
Wer bezahlt die Arztkosten, wenn eine Touristin stirbt? So entschied das Bundesgericht in einem Fall im Freiamt
Die Weihnachtstage hatte sich Liridona (alle Namen geändert) 2018 ganz bestimmt anders vorgestellt. Ihre 80-jährige Mutter Marijana war aus dem Kosovo angereist, um mit ihrer Tochter in Villmergen die Feiertage zu verbringen. Doch ihre gemeinsame Zeit wurde durch einen tragischen Vorfall jäh beendet.
Am 25. Dezember erlitt Marijana einen Schlaganfall und musste ins Spital eingewiesen werden. Nur neun Tage später verstarb sie an den Folgen des Hirnschlags. Zurückblieben die grosse Trauer bei der Tochter und den Angehörigen im Kosovo – und eine Spitalrechnung von 34’000 Franken.
Die Diskussion darüber, wer für diese Summe aufkommt, endete in einem jahrelangen Rechtsstreit, der nun fast vier Jahre später vor Bundesgericht endete.
Tochter bestand auf finanzielle Hilfe des Sozialdienstes Villmergen
Ihren Lauf nahm die langwierige Geschichte mit einem Gesuch, welches das Spital und die Tochter der Verstorbenen beim Villmerger Sozialamt einreichten. Darin forderten sie die Übernahme der Behandlungskosten – jedoch ohne Erfolg. Auch ein zweites Schreiben vom Spital und mit dem genau bezifferten Betrag von 33’984 Franken blitzte bei der Dienststelle ab.
Es folgte ein Beschwerdemarathon durch verschiedene weitere Behörden und Gerichtsinstanzen. Schlussendlich entschied das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau zu Gunsten der Gemeinde. Dagegen erhoben Liridona und auch das Spital Beschwerde beim Bundesgericht. Dieses Urteil wurde nun gesprochen und veröffentlicht.
Im Urteil wird einerseits die Beschwerde der Tochter Liridona beurteilt. Diese argumentierte damit, dass ihre bedürftige Mutter zu Lebzeiten laut schweizerischem Gesetz Anrecht auf Nothilfe, sprich finanzielle Unterstützung, gehabt hätte. Mit ihrem Tod sei dieses Recht auf ihre Angehörigen übergegangen. Demnach habe der Sozialdienst Villmergen nachträglich die Behandlungskosten zu übernehmen.
Für Notlage-Hilfe muss die betroffene Person noch leben
Diesen Anspruch lehnte das Verwaltungsgericht und nun auch das Bundesgericht ab. Liridona habe bis zur Einreichung des Gesuches in Villmergen nie erwähnt, dass sie sich selbst in einer Notlage befände. Demnach habe sie kein Recht auf Sozialleistungen.
Zudem sei nach dem Tod der Mutter keine Notlage mehr zu beheben. Um eine Notlage geltend zu machen, müsse die betroffene Person in der Schweiz Anspruch auf Hilfe, Betreuung und Mittel erhalten, heisst es im Urteil.
Bei solchen Mitteln handle es sich beispielsweise um Nahrung oder Obdach, die als Überbrückungshilfe das Überleben sichern. «In diesem Sinne hat das Bundesgericht denn auch mehrfach entschieden, dass für überwundene Notlagen grundsätzlich keine Leistungen nachgefordert werden können», wird festgehalten.
Spital hätte die Gesetzeslücke umgehen können
Auf der anderen Seite galt es die Beschwerde des Spitals für die Deckung der entstandenen Behandlungskosten zu beurteilen. Auch in diesem Fall stimmte das Bundesgericht dem Verwaltungsgericht zu und wies die Beschwerde des Spitals ab. Das Spital habe keinen Anspruch auf die Übernahme der Kosten, da es sich bei der Einreichung des entsprechenden Gesuches nicht an die notwendigen Fristen gehalten habe.
Theoretisch können medizinische Dienstleistende, wenn sie eine Touristin oder einen Touristen behandeln, im Namen der betroffenen Person die Übernahme der Behandlungskosten beim Sozialhilfeorgan anfordern – sofern diese oder ihre Vertretung dem zustimmt. Stirbt eine betroffene Person jedoch, tut sich eine Gesetzeslücke auf: Für solche Fälle sieht das kantonale Recht keine ausdrückliche Regelung vor.
Damit das Spital, wie im Beispiel Marijana, diese Kosten nicht selbst tragen muss, dürfe das Krankenhaus im eigenen Namen ein Gesuch stellen. Damit ging auch das Verwaltungsgericht einig. Jedoch müsse das innerhalb einer Frist von 60 Tagen ab Behandlungsbeginn geschehen – und genau daran scheiterte das Gesuch des Spitals in diesem Fall.
Das zweite vollständige Gesuch kam zu spät
Zwar reichte das Krankenhaus ein erstes Gesuch bereits fünf Tage nach Marijanas Tod beim Sozialdienst Villmergen ein. Damals jedoch auch mit der Unterschrift der Tochter Liridona, «ohne darin ausdrücklich festzuhalten, in wessen Namen dies geschah», wie im Urteil argumentiert wird.
Das zweite, diesmal vollständige und nur im Namen des Spitals eingereichte Gesuch, erfolgte jedoch erst mit der Eingabe vom 16. Mai. Zu diesem Zeitpunkt war die 60-Tage-Frist bereits verstrichen.
Dass das Aargauer Verwaltungsgericht die Forderung des Spitals abgelehnt hat, ist laut Bundesgericht rechtmässig. Es wies die Beschwerde, die das Spital gegen diesen Entscheid erhoben hatte, wie auch jene von Liridona ab.