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Exhibitionismus-Fall: Der Angeklagte war ein Mitte-Politiker – Parteipräsidentin Marianne Binder ist bestürzt

Der 54-jährige Aargauer Politiker, der an der Aare im Niederamt in 35 Fällen junge Frauen und Mädchen belästigt haben soll, gehörte der Mittepartei an. Kantonalpräsidentin Marianne Binder sagt auf Anfrage, der Beschuldigte werde aus der Partei austreten.

Es sind gravierende Vorwürfe, für die sich ein Aargauer Politiker vor dem Richteramt Olten-Gösgen wird verantworten müssen: Die Staatsanwaltschaft Solothurn wirft dem heute 54-Jährigen mehrfachen Exhibitionismus und mehrfache sexuelle Handlungen mit Kindern vor. Der Mann hatte in den Jahren 2017 bis 2022 an der Aare im Niederamt westlich von Aarau sein Unwesen getrieben.

Gemäss der Mitteilung der Staatsanwaltschaft entblösste er sich vor Mädchen und jungen Frauen, dies in insgesamt 35 Fällen. Der mutmassliche Exhibitionist soll auch vor den Opfern masturbiert haben. Zudem soll er gemäss Informationen dieser Zeitung diese in manchen Fällen aufgefordert haben, ihm dabei zu helfen. Festgenommen wurde der Beschuldigte im Sommer 2022, kurz nachdem er zwei Mädchen belästigt hatte – diese konnten der Polizei eine gute Beschreibung liefern.

Parteipräsidentin ist bestürzt über Anschuldigungen

Recherchen dieser Zeitung ergaben, dass der Angeklagte ein Politiker der Mitte Aargau ist. Dies bestätigt Marianne Binder, Präsidentin der Kantonalpartei, am Dienstagabend auf Anfrage: «Leider haben sich die Gerüchte bewahrheitet. Es handelt sich um ein Mitglied unserer Partei, wie unsere Abklärungen ergaben.» Binder sagt weiter: «Für mich kam das völlig unerwartet und wir sind bestürzt über diese schweren Anschuldigungen.»

Sie hatte am Dienstagabend telefonischen Kontakt mit dem Beschuldigten und sagt: «Aufgrund des laufenden Verfahrens hat er den sofortigen Parteiaustritt erklärt.» Der mutmassliche Exhibitionist sass einst als Kantonsparlamentarier im Grossen Rat und kandidierte im vergangenen Herbst auf einer Unterliste der Mitte für den Nationalrat. Auf eine direkte Anfrage dieser Zeitung für eine Stellungnahme reagierte der Mann nicht.

Psychotherapeut: «Beim reinen Exhibitionismus geht es um Macht»

Damit bleibt die Frage offen, wie ein Mann, der eine politische Karriere hatte und als Nationalratskandidat antrat, zum Exhibitionisten werden konnte. Psychotherapeut Thomas Estermann ordnete den Fall in einem Beitrag von Tele M1 ein. Er erklärte, dass es den Exhibitionisten nicht nur um den sexuellen Kick gehe. «Beim reinen Exhibitionismus geht es um Macht. Es geht darum, den jungen Frauen und Kindern einen Schrecken einzujagen», sagt er gegenüber dem Regionalsender.

Thomas Estermann bezweifelt, dass jemand lediglich für den sexuellen Kick die ganze Karriere aufs Spiel setzen würde. «Wenn es eine Zwangserkrankung ist, ist man seiner selbst nicht mächtig», erklärt er. Zudem führt der Psychotherapeut aus: «Man würde meinen, dass er als Politiker eine gewisse Rationalität hat. Wenn er aber gegenüber Frauen so Macht ausübt, ist das ein starker Hinweis dafür, dass irgendetwas in ihm total klein und kümmerlich ist.»

Der Angeklagte gibt seine Taten teilweise zu, deshalb befindet er sich unter Ersatzmassnahmen auf freiem Fuss. Ob es sich bei diesen Massnahmen um eine elektronische Fussfessel, eine regelmässige Meldepflicht bei der Polizei oder ein Rayonverbot handelt, beantwortet die Staatsanwaltschaft nicht. Laut Thomas Estermann muss vor der Gerichtsverhandlung abgeklärt werden, inwiefern der 54-Jährige für seine Taten verantwortlich ist oder ob es sich um eine Krankheit handelt. Der Psychotherapeut geht aber davon aus, dass der Mann mit einer Strafe rechnen muss.