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Behindertes Paar feiert seinen 15. Hochzeitstag: «Auch wenn andere zweifelten, wir wussten, das ist für die Ewigkeit»

Aus einem Trostpflaster wurde Liebe: Yvonne und Peter Holliger gehen seit 33 Jahren gemeinsam durchs Leben. Am 7. Mai 2010 heirateten sie. Zum Jahrestag erzählt das beeinträchtigte Paar seine besondere Geschichte.

«Es gibt nur einen, und zwar dich», sagt Yvonne Holliger. Sie drückt ihrem Mann Peter einen Kuss auf die Wange und bringt ihn zum Strahlen. «Ich liebe alles an ihr», meint er und reibt sich etwas verlegen die Hände. Die Schmetterlinge im Bauch scheinen bei den Holligers auch nach 33 Jahren Beziehung nicht verflogen zu sein.

Was kitschig klingt, ist absolut echt. Das merkt man, wenn man mit den beiden plaudert. Während sich Peter Holliger zurückhaltend gibt, trägt seine Frau das Herz auf der Zunge. Und sie macht unmissverständlich klar: Ihr Herz gehört ihrem Gatten.

«Mir gefällt sein Lächeln und seine einfühlsame Art», sagt die 60-Jährige und nimmt seine Hand. Der heutige 7. Mai ist ein besonderer Tag für das Paar. Vor 15 Jahren gab es sich das Jawort. «Mein grösster Herzenswunsch ging damit in Erfüllung», so Yvonne Holliger.

Dass sie jemals so lange einen Freund haben und sogar verheiratet sein würde, das hätte sie nie für möglich gehalten, offenbart sie beim Gespräch in ihrer Wohnung der Stiftung Arwo im Langäckerquartier in Wettingen. Der Umstand, dass Yvonne und Peter Holliger eine geistige Beeinträchtigung haben, macht ihre Liebesgeschichte noch etwas spezieller.

Als sie ihm auffiel, war sie noch «besetzt»

«Ich habe zu wenig Sauerstoff bei der Geburt bekommen. Das hat zu einer Lernbeeinträchtigung geführt», erzählt Yvonne Holliger. Deshalb sei sie in die Heilpädagogische Schule in Wettingen geschickt worden. Diese besuchte auch Peter Holliger. Bei der Arbeit in der Stiftung Arwo lernten sich die beiden kennen. Der 67-Jährige hatte damals bereits ein Auge auf seine spätere Frau geworfen. «Doch sie war noch besetzt», sagt er.

Ein Foto aus der Anfangszeit: Yvonne und Peter Holliger sind seit 33 Jahren ein Paar.
Bild: Severin Bigler

Gefunkt hat es 1992 im Skilager des Vereins Insieme in Brigels. «Peter tröstete mich, nachdem ich meinen damaligen Partner beim Knutschen mit einer anderen erwischte», erinnert sich Yvonne Holliger. Er habe sie weinen sehen und sei ihr hinterhergegangen, erzählt Peter Holliger. Seit diesem Tag sind die beiden unzertrennlich.

Kurze Zeit später zog Peter in dieselbe Wohngemeinschaft, in der schon Yvonne lebte. Einfach zusammen zu sein, reichte ihm aber bald nicht mehr. Er machte seiner Yvonne einen Antrag – und erhielt prompt einen Korb. «Ich bin ein Spätzünder und musste mich zuerst selber finden, bevor ich ans Heiraten denken konnte», erklärt Yvonne Holliger. Der Sinneswandel kam beim Besuch eines Restaurants am Hallwilersee. Als sie dort einem Brautpaar begegnete, wusste sie sofort: «Das will ich auch.» Kurzerhand hielt sie um die Hand ihres Mannes an.

Ihre Eltern hatten zunächst grosse Bedenken

Wenig begeistert über die Vermählungspläne zeigte sich anfangs Yvonne Holligers Vater. «Er hatte das Gefühl, dass das nur eine Laune ist und wir es nicht ernst meinen.» Und auch ihre Mutter hatte Bedenken. «Sie bat uns, als Test zwei Jahre lang zusammenzuwohnen, bevor wir diesen Schritt wagen.» Die beiden willigten ein und bewiesen, dass ihre Liebe von Dauer ist. Weil beide trotz geistiger Behinderung und Vertretungsbeistandschaft in ihrer Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt sind, stand ihrer Trauung auch rechtlich nichts im Wege.

Heiraten können auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, wie das Beispiel von Yvonne und Peter Holliger aus Wettingen zeigt. Es sei ein höchstpersönliches Recht, über das niemand anderes, nicht mal ein Beistand entscheiden könne, sagt Renate Burri, Leiterin des Sozialdiensts der Wettinger Stiftung Arwo, auf Anfrage. Die im Artikel Porträtierten haben je einen Vertretungsbeistand, der sie etwa bei finanziellen Angelegenheiten unterstützt. Dies schränke ihre Handlungsfähigkeit jedoch nicht ein, sagt Burri. Anders sieht es bei Personen aus, die auf eine umfassende Beistandschaft angewiesen sind. Doch selbst für diese sei eine Eheschliessung möglich, so Burri. «Solange die Personen diesbezüglich urteilsfähig sind und dem Zivilstandsamt rudimentär die Bedeutung und die Folgen der Ehe erklären können, kann die Vorbereitung der Eheschliessung geprüft werden», sagt Burri.(sib)

«Auch wenn andere zunächst zweifelten, wir wussten, das ist für die Ewigkeit», sagt Yvonne Holliger und kramt das Hochzeitsalbum hervor. Auf den Fotos ist sie mit blauem Kleid und Brautstrauss zu sehen. «Unsere Verwandten haben uns mit einem Oldtimer überrascht, der uns nach der Trauung beim Wettinger Rathaus abgeholt hat», erzählt Peter Holliger und zeigt auf die weisse Rolls-Royce-Limousine.

In einem Fotoalbum haben die Holligers die schönsten Momente ihrer Hochzeit zusammengetragen.
Bild: Severin Bigler

Gefeiert wurde im Gasthaus Täfern in Dättwil. «Unsere Arwo-Arbeitskollegen waren auch dabei und mein Chef hat sogar Musik für uns gemacht», sagt er. Es sei schön, dass sich ihre Betreuer und auch ihre Familien so für ihren grossen Tag eingesetzt hätten, findet Yvonne Holliger. «Meine Mutter war sogar nervöser als ich.» Die Hochzeitsreise führte das Paar ins Tessin nach Ascona – «das war traumhaft», erinnert es sich.

15 Jahre später würden die beiden alles noch mal genauso machen. «Es war die richtige Entscheidung. Die Ehe hat uns noch mehr zusammengeschweisst.» Mit ihrer Geschichte wollen sie ein Zeichen setzen. «Ob im Rollstuhl, geistig behindert oder homosexuell, jede und jeder hat das Recht zu heiraten», sind sie überzeugt. An eine Scheidung haben sie trotz kleiner Auseinandersetzungen im Alltag nie gedacht. «Wir können nicht ohneeinander», sagt Yvonne Holliger und ihr Mann fügt scherzend an: «Eine Scheidung wäre sowieso viel zu teuer.»