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Neuwahlen in Deutschland? Nie stand Olaf Scholz’ Regierung näher am Abgrund

Der deutsche Kanzler kämpft um das Überleben seiner Koalition. Die Haushaltkrise führt er auf äussere Umstände zurück, Fehler will er keine gemacht haben. Der nächste Krach ist bereits programmiert.

«Die Phönizier haben das Geld erfunden, aber warum so wenig?», seufzte der Wiener Dramatiker Johann Nestroy vor rund 200 Jahren. Wenig Geld hat der deutsche Staat auch, sogar noch weniger, als manche bis vor kurzem dachten: Vor knapp zwei Wochen hat das Verfassungsgericht des Landes einen Buchungstrick der Regierung einkassiert.

Um die Schuldenbremse zu umgehen, hatte die Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen versucht, einen Kredit, der ursprünglich zur Bewältigung der Coronakrise gedacht war, stattdessen für Klimaschutzmassnahmen aufzunehmen. Nun, da Deutschlands oberste Richter der Regierung einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, sind auf einmal 60 Milliarden Euro weniger zum Ausgeben da.

Die Schweizer Schuldenbremse galt als Vorbild

Für das Ampel-Bündnis, für das es ohnehin holprig lief, stellt das Urteil einen neuen Tiefpunkt dar. Am Dienstag gab Kanzler Olaf Scholz eine ausserplanmässige Regierungserklärung ab. Verantwortung für das Haushalt-Desaster mochte der Sozialdemokrat nicht übernehmen, vielmehr klagte er über die äusseren Umstände: Scholz verwies auf die Pandemie und den Ukraine-Krieg, auf die Aufnahme von mehr als einer Million Flüchtlingen aus dem Osten Europas und auf den Gaspreis, der stark gestiegen sei, seit Russland als Lieferant ausfalle.

Das alles ist nicht falsch, doch stellt sich die Frage, warum Scholz’ Regierung in einem solchen Umfeld an ideologisch motivierten Steckenpferden festhält: So wurden im Frühjahr die letzten drei deutschen Kernkraftwerke stillgelegt, um den Atomausstieg, ein Herzensanliegen der Grünen, zu vollenden. Auch milliardenteure Projekte wie das Bürgergeld und die geplante Kindergrundsicherung will die Regierung nicht infrage stellen. So lebt die Bundesrepublik weiter über ihre Verhältnisse.

In der Schuldenkrise erweist sich die «Ampel» einmal mehr als Zweckbündnis ungleicher Partner: Während die FDP Einsparungen will, würden SPD und Grüne den Richterspruch am liebsten ignorieren: Die USA investierten Milliarden in den Klimaschutz, sagt die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge. Indem sich Deutschland durch die Schuldenbremse allzu sehr fessle, bringe es sich um seine Zukunft.

Die Schuldenbremse gilt in Deutschland seit 2011; bei ihrer Lancierung diente die Schweiz, wo das Volk 2001 die Einführung eines ähnlichen Instruments beschlossen hatte, als Vorbild. Die Schweizer Schuldenbremse ist allerdings strenger als die deutsche: Während in der Bundesrepublik die jährliche Nettokreditaufnahme, also die Differenz zwischen der Aufnahme neuer und der Tilgung bestehender Schulden, 0,35 Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen darf, schreibt die Schweizer Schuldenbremse eine glatte Null vor.

Die Umfragewerte der Regierung sind miserabel

Doch auch die deutsche Variante erscheint vielen auf der linken Seite des politischen Spektrums als zu rigide: Sie fordern eine Abschaffung des Instruments oder zumindest eine Reform, die der Politik weniger Zügel anlegt. Dazu wird es allerdings kaum kommen, denn die Schuldenbremse ist in der Verfassung festgeschrieben, sodass es für Änderungen die Unterstützung der Opposition brauchte. Diese werden die Christdemokraten, deren Parteichef Friedrich Merz Scholz am Dienstag als «Klempner der Macht» verhöhnte, kaum gewähren.

Der nächste Koalitionskrach ist bereits programmiert: Um Geld zu sparen, will der liberale Finanzminister Christian Lindner nun die Gaspreisbremse auslaufen lassen, die nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine eingeführt worden war. Scholz will dies auch, viele seiner Parteikollegen jedoch nicht. Neuwahlen, wie sie der bayrische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder fordert, dürfte es in absehbarer Zeit dennoch kaum geben: Die Umfragewerte der SPD und der FDP sind miserabel, und auch jene der Grünen beginnen langsam zu erodieren. So bleiben die ungleichen Partner vorerst aneinandergekettet.

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