
Nach Schiffsunglück mit sieben Toten vor Sizilien: Untergang der «Bayesian» bleibt rätselhaft
Von der einstigen Traumjacht ist die schiere Grösse, nicht aber ihr Glanz übrig geblieben: Als die 56 Meter lange und 11 Meter breite «Bayesian» am frühen Samstagmorgen von zwei grossen Kränen auf schwimmenden Plattformen aus dem tiefblauen Meer vor der sizilianischen Nordküste gehoben wurde, präsentierte sich ihr einst königsblauer Stahlrumpf verblichen und verdreckt; die edlen Hölzer des Decks waren grau geworden. Vom 72 Meter hohen Mast war nur noch ein Stumpf zu sehen: Der Stolz der «Bayesian» – es soll sich um den höchsten Mast der Welt gehandelt haben – war schon einige Tage vor der Bergung abgesägt worden und soll bis spätestens Montag ebenfalls geborgen werden. Die Bergung hat laut italienischen Medien 25 Millionen Euro gekostet.
Zehn Monate war das Segelschiff am Meeresgrund gelegen; am Sonntag sollte die «Bayesian» zu ihrer definitiv letzten Fahrt aufbrechen: Das Wrack wird in den nahegelegenen Hafen von Termini Imerese geschleppt, wo die 18’000 Liter Treibstoff, die sich immer noch in ihren Tanks befinden, abgepumpt werden und wo sie anschliessend von Nautik- und Unfallexperten Zentimeter für Zentimeter untersucht wird.
Zu diesem Zweck wird sie auf ein Stahlgerüst gehievt, das in Termini Imerese bereits bereitsteht. Zunächst muss das Wrack aber dekontaminiert werden, hiess es am Sonntag von Seite der Behörden. Dies werde etwa zwei Wochen in Anspruch nehmen. Von der Arbeit der Experten erhoffen sich die italienischen Ermittler Aufschlüsse über den Unfallhergang.
Die «Bayesian» war in der Nacht auf den 19. August 2024 etwa 700 Meter vor dem sizilianischen Küstenort Porticello bei Palermo vor Anker liegend von einem äusserst heftigen Sturm erfasst worden; innerhalb von 16 Minuten versank sie mit dem Bug voran senkrecht im Mittelmeer. An Bord befanden sich 22 Personen – 12 Passagiere und 10 Crew-Mitglieder –, darunter der 59-jährige britische Tech-Milliardär Mike Lynch, seine 18-jährige Tochter Hannah und seine Ehefrau Angela Bacares, die als Besitzerin der Segeljacht eingetragen war.
Lynch, seine Tochter und fünf weitere Personen konnten sich in der Unglücksnacht nicht mehr aus ihren Kabinen retten und ertranken; die übrigen Passagiere und Crew-Mitglieder wurden von einer anderen Jacht, die sich in der Nähe befand und vom Sturm unbeschädigt blieb, aus dem Meer gezogen und an Bord genommen.
Rumpf ist intakt: Wurden die Luken zu spät geschlossen?
Nach der Bergung der «Bayesian» und einem ersten Augenschein sind die Ursachen des Schiffbruchs eher noch rätselhafter als zuvor. Denn der Rumpf des Schiffs, das wie einst die «Titanic» als «unsinkbar» galt, scheint völlig intakt: Keine Risse, schon gar kein Loch. Auch sämtliche Türen und Luken waren geschlossen.
Wenn also schon vor dem Untergang Wasser in den Rumpf und in den Maschinenraum eingedrungen wäre, dann wären eventuell offen stehende Luken wohl erst auf dem Höhepunkt des Sturms und kurz vor dem Untergang geschlossen worden – automatisch oder von Hand, aber jedenfalls zu spät. Das würde auf einen Fehler der Crew hindeuten. Tatsächlich ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den neuseeländischen Kapitän und zwei weitere Besatzungsmitglieder wegen fahrlässiger Tötung infolge schwerer Versäumnisse.
«Die ‹Bayesian› ist jedenfalls nicht von einem Torpedo versenkt worden», erklärte ein Besatzungsmitglied des italienischen Küstenwacheschiffs Dicotti, auf welchem Medienvertreter am Wochenende die Bergung aus nächster Nähe mitverfolgen konnten. Er spielte damit auf die diversen Verschwörungstheorien an, die nach dem Untergang der «Bayesian» entstanden waren.
Der Umstand, dass der Tech-Tycoon Michael Lynch seine Software möglicherweise auch an den israelischen Geheimdienst Mossad und an den britischen Secret Service MI5 geliefert hatte, beflügelte die Fantasie nicht weniger Journalisten, vor allem in England. Diesen Theorien zufolge könnte sich an Bord der «Bayesian» auch ein Tresor mit geheimen Datenträgern befunden haben, auf die es internationale Agenten abgesehen haben könnten.
Sabotage eher nicht
Sabotage scheint nun aber angesichts des intakten Rumpfes als Ursache des Untergangs eher ausser Betracht zu fallen. Es verbleiben als mögliche Auslöser die von der Staatsanwaltschaft und vom italienischen Hersteller der Jacht vermuteten Pflichtverletzungen der Crew – oder ein Konstruktionsfehler der Mega-Jacht.
Experten der britischen Untersuchungsbehörde für Seeunglücke (Marine Accident Investigation Branch) vermuten, dass die Bayesian für extreme Windverhältnisse eben doch nicht gerüstet gewesen sei und dass eine seltene, besonders tückische Windhose am Unglück schuld gewesen sei: Ein heftiger Fallwind – ein unter Seeleuten gefürchteter sogenannter Downburst – könnte das Schiff erfasst und unter Wasser gedrückt haben.
Die nächsten Monate werden zeigen, ob die Experten in Termini Imerese das Geheimnis um das Sinken der unsinkbaren «Bayesian» werden lüften können.