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Die Zauberformel im Bundesrat soll fallen, Machtwechsel in der Mitte – Umfrage zeigt, wie die Wahlen ausgehen könnten

Der Wahlkampf biegt auf die Zielgerade ein. Die grosse Siegerin steht eigentlich schon fest. Zur Gejagten wird die FDP. Neu rechnet das Wahlbarometer auch für die Grünliberalen mit Verlusten.

Am 22. Oktober wählt die Schweiz ein neues Parlament. Mittlerweile läuft die heisse Phase des Wahlkampfs. Am Mittwoch hat nun die SRG ihr neustes Wahlbarometer veröffentlicht. Dafür wurden vom Forschungsinstitut Sotomo über 40’000 Personen online befragt. Wir präsentieren die wichtigsten Ergebnisse.

Die Mitte überholt die FDP

Hier kann durchaus von einem «historischen» Ereignis gesprochen werden. Die Mitte, ehemals CVP, könnte nach den Wahlen im Oktober tatsächlich vor der FDP liegen. Das hat es in der Geschichte des Bundesstaats noch nie gegeben. Im neusten SRG-Wahlbarometer liegt die Mitte nun mit 14,8 Prozent Wähleranteil 0,2 Prozent vor der FDP.

Der Kampf um Platz 3 in der Parteien-Rangliste ist aber auch noch von anderer Brisanz: Sollte die Mitte am Ende tatsächlich vor den Liberalen liegen, stellt sich auch die Frage nach einer anderen Zusammensetzung des Bundesrats. Die viel beschworene Zauberformel garantiert den drei wählerstärksten Parteien jeweils zwei Sitze in der Regierung, dem Viertplatzierten noch einen. Würden die CVP und die FDP die Plätze tauschen, würde das sicherlich Begehrlichkeiten wecken.

Ob es tatsächlich zur historischen Zäsur kommt, ist derzeit noch offen. Die Fehlerquote der Befragung liegt bei +/–1,2 Prozent. Deutlicher sind dagegen die Trends. Während die Umfragewerte der FDP gegenüber früheren Befragungen stagnieren oder zurückgehen, kann die Mitte zulegen. Alleine gegenüber der Befragung im Juli konnte die Partei weitere 0,5 Prozentpunkte dazugewinnen.

Dass es überhaupt zu diesem Kopf-an-Kopf-Rennen kommt, hat mit dem Zusammenschluss von BDP und CVP zu tun.

Die SVP wird die grosse Siegerin

Deutlich weniger spannend als der Kampf um Platz 3 ist jener um die Spitzenposition: Die Volkspartei befindet sich auf bestem Weg zu einem Start-Ziel-Sieg und dürfte mit einem souveränen Vorsprung Wahlsiegerin werden. Das Wahlbarometer attestiert der SVP einen Zugewinn von zwei Prozentpunkten gegenüber den letzten Wahlen. Damit käme die SVP auf 27,6 Prozent. Sie könnte so einen Teil ihrer Verluste gegenüber 2019 wieder kompensieren: 2015 erzielte die SVP rekordhohe 29,4 Prozent.

Entgegenkommen dürfte der SVP, dass «ihr» Wahlkampfthema immer mehr an Wichtigkeit gewinnt. Die Zuwanderung wird von 33 Prozent der Befragten als eine der wichtigsten politischen Herausforderungen angegeben. Zum Vergleich: Vor einem Jahr war das Thema nur für 20 Prozent so wichtig.

Für die Grünen und Grünliberalen wird das kein Freudentag

Der Klimawandel als dominierendes Wahlkampfthema hat dagegen ausgedient. Neu an erster Stelle auf dem Sorgenbarometer der Bevölkerung sind die Krankenkassenprämien. Bei der Klimawahl 2019 feierten die Grünliberalen und – vor allem – die Grünen satte Zugewinne. Nun droht beiderorts der Kater. Die Frage ist nur, wie heftig der ausfallen wird. Sicher ist: Die grüne Welle rollt nicht mehr.

Die Meinungsforscher prognostizieren den Grünen ein Minus von 2,5 Prozentpunkten und den Grünliberalen einen Verlust von 0,5 Prozentpunkten. Damit würden beide Parteien immer noch das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte einfahren und trotzdem wäre es gewiss kein Freudentag. Was die Grünen zumindest ein bisschen zuversichtlich stimmen kann: Gegenüber der letzten Befragung konnten sie einen halben Prozentpunkt gutmachen, Zuvor ging das Wahlbarometer noch von einem Verlust von gesamthaft drei Prozentpunkten aus.

Kleine Verschiebungen – vielleicht mit grosser Wirkung

Es ist weder mit einem Erdrutschsieg noch mit einem kompletten Absturz in der Wählergunst zu rechnen. Und doch wird sich das Mehrheitsverhältnis im Nationalrat wohl insgesamt deutlich nach rechts verschieben. Das rechte Lager aus FDP und SVP kann 1,5 Prozentpunkte zulegen. Im linken Lager kann die SP trotz Zugewinnen von einem halben Prozent den Rückgang der Grünen nicht auffangen. Rotgrün verliert derzeit gesamthaft 2 Prozentpunkte.

