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Bertrand Piccard: «Innovation entsteht nicht durch neue Ideen, sondern dann, wenn wir alte über Bord werfen»

Anlässlich des 18. Aargauer Wirtschaftssymposium im Kultur- und Kongresshaus Aarau sprachen Abenteurer Bertrand Piccard, Philosoph Richard David Precht und Unternehmerin Brigitte Breisacher zum Thema Innovation. 

Innovation ist ein Unwort. Das sagt nicht der Schreibende, sondern das ehrwürdige «Wall Street Journal». Bereits 2012 schrieb die Finanzzeitung, dass der Begriff oft als «wohlklingendes Schlagwort» missbraucht werde, um «alltägliche Veränderungen als monumentale Errungenschaften zu verkaufen». Daher hätte es einem grauen können, als das diesjährige Wirtschaftssymposium Aargau zu einem Nachmittag im Zeichen von «Trotzen wir dem Gegenwind – Mut und Innovation beflügeln» einlud. Werden einem hier mit Worthülsen und Binsenweisheiten die Ohren zugedröhnt?

Innovation ist nicht nur ein Schlagwort

Daran kommt eine Wirtschaftskonferenz selten ganz vorbei. Dennoch erwies sich die 18. Ausgabe des Anlasses im Kultur- und Kongresszentrum Aarau als anregender Anlass. Das ist vor allem drei Personen zu verdanken: der schlagfertigen Brigitte Breisacher, Unternehmerin des Jahres 2022 und Geschäftsführerin des Obwaldner Schrank- und Küchenherstellers Alpnach Norm, dem eloquenten deutschen Philosophen Richard David Precht und dem visionären Abenteurer Bertrand Piccard.

Diese drei Rednerinnen und Redner verdeutlichten, dass Innovation mehr als nur ein Schlagwort sein kann. Der Anlass im vollen Konferenzsaal des Kultur- und Kongresszentrum Aarau wurde moderiert von Urs Gredig, Moderator von «10 vor 10».

Den konkreten Aspekt der Innovation in der Schweiz erläuterte Claudia Pletscher, Verwaltungsrätin in mehreren grösseren Unternehmen und Vertreterin von Innosuisse. Mit 1031 Patenten pro Kopf liegt die Schweiz weltweit an der Spitze und verfügt über sieben Hochschulen in den Top 200. Deswegen belegt sie seit zwölf Jahren den ersten Platz des globalen Innovationsrankings.

Precht: «Das Ende der geistigen Routinearbeit»

Pletscher erinnerte daran, dass neue Erfindungen oft auf Gegenwind treffen. Skepsis verlangsamt die Anwendung einer Innovation und die darauffolgende Umstellung der Gesellschaft. Diese Skepsis sprach Philosoph Precht in seinem Referat über künstliche Intelligenz an: Er will darin keine Apokalypse sehen, die Millionen von Arbeitsstellen vernichten wird.

Precht erklärte, dass Automatisierung und Mechanisierung von Arbeitsprozessen in der Regel mühsame körperliche Arbeiten ersetzt habe, die sich keiner zurückwünschen würde. Dass Computer nun geistige Routinearbeit übernehmen können, könne als Chance verstanden werden.

Richard David Precht (links) erklärt Moderator Urs Gredig, weshalb künstliche Intelligenz nicht die Apokalypse herbeiführen dürfte.
Bild: Andrea Zahler

Breisacher: «Mitarbeitende in Arbeitsprozesse einbinden»

Brigitte Breisacher erläuterte im Gespräch mit Gredig, wie sie Innovation auch als stete Verbesserung der Arbeitsbedingungen sieht. So habe sie aufgehört, Sitzungen zu leiten, sondern wohnt ihnen bei und hört zu. «Ich kann so besser beobachten und die richtigen Fragen stellen.» Mitarbeitende müsse man in Entscheidungsprozesse einbeziehen, damit sie sich mit dem Unternehmen identifizieren könnten.

Brigitte Breisacher, Inhaberin und CEO Alpnach Schränke und Küchen, will eine moderne Unternehmenskultur fördern.
Bild: Andrea Zahler

Piccard: «Alte Paradigmen über Bord werfen»

Den krönenden Abschluss bot Bertrand Piccard. Der Psychiater und Psychotherapeut, der als erster die Welt mit einem Solarflugzeug bereiste und den Pioniergeist von Vater Jacques und Grossvater Auguste weiterträgt, hat eine Botschaft: Die Menschheit könnte in einer praktisch dekarbonisierten Gegenwart leben, wenn sie nicht auf die Vergangenheit beharren würde. «Innovation entsteht nicht durch neue Ideen, sondern dann, wenn wir alte Paradigmen über Bord werfen», sagt er.

Er verwies auf sein Projekt Solar Impulse, an das die Luftfahrtindustrie nicht glaubte. Sie habe ihm sogar wissenschaftlich beweisen wollen, dass es unmöglich sei. Dies sei das Paradebeispiel dafür, dass alte Ideen neuen Produkten im Weg stünden. Das gelte für praktisch jede aktuelle Lösung zur Bekämpfung des Klimawandels.

Bertrand Piccard: Keiner in der Luftfahrtindustrie wollte sein Projekt Solar Impulse umsetzen.
Bild: Andrea Zahler

Piccard schlägt statt den von Aktivisten geforderten Wachstumsrückgang oder dem bisher unbeschränkten Ressourcenverbrauch einen dritten Weg vor: Seine Stiftung hat über 1500 aktuelle Lösungen mit einem Label versehen, die sowohl ökonomisch als auch ökologisch sinnvoll wären. Durch Effizienzgewinne liesse sich die Wirtschaft von einem Wachstumsdrang zu einem Qualitätsdrang treiben. «Die grössten Misserfolge geschehen nicht, wenn wir Fehler begehen, aber dann, wenn wir an Lösungen festhalten, die nicht mehr zeitgemäss sind.»