
Wutmail gegen Sanija Ameti: Was wurde aus der Anzeige gegen den Aargauer SVP-Politiker?
Ende Mai geriet Gaudenz Lüchinger, Vizeammann von Birrhard, in die nationalen Schlagzeilen: Die Operation Libero machte ein «Hass-Mail» des SVP-Politikers publik, wie es die politische Bewegung nannte. Der Vizeammann von Birrhard hatte es Sanija Ameti geschrieben. Die Zürcher Politikerin und Co-Präsidentin der Operation Libero gilt Konservativen seit ihrer Luftgewehr-Schiessübung auf ein Marienbild als Feindbild.
Vordergründig kam sein Mail freundlich daher: Er duzte sie, obwohl sich die beiden nicht kannten. Er lobte sie als «gut aussehende, intelligente Person». In anderen Passagen war sein Mail eine unverhohlene Tirade: «Ich hoffe, du verreist aus der Schweiz, bevor man dich mit anderen Mitteln an der Zerstörung unserer Eidgenossenschaft hindern muss», schrieb er. «Schade, aber am besten ziehst du dich wieder in dein ursprüngliches Herkunftsland zurück und gibst den dir geschenkten Schweizer Pass ab!»
Auslöser für Lüchingers Ärger: Die Operation Libero hatte den Fraktionsausflug der SVP aufs Rütli mit einer eigenen Aktion begleiten wollen. Nach Drohungen aus «rechtsextremen Kreisen» sagte die Organisation die Aktion allerdings ab. Sie wäre «nur unter Polizeischutz» möglich geworden.
2200 unterzeichnen SVP-Appell
Die Operation Libero sah in Lüchingers Mail eine neue Eskalationsstufe. SVP-Vertreter würden regelmässig Methoden wie Rassismus, Hass und Drohungen einsetzen, «um politische Stimmen einzuschüchtern». Die Organisation rief zu einem Appell auf unter dem Titel «Rassismus, Hass, Drohungen: SVP, es reicht!». Bis heute haben ihn knapp 2200 Personen unterzeichnet.
Die Operation Libero kündigte ausserdem an, «mit Sicherheit» eine Anzeige gegen Lüchinger einzureichen. «Lassen wir uns einschüchtern? Natürlich nicht!» Drei Monate später steht nun aber fest: Lüchinger muss wegen seiner Tirade doch keine juristischen Folgen fürchten. «Wir haben keine Anzeige eingereicht», sagt Stefan Manser-Egli, Co-Präsident der Operation Libero.
Begründung: «Laut unseren Abklärungen wäre auf eine Anzeige der Operation Libero wegen Drohung nicht eingegangen worden, da eine juristische Person gemäss Rechtsprechung nicht in Angst und Schrecken versetzt werden kann.» Auch Ameti hat offenbar auf eine Anzeige verzichtet.
Nichtsdestotrotz sagt Stefan Manser-Egli zu Lüchingers erneuter Kandidatur für den Gemeinderat von Birrhard: «Mit Blick auf Herrn Lüchingers Kandidatur sollten wir uns alle fragen, ob wir Menschen, die so unverblümt rassistisch anderen Politikerinnen drohen, in der Politik haben möchten. Wir sollten aufhören, so zu tun, als wäre das normal.»
An eine Entschuldigung denkt er nicht
Lüchinger hatte sich gegenüber der AZ dagegen verwahrt, ein Rassist zu sein. Über das Echo sei er erstaunt und er werde keine solchen Mails mehr schreiben. Von seinem Mail an Ameti hat er sich dagegen nicht distanziert. Auf X (vormals Twitter) schrieb er kürzlich: «Ich bereue nichts.» Auf die Frage des Luzerner Juristen Loris Mainardi, ob er sich zwischenzeitlich bei Frau Ameti entschuldigt habe, antwortete Lüchinger: «Ich wüsste nicht für was.»
Lüchinger sah sich erneut mit einer Anzeige konfrontiert. Er kommentierte einen anderen Tweet von Mainardi mit den Worten: «Bei solchen Aussagen des Mainardis kommt mir spontan die Frage in den Sinn, was sind 100 linksideologisch eingestellte Juristen auf dem Meeresgrund? … Ein guter Anfang.»
Mainardi sagt, er sei nicht linksideologisch. Er setze sich «als gläubiger Katholik einzig für eine Marktwirtschaft mit sozialer Verantwortung – und gegen Extremismen jeglicher Art – ein». Er forderte Lüchinger auf, 1000 Franken an eine gemeinnützige Institution zu überweisen.
Im Gegenzug würde er auf eine Anzeige wegen Beschimpfung verzichten, schrieb Mainardi.
Lüchinger ging darauf nicht ein. Der Jurist hat die Anzeige aber doch nicht eingereicht, wie er nun sagt. Er glaubt nicht, dass die Anzeige Erfolg hätte, weil es sich offenbar um «einen gängigen Spruch» gehandelt habe.
Grosses Fragezeichen zu einer Amtsenthebung
Lüchinger muss nicht damit rechnen, dass ihm sein Amt als Gemeinderat und Vizeammann bei einer Verurteilung entzogen würde. Das Aargauer Stimmvolk hatte zwar im Mai 2022 mit 84,3 Prozent Ja-Stimmen die kantonale Amtsenthebungsinitiative gutgeheissen. Ihr Ziel: Untragbare Volksvertreter sollen ihres Amtes enthoben werden können, zum Beispiel, wenn sie ein strafrechtlich relevantes Delikt begangen haben.
Die rechtsbürgerliche Mehrheit von SVP und FDP hat die Gesetzesvorlage im Grossen Rat im Juni aber zurückgewiesen. Der Regierungsrat muss eine neue Vorlage ausarbeiten.
Gaudenz Lüchinger hat gute Chancen, im Herbst bei den Gemeinderatswahlen in Birrhard wiedergewählt zu werden. Zu einer Kampfwahl in der Gemeinde, die knapp 1000 Einwohner zählt, kommt es nicht: Für die fünf Sitze bewerben sich einzig die fünf bisherigen Gemeinderäte – drei Parteilose und zwei SVP-Mitglieder. Zudem geniesst die SVP im Dorf einen grossen Rückhalt. Bei den Grossratswahlen 2024 erzielte sie einen Wähleranteil von 55 Prozent.