Damit wird es voraussichtlich einfacher für den Rechtsblock, Mehrheiten zu finden in der grossen Kammer. Das auch darum, weil in der Mitte die ehemalige CVP zulegen kann und die GLP etwas abbaut. Keine Rückschlüsse lässt die Befragung dagegen auf den Ständerat zu: Dieser wird nicht im Proporzverfahren gewählt. Hier scheint es möglich, dass sowohl die Mitte wie die FDP mit Zugewinnen rechnen können.

Kommt es erneut zur Frauenwahl?

Das Bundesparlament wurde 2019 nicht nur grüner, es wurde auch weiblicher. 84 Frauen wurden in den Nationalrat gewählt. So viele wie noch nie. Der Frauenanteil betrug 42 Prozent. Das Resultat war auch eine Folge des grossen Frauenstreiks kurz vor den Wahlen.

Beim Urnengang im Oktober planen laut dem SRG-Wahlbarometer 34 Prozent der Wählenden eher oder sicher vermehrt Frauen zu wählen. Bei den weiblichen Wählerinnen sind es gar rund 45 Prozent, die auf ihren Listen Frauen bevorzugen wollen. Traditionell stark ist der Frauen-Support bei den Grünen und bei der SP. Dort wollen 66 Prozent beziehungsweise 61 Prozent (SP) bewusst auf Politikerinnen setzen.

Praktisch kein Thema ist ein höherer Frauenanteil dagegen bei Wählerinnen und Wählern der SVP. Gerade einmal 11 Prozent wollen vermehrt Frauen wählen. Dafür scheint sich dort ein Gegentrend durchzusetzen: In der Befragung gaben 32 Prozent an, vermehrt Männer zu wählen. Bei Unterstützer der anderen Parteien ist das dagegen praktisch kein Thema.

Bundesrat: Mehrheit wünscht sich Veränderung der Zusammensetzung

Die Zauberformel muss neu berechnet werden. Zu diesem Schluss kommen 55 Prozent der Befragten im Wahlbarometer. Sie sind der Meinung, dass die parteipolitische Zusammensetzung im Bundesrat «sicher» oder «eher» geändert werden soll. Am deutlichsten ist das Interesse an einer Veränderung bei den Wählenden von Grünen und Grünliberalen, deren Parteien nicht in der Regierung vertreten sind.

Am meisten Sympathien für die Status Quo gibt es bei der FDP-Anhängerschaft. Das dürfte durchaus auch etwas Bewahrendes haben: Seit längerem steht besonders der Sitz von Ignazio Cassis im Fokus der grünen Begehrlichkeiten.

Wie der Bundesrat neu durchmischt werden soll, darüber gehen die Meinung weit auseinander. Am meisten Unterstützung (24 Prozent) bekommt der Vorschlag, dass der Block FDP-SVP einen ihrer gesamthaft vier Sitze an Mitte-Links (Grüne, GLP, SP, Mitte) abgibt. Aber auch ein rein bürgerlicher Bundesrat, also ohne die SP, stösst bei 14 Prozent der Befragten auf Anklang.

Wer wählt was?

Neben dem Parteiprofil gibt es auch ein Wählerprofil. Das neuste Wahlbarometer wählt nicht nur aus, was gewählt wird, sondern auch von wem es gewählt wird. Dabei zeigt sich, dass Männer in der Tendenz rechter wählen als Frauen. 30 Prozent der Wähler entscheiden sich für SVP, 17 für die FDP. Bei den Wählerinnen kommt die SVP auf 25 Prozent, die FDP auf 13 Prozent. Ein umgekehrtes Bild gibt es bei der SP und bei den Grünen. Hier ist eine Mehrheit der Wählenden weiblich.

Die Geschlechterverteilung ist kein neues Phänomen. Und auch die anderen Erkenntnisse bestätigen meist vor allem bekannte Trends. So werden beispielsweise die FDP und die Mitte im Schnitt von älteren Wählenden deutlich besser unterstützt als von jüngeren. Die anderen Parteien sind da ausgeglichener.

Auch Bildungsniveau und Einkommensklasse wurden abgefragt. Hier zeigt sich: Die SVP hat einen mehr als doppelt so hohen Anteil an Wählenden mit tieferer Bildung als mit höherer Bildung. Sprich: Die meisten klassischen Büezer wählen SVP. Bei den Grünen ist dagegen das Verhältnis praktisch umgekehrt: Hier haben die Wählenden doppelt so oft eine Uni oder Hochschule besucht wie eine Berufslehre gemacht.

Wenig verwunderlich: Wer über ein monatliches Haushaltseinkommen von über 10’000 Franken verfügt, der wählt am ehesten FDP oder SVP. Jene Parteien, die sich bekanntermassen für tiefere Steuern einsetzen.