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Die Schweiz übt sich einmal mehr im China-Spagat

Die Schweiz empfängt heute hohen Besuch aus China. Gefragt ist diplomatisches Geschick. Denn der Umgang mit der Grossmacht ist stets eine Gratwanderung – im Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftsinteressen und Menschenrechten.

Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann steht in einer Halle des Basler Rheinhafens und strahlt über das ganze Gesicht. Gemeinsam mit einer Delegation der chinesischen Regierung verfolgt er einen Löwentanz. Dieser wird im Reich der Mitte stets dann zum Besten gegeben, wenn es etwas zu Feiern gibt – wie an jenem Dienstag im Juli 2014.

Gefeiert wird das neue Freihandelsabkommen – ein Meilenstein für die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik. Als zweites Land Europas – nach Island – ist es der Schweiz gelungen, dass hiesige Unternehmen viele ihrer Güter zu einem reduzierten Satz oder gar zollfrei in China einführen können.

Doch wenn die Schweiz heute Montag Chinas Ministerpräsident Li Qiang – die Nummer 2 nach Präsident Xi Jinping – empfängt, ist klar: Die Anfangseuphorie ist verflogen. Das bilaterale Verhältnis hat sich merklich abgekühlt. Aus Sicht des Bundesrates ist die erhoffte politische Öffnung im Reich der Mitte trotz intensivem Handel ausgeblieben. Die Hoffnung von «Wandel durch Handel» hat sich zerschlagen.

So hat es die Landesregierung in ihrer 2021 definierten China-Strategie festgehalten. Das Land sei «wohlhabender, aber nicht freier» geworden. Vor den Medien sagte Aussenminister Ignazio Cassis unverblümt: «Politisch bleibt China faktisch ein Einparteienstaat mit zunehmend autoritären Tendenzen.» Von einer «Demokratur», wie Schneider-Ammann das Land noch 2016 nannte, war keine Rede mehr.

Fake News aus Bern

Die ungewohnt deutlichen Worte sorgten in Peking für Empörung. China werde mit «böswilligen Labels» versehen, kritisierte der in Bern stationierte Botschafter. Er sprach von «Unwahrheiten» und «Fake News». Solche Aussagen wirkten sich negativ auf die Beziehungen der beiden Länder aus.

Gefragt ist also diplomatisches Geschick, wenn Bundespräsidentin Viola Amherd Li Qiang auf dem Landgut Lohn mit allen militärischen Ehren empfängt. Im Zentrum der Gespräche dürfte das Freihandelsabkommen stehen. Die Schweiz drängt seit vielen Jahren auf ein Update. Aus ihrer Sicht hat das Abkommen Mängel.

Gerade bei hoch innovativen Produkten greift das Abkommen zu kurz. Auch klagen Branchen über bürokratische Hürden und aufwendige Zertifizierungen. Die ungleichen Kräfteverhältnisse schlagen sich bereits im ursprünglichen Abkommen nieder. Während 99,7 Prozent aller chinesischen Exporte in der Schweiz auf einen Schlag zollfrei wurden, waren es für Schweizer Ausfuhren nach Asien nach mehrjährigen Übergangsfristen bloss 84 Prozent.

China sitzt am längeren Hebel

Ob beide Seiten einen Durchbruch erzielen, bleibt fraglich. Im Anschluss an die Gespräche ist kein öffentlicher Auftritt vorgesehen. Es bleibt bei einer Medienmitteilung. Aus dem publizierten Programm geht hervor, dass eine «Unterzeichnungszeremonie» geplant ist.

Das muss nicht viel heissen. Bereits 2017 hatten die damalige Bundespräsidentin Doris Leuthard und Präsident Xi Jinping eine Absichtserklärung für eine Modernisierung des Freihandelsabkommens unterschrieben. Ein Jahr später legte China die Gespräche bereits wieder auf Eis und weigerte sich in der Folge, den Dialog wieder aufzunehmen.

2019 hat China den bilateralen Menschenrechtsdialog ausgesetzt, den beide Seiten seit 1991 pflegen. Damit protestierte die Grossmacht gegen Kritik der Schweiz an der Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren. Die Botschaft aus Peking war klar: Haltet euch mit Kritik zurück.

Bei einem heiklen Thema war der Bundesrat zuletzt peinlich darauf bedacht, China nicht zu verärgern. Ohne die Öffentlichkeit zu informieren, beschloss er, die EU-Sanktionen gegen die Grossmacht wegen Verstössen gegen die Menschenrechte nicht zu übernehmen.

Wie gross die Abhängigkeit von China ist, musste die Schweiz schmerzlich während der Coronapandemie erfahren. Und wie ein Damoklesschwert hängt die Taiwan-Frage über den bilateralen Beziehungen. Sollte Xi Jinping sich zum Angriff auf die in seinen Augen abtrünnige Provinz entscheiden, müsste die Schweiz vor dem Hintergrund zwischen der Rivalität zwischen China und den USA wohl Farbe bekennen.

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