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Sind Aargauer Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern wirklich nicht überlebensfähig?

Nach einem politischen Vorstoss hat ein externes Büro die Gemeindestrukturen im Kanton Aargau unter die Lupe genommen. Der Regierungsrat sieht darin eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung. Das sind die fünf wichtigsten Fragen und Antworten.

Kommunalpolitik-Experte Kurt Schmid provozierte im April mit der These,dass es Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern alleine nicht mehr schaffen. Einzig die Fusion ermögliche eine eigenständige und intakte Gemeinde, argumentierte der ehemalige Gemeindeammann von Lengnau und alt CVP-Grossrat.

Patrick Gosteli, SVP-Grossrat und Präsident der Aargauer Gemeindeammänner-Vereinigung, konnte Schmids Überlegungen zwar nachvollziehen. Die Bevölkerungszahl könne aber nicht das Hauptkriterium sein, hielt der Ammann der 4300-Seelen-Gemeinde Böttstein dagegen. Die Weiterentwicklung einer Gemeinde hänge auch von finanziellen und geografischen Gegebenheiten ab.

Warum liess die Regierung einen Bericht von einem externen Büro erstellen?

Im Grossen Rat reichte Patrick Gosteli vor zwei Jahren zusammen mit anderen Gemeindeammännern ein Postulat zum Thema ein. Der Regierungsrat wurde beauftragt, die Stärken und Schwächen der Gemeindestrukturen im Kanton Aargau zu analysieren und Überlegungen zur Modernisierung anzustellen.

Kurz vor den Sommerferien hat nun der Regierungsrat den Bericht, den die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) erstellt hat, mit der dazugehörenden Botschaft an den Grossen Rat veröffentlicht.

Was sind die Haupterkenntnisse der Analyse?

Zu den Herausforderungen der Gemeinden gehören der Fachkräftemangel, die Digitalisierung von Verwaltungsaufgaben und Dienstleistungen, die Zusammenarbeit über Gemeindegrenzen hinweg und die Besetzung von Exekutivämtern. Komplexe Aufgaben sind die Raumplanung, die Bewilligung von Baugesuchen, die Sozialhilfe sowie das Führen der Gemeindeverwaltung.

Gemäss der Analyse kann diesen Herausforderungen dann wirksam begegnet werden, wenn Gemeinden eine ausreichende Grösse aufweisen. Die dafür notwendigen Fusionen sollten in sinnvoll abgegrenzten Räumen erfolgen. Eine Orientierung an bestehenden Strukturen wie den Regionen der Raumplanung oder Verwaltungsräumen wird als sinnvoll erachtet.

Die heutigen Bezirksstrukturen sind als Orientierungsgrösse für strukturelle Veränderungen nicht geeignet. Sie sind aber auch nicht hinderlich.So wechselten beispielsweise Bözen, Effingen und Elfingen bei der Fusion mit Hornussen zur Gemeinde Böztal per 1. Januar 2022 vom Bezirk Brugg zum Bezirk Laufenburg. Sollte in Zukunft auf die Bezirke verzichtet werden, müssten für die Wahlkreise und Bezirksgerichte neue Lösungen gefunden werden.

Welches ist die ideale Gemeindegrösse?

Aktuell besteht der Kanton Aargau aus elf Bezirken und 197 Gemeinden mit 166 bis 22’000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Hinsichtlich der Rekrutierung für Milizämter und der Effizienz der Verwaltung führte die ZHAW Simulationen durch. Diese zeigten, dass Gemeinden ab 3000 bis 3500 Einwohnern mindestens 50 Prozent der maximal möglichen Effizienz erreichen.

«Diese Grösse könnte daher als Richtwert betrachtet werden, ab welchem sich ein Zusammenschluss von Gemeinden deutlich positiv auswirkt», schreibt die Staatskanzlei in einer Mitteilung. Die Simulation zeigt weiter, dass bei einigen Indikatoren der Nutzen ab 20’000 Einwohnern abflacht, bei der Effizienz erst bei rund 35’000 Einwohnern.

Was schlägt der Regierungsrat jetzt vor?

Die Kantonsregierung schlägt vor, in einem partizipativen Prozess mit den Gemeinden und Gemeindeverbänden ein Zielbild für eine zukünftige Gemeindestruktur zu erarbeiten. Dieses soll zeigen, wie Aargauer Gemeinden ihre Aufgaben auch in Zukunft in guter Qualität und autonom erfüllen können.

Der Regierungsrat will keine Vorgaben machen, weder zur Einwohnerzahl noch zur Grösse der Verwaltung noch zu räumlichen, finanziellen, steuerlichen oder strukturellen Gemeindeparametern. Das antwortet er auch SVP-Grossrat Hanspeter Suter aus Lengnau, der sich in einer Interpellation nach der Mindestgrösse für eine leistungsfähige, autonome Gemeinde erkundigt hat.

Die Stossrichtung der Regierung entspricht der imEntwicklungsleitbild 2025–2034festgelegten Strategie «Leistungsfähige Gemeindestrukturen fördern». Sie sind laut Landammann Dieter Egli ein wesentlicher Faktor für die Qualität von Lebensraum sowie Arbeits-, Wirtschafts- und Forschungsstandort. Dienstleistungen müssen den Bedürfnissen von Bevölkerung und Wirtschaft entsprechen.

Wie geht es jetzt weiter?

Für den Regierungsrat ist die Analyse der ZHAW eine geeignete Grundlage für den politischen Diskurs. Er sieht Handlungsbedarf bei der Beratung und der Unterstützung sowie in der Information über erfolgreiche Zusammenschlüsse und deren Vorteile. Umgekehrt ist es aus seiner Sicht nicht angezeigt, weitere finanzielle Mittel für Zusammenschlussprojekte vorzusehen. Hier sei der Kanton Aargau, auch im interkantonalen Vergleich, schon gut aufgestellt.

Wenn der Grosse Rat dem Regierungsvorschlag zustimmt, wird das Departement Volkswirtschaft und Inneres (DVI) auf die Gemeindeverbände zugehen und mit ihnen die weiteren Schritte vereinbaren. Unter der Leitung von Departementsvorsteher Dieter Egli wird ein Steuerungsorgan eingesetzt. Die Projektleitung übernimmt der Generalsekretär vom DVI. Die Vorlage dürfte nach der Sommerpause ins Kantonsparlament kommen.