
Eine Partei sucht ihre Mitte und findet sie im Wallis – doch einer stiehlt den Bundesratskandidaten die Show
Er ist gewissermassen der Gastgeber: Philipp Matthias Bregy, Walliser Nationalrat, begrüsst im Foyer des Kongresszentrums «La Poste» in Visp die Delegierten seiner Partei, der Mitte. Der Fraktionschef im Bundeshaus schüttelt Hände, gibt Interviews und verbreitet die für ihn typische Gemütlichkeit. «Ich spüre eine gute Dynamik», sagt er, «die Partei steht zusammen.»
Nun ja. In den letzten Wochen erweckten die Mitte und besonders Bregys Bundeshausfraktion ein anderes Bild. Kurz nach Gerhard Pfisters Rücktrittsankündigung als Parteipräsident wurden der Parteichef und seine Generalsekretärin Gianna Luzio mit neuen und alten Vorwürfen über die Führung des Parteisekretariats eingedeckt.
Kurz darauf kündete Viola Amherd an, ihr Amt als Bundesrätin abzugeben. Sie überraschte damit sogar die eigene Partei. Die Absagen möglicher Kandidatinnen und Kandidaten folgten im Stakkato. Hinzu kamen Schlagzeilen,dass profilierte Politikerinnen von der Partei nicht angefragt, andere von der Findungskommission aber regelrecht bekniet wurden.
Am Ende steht die Partei mit Bauernpräsident Markus Ritter und dem Zuger Regierungsgrat Martin Pfister als Kandidaten für Amherds Nachfolge da. Vor zwei Monaten hätte wohl selbst in der Mitte niemand diese beiden als mögliche Bundesräte gehandelt.
Franziska Biner, Präsidentin der Mitte Oberwallis, kommt die Rolle zu, die Versammlung zu eröffnen. Sie setzt den Ton mit den Worten: «Liebe Mitte-Familie.» Biner lässt es sich nicht nehmen, die abtretende Bundesrätin Viola Amherd zu würdigen, die «bald wieder mehr Zeit in unserer schönen Heimat, dem Wallis» haben werde. Sie hat auch für Parteichef Pfister ein gutes Wort: «Eine Partei der Mitte zu führen, ist keine einfache Aufgabe.»
Applaus brandet auf, zuerst für Amherd, die in der ersten Reihe sitzt, dann für Pfister. Die Erleichterung bei den über 200 Delegierten im Saal ist spürbar: Wir können noch zusammen. Die Mitte-Familie feiert sich selbst.
Eine Rede wie von einem Bundesrat
Auftritt Gerhard Pfister. Er spricht von einer herausfordernden Zeit für die Partei, zeigt Verständnis, dass «in einer solchen Phase des Wandels verschiedene Interessen sichtbar werden und Dynamiken entstehen». Doch die Diskussionen müssten dort geführt werden, wo sie hingehören: «in den zuständigen Gremien (…) und nicht vornehmlich über die Medien».

Bild: Peter Schneider / KEYSTONE
Pfister zählt die Erfolge seiner Amtszeit auf: Bei den Wahlen 2023 das beste Wahlergebnis seit 40 Jahren, dass die Mitte im Nationalrat stärker sei als die FDP und «die stärkste Kraft im Ständerat». Es spricht der Chef. Dass Pfister das Parteipräsidium, «das schönste Amt nach Papst», wie er selbst sagt, bald abgibt: kann man sich in diesem Moment nur schwer vorstellen.
Doch der Vollblutpolitiker lässt es nicht bei der Innensicht bewenden. Er richtet den Blick auf die Welt, die geopolitische Lage. Er spricht von der Rückkehr der Machtpolitik, von Demokratien, die «zerbrechlich geworden» sind. «Klar ist einzig die Unberechenbarkeit.»
Und Pfister redet Klartext zum Ukraine-Krieg und zur Rolle der Schweiz: Eine Neutralität, die bei einem Krieg in Europa nicht zwischen Angreifer und Angegriffenem unterscheide, eine Neutralität, die sich darauf verlasse, dass andere uns selbstverständlich mitverteidigen werden, «eine solche Neutralität ist meines Erachtens unanständig». Es ist eine Rede, wie man sie sich von Mitgliedern der Landesregierung öfter wünschen würde. Und es fragt sich: Warum kandidiert dieser Mann nicht für den Bundesrat?
Martin Pfister und die Not der Kantone
Mit seinem Auftritt legt Pfister, der Erfinder und Vordenker der Mitte-Partei, die Latte hoch. Zu hoch für die beiden Politiker, die jetzt tatsächlich kandidieren. Das ist nicht Ritters und Martin Pfisters Fehler – das wäre sehr vielen Bundespolitikerinnen und -politikern so gegangen.
Offenbar hat man das im Generalsekretariat vorausgesehen. So lässt denn das Drehbuch Gnade walten. Statt selber eine Rede halten zu müssen, stellen sich der Bauernpräsident und der Zuger Regierungsrat den Fragen, die von den Delegierten im Voraus eingereicht werden konnten. Eine Auswahl davon wird zufällig gezogen. Wie bei einer Lotterie.
Entsprechend hüpft das Gespräch von Thema zu Thema: Gute Dienste bei Konflikten im Ausland. Sind wichtig, finden beide. Klimaabkommen von Paris. Hat die Schweiz Ja gesagt, muss eingehalten werden, finden beide. Neue EU-Verträge. Sind wichtig, muss man aber gut lesen, finden beide. Wobei Kandidat Pfister hier mehr Engagement dafür erkennen lässt.
Migration? «Humanitäre Tradition Ja», sagt Ritter, «trotzdem braucht es glaubwürdige Verfahren». Pfister will, dass Menschen, «die fliehen müssen, auch von der Bevölkerung gut aufgenommen werden». Aber: «Der Leidensdruck in den Kantonen ist gross.»
Es sei Aufgabe des Bundesrats, Klarheit zu schaffen, etwa indem die Verfahren in den Asylzentren des Bundes abgeschlossen werden, sich nicht später in den Kantonen noch lange hinziehen. Und Pfister fordert, dass sich die Schweiz auch an den Aussengrenzen Europas engagiert.
Der Fondue-Fauxpas
Zur Auflockerung fragt Generalsekretärin Luzio nach politischen Vorbildern. «Kurt Furgler», dessen Gedankenschärfe und sein Redetalent, sagen beide. Als er Furgler seinerzeit reden gehört habe, habe er sich gedacht: «Wenn man das auch einmal so gut könnte!», sagt Ritter.
Und dann ist da noch die alles entscheidende Frage: Fondue oder Raclette? «Fondue!», sagt Pfister wie aus der Pistole geschossen. Ein Raunen, ja fast ein Aufschrei geht durch den Saal. Zu spät merkt der Zuger, wo er sich befindet: Im Wallis, dem Tal des geschmolzenen Käses.
Doch auch der Fauxpas wird fröhlich weggelacht – von der Mitte-Familie.