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Irène Kälin: «Wer hätte gedacht, dass ich je Marianne Binder meine Stimme geben werde? Ich nicht»

Dank tatkräftiger Unterstützung von Links-Grün wurden Marianne Binder (Mitte) im Aargau und Tiana Moser (GLP) in Zürich in den Ständerat gewählt. Was erhofft man sich bei der SP und den Grünen von der Schützenhilfe? 

Am Sonntag hat von A bis Z alles geklappt. Die Taktik von Links-Grün ist bei den Ständeratswahlen sowohl im Kanton Aargau als auch im Kanton Zürich voll aufgegangen. Mit geeinten Kräften haben SP und Grüne mithilfe weiterer Parteien im zweiten Wahlgang jeweils den Kandidaten der SVP verhindern können. Benjamin Giezendanner im Aargau und Gregor Rutz in Zürich hatten das Nachsehen. An ihrer Stelle wählte das Stimmvolk Mitte-Politikerin Marianne Binder und GLP-Vertreterin Tiana Moser (ZH) in Stöckli.

Schaut man sich ein Modell vom Peter Moser an, dem langjährigen Leiter Analyse des statistischen Amtes des Kantons Zürich, zeigt sich, dass 51 Prozent der Stimmen für Tiana Moser aus dem Lager der SP (39 Prozent) und der Grünen (12 Prozent) stammen. Bei SVP-Politiker Gregor Rutz kommen fast 90 Prozent der Stimmen von Wählenden der eigenen Partei (68 Prozent) und der FDP (19 Prozent).

Ist bei den Sozialdemokraten in Zürich nun die Freude grösser darüber, dass mit Tiana Moser eine Grünliberale in den Ständerat einzieht oder dass der Kandidat der SVP verhindert wurde? Nationalrat Fabian Molina – er hat Moser öffentlich unterstützt – sagt: «Beides.» Es sei sehr wichtig, dass der Kanton Zürich im Ständerat ausgeglichen vertreten sei. Durch einen Mann und eine Frau, durch einen Vertreter der Sozialdemokraten und eine Vertreterin aus der politischen Mitte.

Das Versprechen, Moser zu unterstützen, habe man eingelöst, so Molina. «Es zeigt, dass durch einen Zusammenschluss der SP mit der politischen Mitte viel erreicht werden kann gegen die extreme Rechte.»

Auch Bastien Girod hat Tiana Moser öffentlich den Rücken gestärkt. Mit Blick – auch Richtung Aargau – sagt der Grünen-Nationalrat: «Die Mitte und die GLP sind viel offener gegenüber grünen Anliegen als die SVP. Deswegen war es richtig, in Zürich und im Aargau die entsprechenden Kandidatinnen zu unterstützen und unsere Kandidaturen zurückzuziehen. Das wird uns helfen, Schlimmeres zu verhindern in den nächsten vier Jahren.»

Bastien Girod.
Bild: Keystone

Geschickte Taktik

Girod spricht es an: die zurückgezogenen Kandidaturen. Dieses Vorgehen hat vor allem im Kanton Aargau zur etwas überraschenden Wahl von Mitte-Politikerin Marianne Binder geführt. Im ersten Wahlgang lag die 65-Jährige mit fast 40’000 Stimmen Differenz zu SVP-Mann Benjamin Giezendanner auf Rang vier. Noch hinter Gabriela Suter von der SP.

Im zweiten Wahlgang am vergangenen Wochenende haben sich dann alle Kandidatinnen ausser Mitte-Vertreterin Binder zurückgezogen, mit dem Ziel, SVP-Nationalrat Benjamin Giezendanner zu verhindern und eine Aargauer Frau in den Ständerat zu entsenden. Binder räumte man die besten Chancen ein.

Der Plan ging auf. Marianne Binder (84’431 Stimmen) holte 5000 Stimmen mehr als ihr Kontrahent von der SVP (79’429 Stimmen).

Marianne Binder bei der Verkündung der Wahlresultate.
Bild: Valentin Hehli

Auf Anfrage sagt Grünen-Nationalrätin Irène Kälin: «Wer hätte gedacht, dass ich je Marianne Binder meine Stimme geben werde? Ich nicht. Aber ich habe es mit Überzeugung getan.» Mit dem Wahlsonntag im Oktober sei die Schweiz wieder nach rechts gerutscht, dieser zweite Wahlgang sei für den Aargau umso wichtiger gewesen. «Marianne Binder war unsere beste und einzige Chance, eine rechtskonservative Männervertretung im Aargauer Ständerat zu verhindern. Und sie hat es geschafft. Wir Frauen haben es geschafft.»

Erhofft man sich im Aargau und in Zürich nun, dass die beiden neuen Ständerätinnen daran denken, wer ihnen zur Wahl verholfen hat und deswegen vielleicht etwas öfters im Sinne von Links-Grün politisieren? SP-Co-Fraktionspräsidentin Samira Marti sagt: «Damit wir beim Klimaschutz, bei der Gleichstellung und der Kaufkraft vorwärtskommen, brauchen wir überparteiliche Allianzen. Hier hoffe ich schon, dass die beiden Frauen nicht vergessen, dass sie nur dank der überparteilichen Unterstützung gewählt wurden.»

Erfolgreiche Zusammenarbeit

SP-Nationalrat Fabian Molina geht nicht davon aus, dass sich Tiana Moser vermehrt für sozialdemokratische Themen einsetzt. «Tiana Moser hat ein klares Profil, ich glaube nicht, dass sie sich nur wegen der Unterstützung durch die SP verbiegen wird.» Es sei Moser aber bewusst, so Molina, dass sie dank der SP in den Ständerat gewählt wurde.

Auch Grünen-Nationalrätin Irène Kälin hat keine Erwartungen an Marianne Binder. «Ich hoffe aber, dass sie sich daran erinnern wird, dass ihr die Klimaallianz den Weg bereitet hat.»

Bezüglich der konkreten politischen Kooperation zwischen Mitte/GLP und Links-Grün sagt SP-Nationalrat Fabian Molina mit Blick auf die kommende Legislatur: «Ich hoffe auf die Erkenntnis der Mitte auch im Ständerat, dass es in der Europapolitik vorwärtsgehen muss. Diese Wahlen haben gezeigt, dass man erfolgreich sein kann, wenn die Linke und die Mitte zusammenarbeiten.»

Allerdings existieren im gemeinsamen Schaffen auch gewisse Schwierigkeiten. «Im ökologischen Bereich erkennt die Mitte die Probleme, manchmal fehlt bei der Lösung aber eine gewisse Konsequenz. Die GLP wiederum sieht ab und an die Notwendigkeit für den sozialen Ausgleich nicht», sagt Bastien Girod von den Grünen. Fabian Molina ergänzt: «Wir haben mit der Mitte teilweise erhebliche Differenzen, zum Beispiel bei gesellschaftsliberalen Fragen, bei gleichen Rechten für alle Menschen in diesem Land. Diesbezüglich waren diese Wahlen sicher kein Fortschritt.»