
«Totes Ross reiten»: So gruselig war die AKW-«Arena»
Stockdunkel ist es im Studio 8 am Leutschenbach. Auch auf den TV-Bildschirmen: Finsternis. Nur die Stimme von Sandro Brotz schallt durchs Studio und die menschenleeren Korridore: «Ein Leben ohne Strom und im Dunkeln hocken?»
Was ist da los? Will die «Arena» am Halloween-Abend den Zuschauenden das Gruseln lehren? Oder fordern die Sparmassnahmen, die beim SRF, um sich greifen, ihren Tribut? Kann sich die «Arena» kein Bild mehr leisten?
Weder noch. Thema der Sendung war die Schweizer Energiepolitik – und wie man diese nachhaltig und gleichzeitig sicher gestaltet. Müssen wir dafür neue Atomkraftwerke bauen, wollte Brotz wissen. Und hatte dafür folgende Gäste geladen:
- Susanne Vincenz-Stauffacher, Co-Präsidentin FDP
- Aline Trede, Fraktionspräsidentin Grüne
- Mike Egger, Nationalrat SVP/SG
- Stefan Müller-Altermatt, Nationalrat Die Mitte/SO
«Ihr habt falsch gerechnet!»
Für Mike Egger strahlt das SVP-Sünneli zukünftig am liebsten mit mehr Atomstrom. Die links-grüne Energiepolitik sei gescheitert, sagte er in der «Arena»:
«Wenn wir die Kernkraft in der Schweiz ersetzen wollen, dann müsste Aline Trede 7000 Windrädchen in der ganzen Schweiz aufstellen.»
Die angesprochene grüne Nationalrätin lässt das nicht auf sich sitzen: «Es wird nicht wahrer, nur weil es ständig wiederholt wird. Ihr von der SVP habt einfach falsch gerechnet!» Für Trede ist die Diskussion um neue AKW ein Ablenkungsmanöver.
Das letzte Atomkraftwerk wurde in der Schweiz 1985 in Betrieb genommen. 2019 wurde das AKW Mühleberg stillgelegt. Damit verbleiben noch vier Reaktoren in der Schweiz am Netz. Konkrete Pläne für ein neues AKW gibt es nicht. Warum also die Aufregung?
AKW durch die Hintertür?
Seit die Schweizer Stimmbevölkerung im Jahr 2017 der Energiestrategie 2050 zugestimmt hat, ist der Bau neuer Atomkraftwerke verboten.
Das passt nicht allen. Vergangenes Jahr wurde die sogenannte Blackout-Initiative eingereicht. Sie will, um den Strombedarf in der Schweiz abzusichern, «alle klimaschonenden Arten der Stromerzeugung» zulassen. Darunter verstehen die Initianten auch Atomstrom.
Der Bundesrat lehnt die Initiative ab. Energieminister Albert Rösti hat aber einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet. Dieser sieht vor, aus der Energiestrategie 2050 die Passage zu streichen, die den Bau von AKW verbietet.
Rösti gilt allgemein als Kernkraft-Turbo. «Der Volksentscheid von 2017, aus der Atomenergie auszusteigen, kam unter ganz anderen Umständen zustande. Heute haben wir eine völlig andere Ausgangslage. Wir müssen in alle Richtungen offen sein», sagte er in einem Interview mit der NZZ. Man müsse wieder über Atomkraftwerke diskutieren.
Gegnerinnen und Gegner werfen Rösti vor, so die Atomkraft durch die Hintertür wieder einzuführen. Denn würden die Initianten die «Blackout-»Initiative zurückziehen, träte der Gegenvorschlag automatisch in Kraft. Die Atomgegner müssten das Referendum ergreifen, um die grundsätzliche Erlaubnis, neue AKW zu bauen, noch verhindern zu können.
Stefan Müller-Altermatt, seit Jahren ausgewiesener Energie-Experte im Nationalrat, versteht nicht, warum SVP und FDP wieder mehr auf Atomkraft setzen wollen. Es sei eine veraltete Technologie.
«Wirklich wüst»
Bald öffnet Moderator Brotz die Diskussion. Es geht jetzt nicht mehr nur um den Zankapfel Atomkraft. Sondern allgemein darum, wie die Schweiz den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben kann.
«Also, mir gefällt das», findet Susanne Vincenz-Stauffacher.
«Man muss das nicht schönreden, es ist wirklich wüst», findet hingegen Müller-Altermatt.
«Ich finde es etwas mega Schönes», macht Trede die Kakofonie komplett.
Man könnte meinen, die Arena habe sich in ein Ästhetik-Seminar verwandelt. Die Politikerinnen und Politiker streiten darüber, ob Solarparks und Windräder etwas Schönes sind. Ob sie Teil der Natur sind oder diese eher verschandeln.
Energieprojekte sind in der Schweiz oft eine Geduldsprobe. Weil verschiedenste Interessen aufeinanderprallen – von möglichst zügigem, unbürokratischen Bau von Solaranlagen, Windrädern und Stauseen auf der einen Seite. Und Landschafts- und Naturschutz auf der anderen Seite.
Genüsslich weist Egger darauf hin, dass es schon arg seltsam sei, wenn die Grünen den Bau neuer AKW bekämpfen – gleichzeitig aber auch mit Beschwerden die Realisierung von Stauseen oder Solarparks verzögerten.
Eine schrecklich gruselige Familie
Trotz aller Meinungsverschiedenheiten: Die «Arena» zur Schweizer Energiepolitik lief über weite Teile harmonisch ab. Was erstens daran liegt, dass sich die vier Gäste gut kennen. Sie alle politisieren in der Energiekommission des Nationalrats.
Zweitens bestanden tatsächlich verwandtschaftliche Beziehungen auf der Pro-AKW-Seite. Zwei der vier Teilnehmenden sind verschwägert:
Vincenz-Stauffacher ist die Schwiegermutter von Egger. Dieser heiratete im Mai 2025 Lisa Vincenz, die Tochter der FDP-Co-Präsidentin. Vincenz-Stauffacher scherzte:
«Je nach Thema geht es bei uns am Sonntagabend zu wie in der Arena – einfach ohne Sandro Brotz.»

Instagram/Mike Egger
Zum Schluss der Arena überbieten sich die Gäste darin, dem SRF-Publikum zu beweisen, wie nachhaltig sie leben. Mike Egger prahlt, er habe sein «Häuschen» energetisch saniert, gut isolierende Fenster eingebaut und eine Luftwärmepumpe installiert.
Sie habe Solaranlage, Wärmepumpe, Erdsonde und Warmwasserkollektor, kontert Trede. Und Müller-Altermatt komplettiert das Bild: Er habe auch saniert und dabei einen Induktionsherd eingebaut, der nur noch 15 Prozent des Stroms des alten Herds verbrauche.
Ohne dass es explizit angesprochen worden wäre, weisen die Politikerinnen und Politiker damit auf ein zentrales Problem hin: Wer das Gehalt eines Parlamentsmitglieds bezieht, kann problemlos energieeffizient leben. Für viele Schweizerinnen und Schweizer ist das nicht so einfach.




