
Grosser Rat schickt die Umsetzung der Amtsenthebungsinitiative zurück auf Feld eins
Bernhard Guhl, ehemaliger BDP-Nationalrat und «Vater» der Amtsenthebungsinitiative im Aargau, ahnte Böses vor der Grossratssitzung am Dienstag. Auf der Traktandenliste stand die zweite Beratung zur Umsetzung der Initiative. Im Mai 2022 hiess das Stimmvolk diesemit dem rekordhohen Ja-Anteil von 84,3 Prozent respektive 131’696 Stimmen gut.
In der Verfassung steht seither: «Das Gesetz regelt die Einstellung im Amt und die Amtsenthebung von Mitgliedern von Behörden.» Das Volksbegehren hat das Ziel, untragbar gewordene Volksvertreter ihres Amtes entheben zu können. Etwa wenn sie Amtspflichten verletzt haben, ein strafrechtlich relevantes Delikt begangen haben oder gesundheitliche Gründe die Amtsausübung verunmöglichen.
Minderheit wollte der Vorlage alle Zähne ziehen
In der Erstberatung im Dezember hatte das Kantonsparlament der Vorlage mit 115 Ja zu 16 Stimmen zugestimmt. Gleichzeitig wurden drei Prüfanträge gestellt, die der Regierungsrat mit der zweiten Vorlage beantwortete. Die Kommission für Allgemeine Verwaltung beriet die Umsetzung der Initiative im Mai zum zweiten Mal. Dabei kam laut Kommissionspräsident Hanspeter Hilfiker die Frage auf, wer entscheidet, ob eine Straftat mit dem Amt eines Grossrats vereinbar ist. In einem solchen Fall habe das Büro des Grossen Rates abzuwägen, ob Massnahmen erforderlich seien.
Umstritten blieben die Meldepflicht im Sinne einer Selbstanzeige für Verurteilungen, die während der Amtsdauer erfolgen und zu einem Eintrag im Privatauszug des Strafregisters führen. Zu den Meldepflichten formulierte die Kommission verschiedene Minderheitsanträge. Einer sah vor, dass das Büro des Grossen Rats den Einheitsbeschluss nicht mit einem qualifizierten Mehr, sondern mit einem Dreiviertel-Quorum fällt.
EVP und GLP wehrten sich gegen die Minderheitsanträge und sprachen sich für den regierungsrätlichen Antrag aus. Wer strafrechtlich relevante Verurteilungen verschweigen möchte, schwäche das System, argumentierte Ruth Müri (Grüne). Wie die GLP warnte sie vor einem zahnlosen Tiger. Sollten die Minderheitsanträge angenommen werden, würden die Grünen die Vorlage ablehnen.
«Man stelle sich vor, die Meldepflicht würde abgeschafft. Wie soll das Büro des Grossen Rats an die Informationen kommen?», fragte Michael Wacker (SP). Die Mitte verteidigte die Klarheit der Vorlage. Michael Notter: «Die Bevölkerung gab uns den Auftrag, ein Gesetz mit Biss zu machen.»
SVP, FDP und EDU sind für Rückweisung
Doch am Ende ging es nicht um Detailfragen: Zur Überraschung vieler beantragte die SVP die Rückweisung. Die Vorlage sollte einer Entschlackung unterzogen werden, so Emanuel Suter. Den Volkswillen wolle die Fraktion nicht missachten.
Unliebsame Politiker könne man schon heute des Amtes entheben, indem man sie nicht mehr wähle, fügte Silvan Hilfiker (FDP) an. Die Freisinnigen hatten die Initiative von Anfang an abgelehnt. Nach einer kurzen Beratungspause hielt die SVP an dem Rückweisungsantrag fest. Die Vorlage sei massiv zu reduzieren und auf absolute Ausnahmefälle zu beschränken.
Mitte-Grossrat Markus Schneider sprach von einem «befremdenden Vorgehen». Der Rückweisungsantrag komme in letzter Minute und sei in der Kommission nicht behandelt worden. Hanspeter Hilfiker (FDP) bestätigte dies.

Bild: Raphaël Dupain
Landammann Dieter Egli zeigte sich ebenfalls irritiert über die grundsätzlichen Fragen nach der zweiten Beratung. «Wenn man ein Gesetz entschlackt, wird es nicht einfacher», so Egli. Die Initiative sei ja schon für absolute Ausnahmefälle ergriffen worden. «Ohne die Meldepflicht bringt das Gesetz nichts.»
Die SVP- und FDP-Fraktionen brachten die Rückweisung aber durch, sie wurde mit 68 zu 63 Stimmen beschlossen. Das heisst, der Regierungsrat muss eine neue Vorlage ausarbeiten.
Gegner sollen mehrheitsfähige Lösungsvorschläge machen
Der ehemalige BDP-Politiker Bernhard Guhl verfolgte die Debatte im Grossratsgebäude. «Es ist schon sehr erstaunlich, dass man in der zweiten Beratung einen Rückweisungsantrag stellt», sagte Guhl danach. «Der grösste Hammer ist, dass ein FDP-Vertreter argumentierte, die Partei habe schon immer Nein gesagt zu dieser Vorlage.» Damit meinte er Silvan Hilfiker, «den CEO einer grossen Aargauer Bank». Er habe einen Volksauftrag als Grossrat, den Verfassungsartikel umzusetzen. «Wenn er in seiner Firma auch so handelt, wie er sich im Grossen Rat geäussert hat, dann wundere ich mich, ehrlich gesagt, über diese Person», so Bernhard Guhl.

Bild: Alex Spichale
Mit der Rückweisung werde die Umsetzung verschleppt, was eine Missachtung des Volkswillens sei, fand Guhl. Für den Vater der Initiative ist die neue Ausgangslage auch ein Affront gegenüber Kommissionspräsident Hilfiker. «Man hätte ja auch dafür sorgen können, dass das Geschäft mehrheitsfähig ist.» Guhl fragt sich, wen die Gegner schützen wollten. Diese seien nun gefordert, konkrete Lösungsvorschläge zu machen.