
Cirque du Soleil, eigene Zirkusschule, dann kam der Krieg: Nun hofft ein ukrainisches Artistenpaar auf eine friedliche Zukunft
Die feingliedrige Ukrainerin kommt mit ihrem 14-jährigen Sohn Illia zum Interview. Er besucht die Realschule in Wettingen und spricht nach drei Jahren in der Schweiz schon relativ gut Deutsch. Olga Krasnopolska hingegen muss sich mit der Sprache weiterhin vertraut machen und besucht Deutschkurse.
Der Unterricht in klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz, den die Bühnenfachfrau zurzeit in Wettingen und Brugg gibt, klappt aber gut. «Es geht ja vor allem um Bewegung. Spezielle Wörter und Sätze, um ein Bewegungselement zu erklären, schreibe ich mir vorher auf Kärtchen auf», sagt sie. Ihr herausragendes tänzerisches und akrobatisches Können sowie ihre motivierende, liebevolle Art machen das vorübergehende Manko wieder wett.
Nach den Sommerferien wird sie im Badener Kinder- und Jugendtheater Lampefieber für das neue Kurssegment «Circomania» zuständig sein, in dem sie für den Nachwuchs einen Mix aus Artistik, Tanz und Showelementen anbietet. Damit findet die Karriere der langjährigen Zirkusschulleiterin, die ihre Heimat wegen des Krieges verliess, eine Fortsetzung.
Ihre poetische Show wird weltweit hochgelobt
Krasnopolska ist ein absoluter Bewegungsmensch. In ihrer Jugend war sie über zehn Jahre in der rhythmischen Gymnastik erfolgreich. Mit 16 machte sie die Ausbildung zur Ballett-Tänzerin an einer ukrainischen Tanzakademie. Wegen ihres Talents und ihrer Ausstrahlung wurde sie zwei Jahre später für eine moderne Zirkusshow engagiert. Dort erlernte sie nicht nur das zirzensische Handwerk, sondern lernte auch ihren Mann Anatoliy Zalevskiy kennen.
Der Akrobat und Equilibrist gewann im Cirque de Demain in Paris eine Goldmedaille, am Zirkusfestival von Monte Carlo den Goldenen Clown und zahlreiche weitere Preise. Später war er mit dem Cirque du Soleil unterwegs. 2003 machte er sich zusammen mit Krasnopolska selbstständig. Das Paar gründete gemeinsam mit anderen Artisten das Ensemble «Rizoma» und war mit seiner ganz speziellen Synthese von Artistik und Tanz weltweit unterwegs. Auch Sohn Illia und seine Schwester waren mit eigenen Akrobatiknummern schon Teil der poetischen und aufwendigen Show, die in der Presse hochgelobt wird.
Zudem eröffnete das Ehepaar in der Ukraine eine Zirkusschule, die stetig grösser wurde. Die jeden Sommer stattfindenden Gymnastik-, Tanz- und Artistik-Camps für Jugendliche wurden zur Tradition. «Es war uns immer ein grosses Anliegen, die körperlichen und kreativen Fähigkeiten der nachfolgenden Generation zu fördern und sie für das Leben fit und stark zu machen», bekundet Krasnopolska.
Angst um ihre Kinder wurde für die Artistin zu gross
Dass sie diese erfolgreich laufende Schule und ihr Haus mit Garten wegen des Krieges und zugunsten ihrer drei Kinder opfern musste, bedauert sie sehr. Aber die Angst um ihren Nachwuchs war zu gross: «Immer wieder gab es Sirenenalarm, und wir mussten in den Luftschutzbunker. Oft konnten meine Kinder nicht zur Schule. Die tägliche Angst und die Ungewissheit, wie es weitergeht, veranlasste uns dazu, wegzuziehen», erzählt sie. «Damit gaben wir natürlich auch vieles auf, was uns lieb und wertvoll war.» Sie vermisst ihre zurückgelassenen Familienangehörigen.
Erschwerend kommt dazu, dass Zalevskiy zurzeit mit «Rizoma» auf ausgedehnter Tournee im Ausland ist und erst im Herbst wieder in die Schweiz zurückkommt. Die zwei telefonieren täglich. Derweil gewöhnt sich Krasnopolska als Mutter von zwei Söhnen und einer Tochter in Wettingen an ihre neue Existenz und hofft, dass sie ihr Unterrichtspensum im Aargau noch erweitern kann.
«Ich habe hier so viele kreative und tolle Menschen kennengelernt», sagt sie und schöpft neue Hoffnung auf die Zukunft, in der sie sich vor allem nach einem sehnt: mehr Frieden und Sicherheit für sich und ihre Lieben.