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Putins Gas fliesst wieder – warum die Deutschen dennoch ihre Pools nicht mehr heizen dürfen

Nord Stream 1 ist wieder in Betrieb – allerdings nur zum Teil. Russland ist «unsicherer Lieferant», sagt Wirtschaftsminister Habeck und meint: Der Kremlchef erpresst Europa. Die Regierung in Berlin zieht Konsequenzen.

Wenn es nicht läuft sind die Kanadier schuld. So viel steht schon mal fest – zumindest für alle, die Wladimir Putin für einen aufrichtigen Mann halten. Er wisse ja nicht, erzählt der russische Präsident seinen Staatsmedien, in welchem Zustand die Siemens-Gasturbine nach ihrer Wartung aus Nordamerika zurückkommen werde. Vielleicht funktioniere der Transportrotor ja nur ein paar Tage. Vielleicht sei da ja eine «Abschaltautomatik» eingebaut worden.

Kremlchef Wladimir Putin.
Mikhail Klimentyev / AP

Seit Tagen ist «die Turbine» ein grosses Thema – nicht nur in Berlin. Das Teil war zur routinemässigen Wartung in Montreal – und nach deren Ende stoppte Kanadas Regierung wegen der Sanktionen den Rücktransport. Bis die deutsche Regierung die Verbündeten drängte, sie doch zurück nach Russland zu lassen. Weil Putin so tat, als hänge an der Turbine die halbe russische Lieferkapazität.

Am Donnerstagmorgen jedenfalls strömt das Gas. Vom deutschen Ende der im nordwestrussischen Wyborg beginnenden Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 wird gemeldet: Wir messen Zulauf. Am Morgen ist es wenig, im Lauf des Tages steigt die Gasmenge. «30 Prozent» der Kapazität, twittert Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur. Der bereits auf staatliche Unterstützung angewiesene Gas-Importeur Uniper teilt mit, man erhalte seit Donnerstagmorgen etwa 40 Prozent der bestellten Menge. Laut Müller ist nach der Routinewartung der Pipeline «nicht das schlimmste Szenario eingetreten, aber von Entwarnung kann ich noch nicht reden».

Baerbock wirft dem Kremlchef «Willkür» vor

Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Christian Bruna / EPA

So sieht man das auch in der Bundesregierung. Am Vormittag will die Aussenministerin nicht von einem Tag der Erleichterung sprechen. «Willkür» wirft Annalena Baerbock Putin vor. Und dass der seinen Angriffskrieg «nicht nur mit Waffen» führe – sondern auch mit Energie. Schon seit Tagen heisst es in Regierungskreisen, die Turbine werde gar nicht gebraucht, damit Gazprom was bestellt sei auch liefere.

Wo das Teil am Donnerstag wirklich ist, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Die Regierung schweigt so tief wie Siemens Energy, der Bundeswirtschaftsminister sagt, dass er es weiss – aber erst reden wird, «wenn sie Gazprom übergeben worden ist». Nur das verrät Robert Habeck: «Sie war Anfang der Woche in Deutschland.» Was Habeck dagegen betont in der zweiten Hälfte der Wochenmitte:

«Russland ist ein unsicherer Energielieferant geworden.»

Und was der Minister sagt, bedeutet: Russland erpresst Europa mit seinem Gas.

Jetzt wird die Braunkohlereserve angezapft

Um dieses Potenzial zu minimieren, packt Habeck am Nachmittag ein weiteres «Energiesicherungspaket» aus. Die Gasspeicher müssen rascher besser gefüllt sein; statt 90 nun 95 Prozent bis zum 1. November. Zum 1. Oktober wird nach der Steinkohle- nun auch die Braunkohlereserve aktiviert – um so wenig Gas wie möglich in Strom zu verwandeln.

Behörden und sonstige öffentliche Einrichtungen dürfen im Winter Flure und Foyers nicht heizen, die Wirtschaft soll ihre Mitarbeiter ins Homeoffice schicken, Privatleute müssen ihre Gasheizungen auf Effizienz prüfen lassen – und in ihren persönlichen Pools im Kaltwasser schwimmen. Habeck setzt als Ziel: minus 15 Prozent Verbrauch im Vergleich zu 2021. Predigt «Solidarität». Und übersetzt das mit «sich gegenseitig helfen».

Gemeint sind hier auch die EU-Partnerländer. Indes: Habecks Kollegin in Madrid hat gerade Richtung Berlin gestichelt, die Spanier hätten ja nicht über ihre Energiegrenzen gelebt. Und Ungarn antichambriert in Moskau für mehr statt weniger Gas.