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Nach 60 Jahren haben Deutschlands Atomkraftgegner ihr Ziel erreicht, doch ihre Freude wirkt merkwürdig verhalten

Am Samstag werden die letzten drei Kernkraftwerke stillgelegt. Eine Mehrheit der Deutschen lehnt den Ausstieg allerdings ab. Dabei spielt vor allem die Sorge um höhere Energiepreise eine Rolle. 

In der deutschen Industrie- und Wissenschaftsgeschichte endet am Samstag eine Ära: 62 Jahre, nachdem mit dem Kernkraftwerk im fränkischen Kahl Deutschlands erster kommerzieller Atomreaktor seinen Betrieb aufgenommen hat, steigt die Bundesrepublik aus der Kernkraft aus. Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland gehen an diesem Wochenende vom Netz.

Eigentlich hätten sie bereits Ende 2022 abgeschaltet werden sollen, doch unter dem Eindruck der Energiekrise, die auf den russischen Einmarsch in der Ukraine folgte, hatte sich die deutsche Regierung letzten Herbst dazu durchgerungen, die Laufzeit der letzten Meiler noch einmal zu verlängern. Es war eine schwere Geburt: Den Grünen, der zweitgrössten der drei Regierungsparteien, fiel der Schritt erkennbar schwer. Am Ende brauchte es ein Machtwort des sozialdemokratischen Kanzlers Olaf Scholz.

Der Streit brach erst jüngst wieder auf

Mit der Abschaltung wird der Atomausstieg, den eine rot-grüne Regierung unter dem Sozialdemokraten Gerhard Schröder vor zwei Jahrzehnten beschlossen hat, vollendet. Deutschlands ökologische Bewegung, die seit rund 60 Jahren gegen die Kernkraft kämpfte, hat damit eines ihrer zentralen Ziele erreicht. Geschlossen wird damit auch ein Kapitel in der Kulturgeschichte der Protestbewegungen: Ereignisse wie die Kundgebungen gegen das geplante Kraftwerk Wyhl in Südbaden oder das Atommülllager im niedersächsischen Gorleben prägten die Republik.

Proteste gegen die Kernkraft prägten die Republik: Demonstranten gehen gegen das geplante Kraftwerk im südbadischen Wyhl auf die Strasse (undatierte Aufnahme; vermutlich Mitte der Siebzigerjahre). 
Bild: Bund-Archiv/BLZ

Zeitweise war der Ausstieg in der deutschen Politik nahezu Konsens: 2011, unter dem Eindruck der Havarie im japanischen Fukushima, bekannten sich die christdemokratische Kanzlerin Angela Merkel und ihre Partei zum Ende der Atomkraft, nachdem sie den Ausstieg zuvor jahrelang bekämpft hatten. Die Grünen schienen sich endgültig durchgesetzt zu haben.

Von dieser Einigkeit ist wenig geblieben: Kein anderes Land reagiere auf den Krieg in der Ukraine und die verschärfte Versorgungslage so wie die Bundesrepublik, sagte Friedrich Merz, der Chef der oppositionellen Christdemokraten, am Freitag dem Norddeutschen Rundfunk. Weltweit liefen mehr als 400 Kernkraftwerke und 60 weitere befänden sich im Bau. Der Samstag sei «ein schwarzer Tag für Deutschland».

Umweltministerin Steffi Lemke verteidigte den Ausstieg und verwies noch einmal auf eines der zentralen Argumente der Kernkraftgegner: Es gebe kein sicheres Endlager für Atommüll. Dafür einen geeigneten Standort zu finden, sei eine Jahrhundertaufgabe. Mit dem Atommüll müssten noch 30’000 Generationen leben, sagte die Grünen-Politikerin. Wie man von einer nachhaltigen Technologie reden könne, sei ihr schleierhaft.

Ein Wiedereinstieg ist unwahrscheinlich

Wie sehr sich der Zeitgeist in den letzten Monaten gegen die Grünen gewandt hat, zeigt eine Umfrage der ARD. Demnach lehnen knapp 60 Prozent der Befragten die Stilllegung der letzten Meiler ab. Dabei scheint es vor allem die Sorge um das eigene Budget zu sein, welche die Bürger umtreibt: Zwei von drei Befragten befürchten höhere Energiepreise. Die Jungen sehen die Kernkraft allerdings kritischer: So befürwortet die Hälfte der 18- bis 34-Jährigen deren Ende, während sich nur 39 Prozent dafür aussprechen, die Meiler weiterlaufen zu lassen.

Damit, dass Deutschland in absehbarer Zeit wieder in die Kernkraft einsteigt, rechnet praktisch niemand: Kraftwerke von Grund auf neu zu bauen kostet sehr viel Zeit und Geld, und einen neuen Meiler in der Nachbarschaft wollen nur die wenigsten haben, auch wenn die Erfahrung zeigt, dass dort, wo die Kraftwerke standen, die Skepsis meist eher gering war, wohl auch weil die Betreiber Arbeit gaben und Steuern zahlten.

Dafür, dass sie ein langersehntes Ziel erreicht haben, herrscht unter den Kernkraftgegnern erstaunlich wenig Feierstimmung. Auf den Ausstieg anstossen werde er nicht, sagte Jürgen Trittin, der unter Gerhard Schröder Umweltminister war, dem Berliner «Tagesspiegel». Der Grünen-Politiker dürfte ahnen, dass sich seine Partei durch ein allzu triumphales Auftreten kaum Freunde machen würde.

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