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Ausgebremst, gegen den Kopf geschlagen, in die Genitalien getreten – und dann behauptet, es sei Notwehr

Im Kreisel die Vorfahrt nehmen darf man schon nicht. Was auf dieses Manöver in Brunegg noch alles folgte, hatten zuerst das Bezirksgericht Lenzburg und nun auch noch das Obergericht zu beurteilen.

Er (der Beschuldigte) fährt auf den Kreisel zu. Müsste nun eigentlich abbremsen und schauen, tut das aber nicht, fährt also einfach weiter. Und zwar derart knapp vor das Fahrzeug des Privatklägers, dass dieser brüsk bremsen muss, damit es nicht klöpft. Eine unangenehme Situation, aber keine seltene. Die Szenen, die sich im Frühjahr 2018 beim Vianco-Kreisel in Brunegg zugetragen haben und die in einem kürzlich publizierten Urteil des Obergerichts nachzulesen sind, haben mit dem Alltag glücklicherweise nicht mehr viel zu tun.

Der Privatkläger hupt. Der Beschuldigte bremst an diesem Freitagmorgen dann doch noch – und zwar ganz. Auch der Privatkläger muss anhalten. Der Beschuldigte steigt aus seinem Auto, schlägt dem anderen durch das offene Fenster mit der Faust ins Gesicht. Der Angegriffene steigt aus, um Fotos von der Situation zu machen. Der Beschuldigte packt ihn, tritt dem Angegriffenen in die Genitalien und wirft ihn zu Boden.

Ein Straftatbestand verjährt

So lautet zumindest der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau. Hätte der Beschuldigte ihn akzeptiert, wäre er wegen einfacher Körperverletzung und Missachtung des Vortritts bei der Einfahrt in einen Kreisverkehr verurteilt worden. Zu einer auf zwei Jahre bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 70 Franken und einer Busse von. 1200 Franken.

Er hat ihn aber nicht akzeptiert. Der Fall kam ans Bezirksgericht Lenzburg – allerdings erst 2022; rund drei Jahre, nachdem der Strafbefehl ausgestellt worden war. Bei der einfachen Körperverletzung blieb es, die Missachtung des Vortritts im Kreisel wurde wegen Verjährung fallengelassen. Das wiederum hatte keinen Einfluss auf die Geldstrafe, die Busse fiel aber mit 1050 Franken etwas geringer aus.

Beschuldigter erzählt verschiedene Versionen

Auch damit war der Beschuldigte nicht einverstanden. Aus mehreren Gründen. Vor allem behauptete er, er sei nicht der Angreifer gewesen, sondern der Angegriffene. Er habe in Notwehr gehandelt und es sei alles ganz anders gewesen.

Wie sich der Vorfall wirklich zugetragen haben soll, das schildert er allerdings von Befragung zu Befragung anders. Zuerst sagte er, er wollte Fotos von den Fahrzeugen machen, als der Privatkläger «schreiend auf ihn zugekommen» sei. Dann soll der Privatkläger vorerst im Auto geblieben sein. Als er selbst auf dessen Fahrzeug zugegangen sei, habe ihn der Kontrahent beschimpft «und vom Auto aus eine Faustbewegung ausgeführt, bevor er ausgestiegen und ihn gegen den Hals geschlagen habe».

In der Version, in welcher der Privatkläger schreiend auf ihn zugekommen sei, erzählt der Beschuldigte weiter, habe er die Hände nach unten gehalten, um zu signalisieren, dass er keine Gewalt wolle. Der Privatkläger habe jedoch «eine Kampfposition eingenommen» und ihn mit der Hand gegen den Hals geschlagen. Habseligkeiten des Beschuldigten wie Badge und Telefon seien auf dem Boden gefallen. Er habe sie aufgesammelt und zur Selbstverteidigung mit der flachen Hand gegen den Kopf des Privatklägers gestossen.

Weder Zeuge noch Beschuldigter glaubwürdig

Der Eindruck entstehe, dass er seine Aussage jener des Zeugen angleiche, konstatiert das Obergericht. Dieser war Beifahrer des Beschuldigten. Die Aussagen des Zeugen «erscheinen wenig zuverlässig», auch er widerspricht sich. Und die Behauptung des Beschuldigten, in Notwehr gehandelt zu haben, sei eine Schutzbehauptung.

Es bleibt beim Urteil der Vorinstanz. Die Kosten für das Verfahren vor Obergericht von 2142 Franken muss der Beschuldigte ebenfalls bezahlen wie die 3575.35 Franken für jenes vor Bezirksgericht. Weitere 2472.50 Franken muss er dem Privatkläger für das Verfahren bezahlen.