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Rekrut schwebte nach Kollaps bei Marsch in Lebensgefahr – Vorgesetzte vom Militärgericht freigesprochen

Ein Grenadier-Rekrut brach in der Hitze zusammen und musste auf der Intensivstation behandelt werden. Der Vorfall ereignete sich 2017 in der Nähe des Schiessplatzes Gehren in Erlinsbach. Drei Vorgesetzte wurden freigesprochen – die Anklageschrift zeigt, was beim Marsch schief lief und dass die Situation lebensgefährlich war.

Grenadier-Rekruten müssen körperlich fit sein, 15 Kilometer zu Fuss sind keine besonders lange Strecke für sie. Doch vor sechs Jahren kam es bei einem Marsch in grosser Hitze beim Schiessplatz Gehren in Erlinsbach zu einer Situation, die für einen jungen Mann hätte tödlich enden können.

Der damals 19-Jährige brach während des Marsches zusammen und wachte erst vier Tage später im Kantonsspital Aarau auf der Intensivstation wieder auf. Der Vorfall führte zu einer Anklage gegen drei seiner Vorgesetzten, die am Militärgericht in Aarau verhandelt wurde. Am Freitag erzählt der frühere Rekrut dort, dass er seine Vorgesetzten informiert habe, dass er nicht mehr weiterlaufen könne.

Darauf habe er den Befehl erhalten, weiter zu marschieren, wie Tele M1 berichtet. Die drei Vorgesetzten des Rekruten standen wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht vor dem Militärgericht in Aarau. Sie sagten dort aus, dass der Rekrut nicht den Eindruck erweckt habe, als ob er nicht mehr weiterlaufen könnte. Sie hätten ihn – wie eben üblich – einfach motivieren wollen, argumentierten sie vor Gericht.

Vorgesetzte hätten Marsch nicht abbrechen können

Der Auditor, sozusagen der Staatsanwalt bei der Armee, forderte bedingte Geldstrafen für die drei Armeeangehörigen. Doch die drei Vorgesetzten wurden vom Militärgericht freigesprochen. Laut Gerichtspräsident Kenad Melunovic hätten alle drei nicht die Befehlsgewalt gehabt, den Marsch abzubrechen.

Soldaten, hier im Jahr 2015, auf dem Schiessplatz Gehren in Erlinsbach.
Bild: Sandra Ardizzone

Die Vorgesetzten hätten zwar sicher Fehler gemacht, jedoch keine, die strafrechtlich relevant wären. Zudem habe ihnen das medizinische Wissen gefehlt, um die kritische Situation richtig einzuschätzen, so der Gerichtspräsident weiter. Das Urteil ist noch nichts rechtskräftig, gegen die Freisprüche kann innert fünf Tagen Einspruch erhoben werden.

Rekrut schwebte in Lebensgefahr

Aus der Anklageschrift geht hervor, dass der Vorfall für den Rekruten fatal hätte enden können. Demnach befand sich der damals 19-Jährige «in einem Zustand, bei dem die Möglichkeit des Todes zur ernstlichen und dringenden Wahrscheinlichkeit wurde». Er erlitt einen Hitzschlag, der ein Versagen von Nieren, Blutgerinnung, Kreislauf, Hirnfunktion, Leber und Magen-Darm-Trakt auslöste.

Er musste im Kantonsspital Aarau intensivmedizinisch behandelt werden, wobei eine Schutzintubation und eine externe «Blutwäsche» nötig waren. Ins Spital gebracht wurde der Rekrut per Ambulanz, nachdem er vollends zusammengebrochen war und das Bewusstsein verloren hatte, wie es in der Anklageschrift heisst. Die Verantwortlichen entschieden, ihn auf den Boden zu legen, es folgte Erste Hilfe durch Kameraden.

Navigationsfehler führte zu steilem Aufstieg

Als der Marsch am 3. August 2017 um 17.50 Uhr auf dem Schiessplatz Gehren begann, herrschte eine Temperatur von rund 30 Grad. Die Rekruten hatten schon eine ganztägige Schiessausbildung hinter sich – «bei intensivem Sonnenschein und hochsommerlichen Temperaturen», wie es in der Anklageschrift heisst. Nach einer Pause für das Nachtessen begann der Marsch, doch schon nach kurzer Zeit lief etwas schief.

Laut der Anklageschrift «bog die gesamte Marschformation aufgrund eines Navigationsfehlers des Vordetachements falsch ab und geriet sogleich in einen steilen Aufstieg». An diesem Hügel, nach etwa 20 Minuten Marschzeit, verspürte der Rekrut ersten Schwindel, der ständig zunahm. Der junge Mann hatte seinen Kampfrucksack mittlerweile einem Kameraden abgegeben und schwankte beim Gehen.

Mit letzter Kraft zum Verpflegungsposten gelangt

Ein Vorgesetzter bemerkte beim Rekruten «eine Kurzatmigkeit, den roten Kopf, den schwankenden Gang und das starke Schwitzen». Er versuchte darauf, den Grenadier-Anwärter mit Worten zu motivieren, doch dieser wurde zusehends schwächer und schwankte immer mehr. Dies wurde im steilen Gelände gefährlich, deshalb wurde dem Rekruten befohlen, sich am Rucksack eines vor ihm gehenden Kameraden festzuhalten.

So gelangte der 19-Jährige «mit letzter Kraft und eingehängt am Rucksack zum Zwischenverpflegungsposten nach dem Aufstieg», heisst es in der Anklageschrift. Dort ging es dem Rekruten – für alle Anwesenden leicht erkennbar – sichtlich schlecht. Er war bleich, fühlte sich schwach, schwankte wegen des Schwindels stark und wurde schliesslich in den Schatten gelegt. Er wurde verpflegt, sagte jedoch laut Anklageschrift zu den Vorgesetzten: «Es gaht jetzt nüm.»

Vorgesetzter befahl dem Rekruten weiterzugehen

Dennoch befahl ein Unteroffizier dem Rekruten, den Marsch fortzusetzen, zog ihn am Oberteil hoch und brachte ihn an die Spitze der Formation. Dort sagte der völlig entkräftete 19-Jährige erneut, dass er nicht mehr weitergehen könne. Dennoch packte ihn der Vorgesetzte erneut am Oberteil «und riss ihn auf die Füsse», wie es in der Anklageschrift heisst.

Nachdem sich die Formation wieder in Bewegung gesetzt hatte, musste ein anderer Vorgesetzter den Rekruten stützen. Der junge Mann war nicht mehr in der Lage, alleine geradeaus zu gehen, sodass der Vorgesetzte ihn immer stärker stabilisieren musste. Schliesslich nahmen zwei andere Rekruten je einen Arm des 19-Jährigen über ihre Schultern – kurz darauf brach der Mann trotz dieser Unterstützung zusammen.

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