
Wahlschock in Polen: Tusks liberale Allianz vor dem Scheitern
Polens liberale Kräfte stehen nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl unter Schock. «In jedem normalen demokratischen Land würde der Premierminister in einer solchen Situation zurücktreten», sagte der links-liberale Publizist und Soziologe Jacek Zakowski am Montagmorgen im Sender TOK FM. «Es ist ein Desaster: Die drei Regierungskandidaten haben zusammen nur 40 Prozent der Stimmen erreicht.»
Premierminister Donald Tusk zeigte sich am Montag nicht in der Öffentlichkeit. Sein Hoffnungsträger Rafal Trzaskowski, Bürgermeister von Warschau und Vizechef der Bürgerplattform (PO), konnte sich trotz eines Umfragevorsprungs von rund zehn Prozent nur knapp gegen Karol Nawrocki behaupten – einen parteilosen Historiker, der von Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski ins Rennen geschickt wurde.
Die von Regierung und Opposition gleichermassen als Schicksalswahl inszenierte Abstimmung mobilisierte so viele Menschen wie selten zuvor: Über zwei Drittel der Wahlberechtigten gingen am Sonntag zur Urne. Insgesamt standen 13 Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl, darunter zwei Frauen.
Doch der von Tusks Mitte-links-Regierung erhoffte Befreiungsschlag blieb aus. Die konservative Blockadepolitik des bisherigen Präsidenten Andrzej Duda dürfte sich fortsetzen. Noch gravierender: Zwei Kandidaten, die politisch rechts von Kaczynskis nationalkonservativer Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) stehen, erzielten überraschend starke Ergebnisse.

Bild: Wojciech Strozyk / AP
Nach Auszählung aller Stimmen liegt Trzaskowski mit 31,4 Prozent nur knapp vor Nawrocki, der auf 29,5 Prozent kommt – ein Vorsprung von nicht einmal zwei Prozentpunkten.
Besonders bitter für Tusk ist das schwache Abschneiden seiner beiden kleineren Koalitionspartner. Der lange als zentristische Integrationsfigur gehandelte Parlamentspräsident Szymon Holownia vom Bündnis Dritter Weg erreichte lediglich 5 Prozent, die linke Kandidatin Magdalena Biejat kam auf 4,2 Prozent. Zusammen bringt es die Regierungskoalition nur auf 41 Prozent der Stimmen.
Dem gegenüber stehen vier klar rechtskonservative Kandidaten, die laut Exitpolls gemeinsam auf über 50 Prozent kommen. Der rechtsextreme Unternehmer Slawomir Mentzen erreichte mit 14,8 Prozent den dritten Platz. Überraschend stark schnitt auch der monarchistische Skandalpolitiker und Regisseur Grzegorz Braun ab, der mit 6,3 Prozent deutlich über den Prognosen lag. Braun sprach sich noch in der Wahlnacht offen gegen Trzaskowski aus.

Bild: Szymon Pulcyn / EPA
Von Mentzens Wählerschaft erwarten Politologen, dass höchstens jeder siebte am 1. Juni in der Stichwahl zu Trzaskowski überläuft. Der Rest dürfte sich enthalten oder für Nawrocki stimmen.
Analysten erwarten schmutzige zweite Runde
Alles deutet damit auf ein äusserst knappes Rennen hin – nicht zuletzt, weil auch der linke Oppositionspolitiker Adrian Zandberg (4,9%) am Sonntagabend auf eine Wahlempfehlung verzichtete. Seine Wähler sollen frei entscheiden.
Besonders auffällig ist die massive Politisierung der jungen Generation. Der rechtsextreme Mentzen und der linksextreme Zandberg mobilisierten gemeinsam die jüngsten Wählergruppen – vor allem unter den 18- bis 29-Jährigen konnte Mentzen mit 32 Prozent klar dominieren. Auch bei den 30- bis 39-Jährigen lag er vorn – mit einer Mischung aus nationalistischen Tönen und libertären Wirtschaftsparolen à la Javier Milei.
Mentzen hatte sich im Wahlkampf konsequent als «Alternative zum alten Machtkartell» präsentiert – abseits des Duells Tusk gegen Kaczynski. In über 300 Auftritten attackierte er jedoch vor allem Trzaskowski. Das dürfte nun Nawrocki in der Stichwahl in die Karten spielen.
In Warschau rechnen alle Kommentatoren mit einem der härtesten und schmutzigsten Wahlkämpfe der jüngeren polnischen Geschichte. Für Tusk steht nicht weniger auf dem Spiel als die Zukunft der demokratischen Reformagenda seiner Regierung.