein Schritt auf dem Weg des Aargaus, bei allen Vermögens- und Einkommenssteuertarifen unter den ersten zehn Kantonen zu erreichen, betonte Dieth.