
Der Aargau will mehr Kulturtouristen anlocken, nur wie?
Nur 1,6 Prozent der Landesbevölkerung bezeichnet sich als Kulturtouristen. Aber vermutlich nur, weil sie Kultur und Tourismus nicht recht verknüpfen können. Das will Holger Czerwenka, Direktor von Aargau Tourismus, unbedingt ändern. «Kultur wird der Schnee von morgen sein», stapelte er gleich richtig hoch. Im Aargau sei alles vorhanden, was ein Kulturkanton braucht. Jetzt müsse man das nur noch vernetzen.

Bild: Raphaël Dupain
In diese Kerbe schlug die Lenzburger Stadträtin Barbara Portmann. Sie vertrat kurzfristig Stadtammann Daniel Mosimann, der ganz im Zeichen der Stapferhaus-Ausstellung «Hauptsach gsund» mit einer Grippe im Bett lag. «Lenzburg versteht sich als kultureller Mittelpunkt des Aargaus». zeigte sich Portmann selbstbewusst.

Bild: Raphaël Dupain
Sie zählte auf, dass Stapferhaus, Schloss und Museum Burghalde allein schon rund 200’000 Besuchende jährlich anlocken. «Wenn diese je nur einen Kaffee trinken, gäbe das schon einen schönen Mehrwert für die Stadt.» Ganz zu schweigen davon, was es bedeuten würde, wenn sie alle sich ein Abendessen in der Altstadt gönnten.
Genau das war Czerwenkas Ziel: Das Zusammenspannen von Angeboten, die nicht per se zusammengehören: Brunch auf dem Schloss, morgens Stapferhaus, nachmittags Therme oder ein Konzert mit Hotelübernachtung.
«Wir sind der Albtraum jedes Werbebüros»
In der Praxis kann das keiner besser nachfühlen als Michael Arnold, der kaufmännische Leiter des Stapferhauses, in dem die Kulturtagung stattfand. Ein Museum sucht immer Publikum. An wen richtet sich das Stapferhaus? «An alle – wir sind der Albtraum jedes Werbebüros», sagte er grinsend. Aber: Das Stapferhaus ist auch das europäische Museum des Jahres 2020, ein Labor der Lebenskunst, und lockt pro Ausstellung an die 100’000 Besuchende an.

Bild: Leandra Sommaruga
Wie findet das Stapferhaus ständig neue publikumswirksame Themen? «Wir suchen im Hier und Jetzt, wir wollen den Nerv der Zeit treffen.» 2018 beispielsweise hiess die Ausstellung «Fake – die ganze Wahrheit». Arnold sagte: «Die Ironie ist, dass wir damals dachten, das Thema sei aktuell.»

Bild: Raphaël Dupain
Im Stapferhaus macht man sich viele Gedanken drüber, wie mehr Publikum angelockt werden kann. Schülerinnen und Schüler interessieren sich wenig für sie, darum suche man Kooperationen mit Kanton und Schulen. Gar nicht selten kämen die jungen Leute dann mit ihren Familien gleich nochmals in dieselbe Ausstellung. Auch Firmenanlässe oder Rabatte, auch in der AZ, würden helfen, neues Publikum gwundrig zu machen.
Kultur im Aargau begann vor 100’000 Jahren
Hier setzte Landammann Dieter Egli ein. «Kultur weckt Emotionen und schafft Bilder im Kopf», sagte er und trug fast im Sinne eines Spoken Word Artists seine Lieblingskunst vor. Vom Wirtshausschild zum Goldenen Adler in Rheinfelden über das Neujahrskonzert der Argovia Philharmonics bis hin zur katholischen Kirche Ennetbaden. «Ich bin ein Fan brutalistischer Architektur», erzählte er lachend.

Bild: Raphaël Dupain
«Kultur ist das Nachhaltigste, was es gibt. Sie ist überall, wenn man sie entdeckt.» Sie sei immer wieder neu und doch beständig. «Und sie soll nicht nur elitär sein, sondern erlebbar und zugänglich.» Er zeigte sich überzeugt: «Das können wir.» Und wenn die Aargauerinnen und Aargauer erkennen, welche Kulturschätze, -leuchttürme und -highlights es überall im Kanton zu bestaunen gibt, dann werden alle zu Kulturbotschafterinnen und Kulturbotschaftern.
Wie leicht Menschen für Kultur zu begeistern sind, bewies das Duo Calva. Die beiden Cellisten – der eine ein beliebter Lenzburger Musiklehrer, der andere Zürcher – machen die klassische Musik mit viel Witz einem breiten Publikum zugänglich. So spielten sie Mozarts Zauberflöte in der Orchesterinstrumentalisten-Lieblingsversion, nämlich in 63 Sekunden inklusive Pause.

Bild: Raphaël Dupain
Ihre Vorstellung entsprach genau den Worten von Georg Matter, dem Leiter Kultur des Kantons: «Kultur soll nicht nur unterhalten, sondern sie bereichert und stärkt das Individuum wie auch die ganze Gesellschaft.» Der Aargau hat schliesslich einen Ruf zu verlieren: Der älteste archäologische Fund im Aargau, der 100’000 Jahre alte Faustkeil von Zeiningen, ist der Anfang der Aargauer Kultur. Die älteste Schweizer Kantonsschule steht in Aarau. Aber vor allem wurde der Aargau schon im 19. Jahrhundert Kulturkanton genannt.