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In manchen Berufen fällt jeder vierte Lehrling durch die Abschlussprüfung – wie kann das sein?

«Nicht bestanden»: Dieses Verdikt erhalten jedes Jahr Tausende Lehrlinge nach der Abschlussprüfung. Eine Expertin sagt: Würden die Jugendlichen richtig gefördert, könnten fast alle die Lehre schaffen.  Das würde auch den Fachkräftemangel lindern. 

Erst büffeln, die Prüfungen absolvieren – und danach bangen, ob es reicht. Zehntausende junge Erwachsene haben in diesen Tagen und Wochen eine wichtige Hürde genommen: Sie haben bald den Lehrabschluss oder die Matura im Sack. Doch nicht alle schaffen den Abschluss. Bei den Maturanden fallen nur wenige durch, schliesslich wird schon zuvor kräftig gesiebelt: in manchen Kantonen scheitern weniger als 1 Prozent, in anderen 3 Prozent.

Viel mehr zittern müssen die Lehrlinge: 8,2 Prozent flogen letztes Jahr durch. Und in manchen Berufen sind es deutlich mehr, wie die «SonntagsZeitung» unlängst berichtete. Teilweise rasselt mehr als jeder Vierte durch (siehe Grafik).


«Gravierendes Problem»

Das ist für die jungen Erwachsenen ein herber Schlag – und beschäftigt auch die betroffenen Branchen, etwa jene der Sanitär- und Heizungsinstallateure. Alois Gartmann, Leiter Bildung beim Gebäudetechnikverband Suissetec, kennt die Zahlen in- und auswendig: «Rund 2500 Lehrlinge beginnen in unseren Berufen jedes Jahr, fast 1000 davon verlieren wir, weil sie die Lehre abbrechen oder durch die Abschlussprüfung fallen.» Gartmann spricht von einem «gravierenden Problem», gerade auch angesichts des Fachkräftemangels.

Doch woran liegt es? Vernachlässigen die Betriebe die Ausbildung – und nutzen die Lehrlinge als Handlanger? Sind die Prüfungen zu schwierig? Oder die Jugendlichen schlicht unmotiviert?

Patrizia Hasler beschäftigt sich seit langem mit dieser Frage. Sie hat zum Thema Lehrvertragsauflösungen im Bauhauptgewerbe dissertiert und ist heute Rektorin der Technischen Berufsschule Zürich. Sie sagt: «Es liegt nicht an der Motivation und nicht am Potenzial. Werden die Jugendlichen richtig gefördert, könnten die allermeisten erfolgreich eine Lehre abschliessen.» Auch schulische Defizite könnten in kurzer Zeit aufgeholt werden. «Hier liegt viel ungenutztes Potenzial», ärgert sich Hasler. «Das wären die Fachkräfte, die wir eigentlich dringend bräuchten.»

Die falsche Motivation

Viele Jugendliche, die etwa im Baugewerbe eine Lehre machten, seien kaum gefördert worden, weder im Elternhaus noch in der Schule. Von ihrem Umfeld bekämen sie zudem mit: Man arbeitet, um Geld zu verdienen – nicht die ideale Voraussetzung für eine Lehre. «Sie müssen zuerst erfahren, dass Arbeit nicht nur der Existenzsicherung dient, sondern sie sich zukünftig selbstgesteuert weiterbilden müssen, um längerfristig im Arbeitsmarkt bestehen zu können», sagt Hasler. Diese Jugendlichen würden Arbeit nicht mit Bildung verbinden und müssten dies zuerst realisieren.

Ein zweiter Knackpunkt: In sogenannt produktionsorientierten Ausbildungsbetrieben müssen Lernende vom ersten Tag an mitarbeiten, Kabel einziehen, putzen, andere einfache Arbeiten erledigen. Der Faktor Mensch stehe in diesen Betrieben weniger im Fokus, sagt Hasler. Dabei bräuchten gerade diese Jugendlichen mit tiefem sozio-ökonomischen Status zunächst etwas anderes: Beziehungsaufbau, Sicherheit, Wertschätzung, um sich auf den Lerninhalt konzentrieren zu können.

Wenn man sich für sie interessiere, ihnen Anerkennung gebe und sie fördere, könnten sie aufblühen. Das zeige sich etwa bei lernenden ICT-Fachmännern und Fachfrauen, wo die Förderung stärker im Zentrum stehe, weil es eine investitionsorientierte Branche sei. «Man muss am Anfang in diese Jugendlichen investieren», sagt Hasler. Das zahle sich aus: «Das werden oft die loyalsten Mitarbeitenden, weil sie in der Lehre nachhaltige Förderung und Forderung erfahren haben.»

Der grosse Schritt von der Schule auf die Baustelle

Das Problem der hohen Durchfallquote ist schon länger bekannt, manche Branchen haben inzwischen reagiert. Der Baumeisterverband etwa will mit dem «Masterplan 2030» unter anderem die Ausbildung und den Rekrutierungsprozess verbessern. Doch nicht alles kann der Verband beeinflussen: Der Schritt von der Volksschule in die Berufswelt sei nach wie vor sehr gross, gerade bei handwerklichen Berufen, sagt Sprecher Matthias Engel.

Auch der Gebäudetechnikverband Suissetec will aktiv werden. Alois Gartmann sagt, es gebe viele Faktoren für die hohe Durchfallquote: die Schule, das Elternhaus, der Rekrutierungsprozess, die Ausbildung in den Betrieben, die Lernenden.«Die obligatorische Schule bereitet die Jugendlichen zu wenig aufs Leben vor», sagt er. Unter den Firmen wiederum gebe es auch schwarze Schafe. Suissetec möchte nun Bildungs-Coaches einführen, die alle Lehrbetriebe besuchen und diese bei Fragen und im Umgang mit den Lernenden aktiv unterstützen. Gartmann sagt: «Wir brauchen eine Ausbildungskultur, die diesen Namen auch verdient.»

Maturaquote wirkt sich auf Erfolg der Lehrlinge aus

Wie viele durch die Lehrabschlussprüfung rasseln, ist je nach Kanton unterschiedlich. In Luzern und Zug beispielsweise fallen nur knapp 5 Prozent durch, während es beispielsweise in Genf über zehn Prozent sind. Einen Einfluss hat die Maturitätsquote, wie aus dem «Bildungsbericht Schweiz» hervorgeht: Je höher der Anteil der Jugendlichen, die ans Gymnasium gehen, desto tiefer ist die Erfolgsquote bei der Lehrabschlussprüfung.

Denn: Bei einer hohen Maturitätsquote ist es für die Firmen schwieriger, gute Lehrlinge für Berufe mit hohen Anforderungen zu finden. Sie weichen auf schwächere Schülerinnen und Schüler aus – von denen später nicht alle die Lehrabschlussprüfung schaffen.