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An der ältesten Kanti der Schweiz: Muri-Mönche unterrichteten spätere Bundesräte

Die Schultradition des Klosters Muri lässt sich über fast 1000 Jahre hinweg verfolgen. Weil das Kloster 1841 aufgehoben wurde, begaben sich einige Patres an die Kantonsschule Sarnen – wo sie auch spätere Spitzenpolitiker unterrichteten.

Im Jahr 1841 war der Obwaldner Regierungsrat in Not: Er suchte dringend Lehrer für die kleine Kantonsschule im Hauptort Sarnen. Zu Spitzenzeiten besuchten 22, manchmal aber auch nur eine Handvoll Knaben die Schule, die eine höhere Bildung anbot. Sie wurde zu dieser Zeit von lediglich einem Lehrer geführt. Dieser starb 1840 – und Nachfolger waren keine zur Stelle. Zeitgleich debattierte der liberal gesinnte Aargau gerade heftig über die Klöster und deren Existenzberechtigung.

Im Januar 1841 beschloss der Grosse Rat, sämtliche Klöster aufzuheben, darunter auch Muri. So waren auf einen Schlag viele Mönche arbeitslos. Im katholischen Kanton Obwalden nahm man Notiz vom aargauischen Klerikerexodus, verhandelte mit dem Abt und am 18. November 1841 begannen fünf Patres aus Muri mit dem Unterricht in Sarnen. Damit knüpften sie an eine lange Tradition als Lehrer an.

Kleine Klosterschule

Das Kloster Muri führte schon seit frühester Zeit eine eigene kleine Schule. Die Schüler – es waren nur Knaben zugelassen – hatten von katholischen Eltern abzustammen, bei guter Gesundheit zu sein und im Sinn zu haben, später in den Orden einzutreten.

Vielleicht war er einer der ersten Klosterschüler in Muri: Konrad von Mure, der im 13. Jahrhundert lebte, auf einer Zeichnung aus dem 17. Jahrhundert.
Bild: StiAMG

Genaueres über den Unterricht ist nicht bekannt. Doch gibt es Hinweise auf Abgänger der Klosterschule. Darunter etwa Konrad von Mure, einer der profiliertesten Intellektuellen des schweizerischen Hochmittelalters. Er hatte in Bologna studiert, amtete im 13. Jahrhundert als Kantor am Grossmünster Zürich und als Lehrer an der bekannten Stiftsschule. Konrad verfasste Werke zur Grammatik und eine mittelalterliche Enzyklopädie, die bis ins 16. Jahrhundert zahlreiche Male kopiert wurde. In einer seiner Schriften erwähnt er den Abt von Muri – diesem Kloster hatte er den Anfang seiner Akademikerkarriere zu verdanken.

Eine Kokosnuss zur Anschauung

Die Schulgeschichte Muris ist noch nicht gut aufgearbeitet. Für die vierbändige «Neue Klostergeschichte Muri», die zum 1000-Jahr-Jubiläum 2027 erscheint, forscht nun Historikerin Silvia Stamm-Flubacher zur Wissens- und Bildungsgeschichte in der Zeit nach der Reformation. Dabei stellt sie fest: «Im Kloster Muri war eine hohe Bildung vorhanden.»

Davon zeugen gedruckte und handschriftliche Bücher in der Kantonsbibliothek Aarau, die früher die Murenser Klosterbibliothek bildeten – Theaterstücke gehören dazu oder Chroniken. «Die Mönche hatten ein grosses Interesse an der eigenen Geschichte», sagt Stamm-Flubacher.

Auch die Naturwissenschaften gehörten zu den Unterrichtsfächern. Einen kleinen Einblick bietet ein Inventar einer nicht mehr vorhandenen Naturaliensammlung: «Schüler bekamen dank dieser Sammlung zum Beispiel einen Narwalzahn oder eine Kokosnuss zu Gesicht», so Stamm-Flubacher.

Im Jahr 1872 unterrichteten rund ein Dutzend Patres des Konvents Muri-Gries an der Kantonsschule Obwalden – die Objekte symbolisieren die Fächer. 
Bild: StiAMG

Ruf an die älteste Kanti der Schweiz

In den eigenen Pfarreien waren Mönche aus Muri auch als Grundschullehrer tätig. «In den Dorfschulen ging es im Gegensatz zur Klosterschule vor allem darum, dass die Kinder lesen, schreiben und allenfalls etwas rechnen lernten», erklärt die Historikerin.

Die Klosterschule selbst aber blieb klein. Erst mit dem Schulobligatorium von 1805 im jungen Kanton Aargau erwogen die Mönche, die Schule zu öffnen. Ohne Erfolg: Die jahrzehntelange öffentliche Diskussion führte zur Schliessung der Klosterschule und endete mit der Aufhebung des Klosters 1841.

Diesen Moment nutzte der Regierungsrat Obwalden, der kurz nach der Aufhebung des Klosters Muri mit dem Abt ins Gespräch kam. Das Gymnasium am Brünig stand schon seit 1752 unter Aufsicht des Standes Obwalden und war damit die erste Kantonsschule der Schweiz – die erste nicht kirchliche Kantonsschule öffnete 1802 in Aarau. Als Lehrer amteten Geistliche, die gymnasiale Bildung in Sarnen war also katholisch ausgerichtet.

Bildungsstätte der katholischen Elite

Die Patres aus Muri begannen bereits im November 1841 mit dem Unterricht als Lehrer in Sarnen. Damit behielt die Obwaldner Kantonsschule ihre konfessionelle Prägung. Katholische Familien schickten ihre Söhne ins Kollegium Sarnen, das sich neben den Klosterschulen von Disentis, Einsiedeln und Engelberg zu einer der wichtigsten Bildungsstätten der katholischen Elite entwickeln konnte.

Die künftigen Priester, Rechtsanwälte, Regierungsräte und auch die Bundesräte Ludwig von Moos und Flavio Cotti blieben als Altsarner über Jahrzehnte mit dem Kollegi verbunden.

Bundesrat Ludwig von Moos kommt in seinem ersten Präsidialjahr 1964 auf der Bundesratsreise in Sarnen vorbei und wird im Kollegium von Schülern, dem Rektor Bonaventura Thommen (links) und dem Abt Dominik Löpfe (rechts) begrüsst. 
Bild: StiAMG

Wandel zur säkularen Kantonsschule

Mädchen wurden erst 1970 an die Kantonsschule Sarnen zugelassen. Bis dahin bildeten Internatsschüler die Mehrheit der Absolventen, danach wuchs die Zahl der Obwaldner Jugendlichen. Immer wieder aber drangen Misstöne an die Öffentlichkeit. Im Jahr 1983 kritisierten Schülerinnen und Schüler, am «Kollegi» würden «gehorsame und passive, unselbstständige» Jugendliche bevorzugt, und besonders die geistlichen Lehrer seien didaktisch unbegabt.

Diese waren mittlerweile in der Minderheit, Rektor Pater Leo Ettlin zudem amtsmüde. 1984 schliesslich trat der erste weltliche Schulleiter sein Amt an. Als eine der letzten in der Schweiz wurde die Kantonsschule Sarnen damit zu einem säkularen Gymnasium.

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