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Grünliberale im Hoch: Die «Trittbrettfahrer» holen weiter auf

Schon die ganze Legislatur über werden den Grünliberalen weitere Sitzgewinne an den nächsten Wahlen weisgesagt. Das kontrastiert mit der eher mageren inhaltlichen Bilanz der Partei – aber vielleicht ist gerade dies das GLP-Erfolgsrezept.

Die Grünliberalen sind so etwas wie die Partei der Stunde. Landauf, landab eilen sie von Erfolg zu Erfolg und greifen 2023 erstmals in allen Kantonen der Schweiz nach den Sitzen im eidgenössischen Parlament. Die GLP schwimmt obenauf, einer Gummi-Ente gleich. Das liegt auch daran, dass sie gerne mal mit links und mal mit rechts mit dem Strom treibt – Ecken und Kanten lässt die jüngste der Parteien dabei oft vermissen.

Was sind die grössten Erfolge der Partei?

Die vergangene Legislatur bedeutete einen enormen Wachstumsschub für die Grünliberalen. Seit April 2022 und der Gründung der GLP Uri ist die Partei in allen Kantonen vertreten. Es ist sinnbildlich für die Bewegung, die im urbanen Zürich ihren Ursprung hat, dass sie sich kurz vor ihrem 18. Geburtstag über das ganze Land hinweg konsolidieren konnte: Die grünliberale Bewegung hat auch die landwirtschaftlich geprägte Schweiz erreicht. Anders als bei den Grünen ebbte der Erfolg seit der grünen Welle nicht wieder ab – oder wenn, dann sehr langsam.

Jürg Grossen, Parteipräsident der Grünliberalen. 
Bild: Gaetan Bally/Keystone

Noch immer umgibt die GLP den Nimbus des Neuen, was sie auch äusserst erfolgreich kultiviert: Sie will sich als Zentrumspartei etablieren und beansprucht für sich, eine unideologische, pragmatische Politik zu betreiben. Je nach Vakuum in den Kantonen betonen die verschiedenen Sektionen mal eher ihre links-grüne, mal eher ihre bürgerlich-liberale Seite.

Grünliberale Politik hat auch Züge eines Lifestyles: In «Labs» und «Thinktanks» forscht die Partei an Konzepten für die Zukunft – und wie sich diese schlau vermarkten lassen. Siege fuhr sie dabei vor allem in der Gesellschaftspolitik ein: Eizellenspende für Frauen, Ehe für alle und grosszügige Elternzeit – wie jüngst durch eine Initiative im Kanton Genf errungen – zählen zu den grossen Siegen auf politischer Ebene. Ansonsten bringen es einerseits das Erfolgsmodell der Kompromissbereitschaft und ihre Rolle als kleinste Bundeshausfraktion mit sich, dass die Partei zwar immer wieder an grossen Entscheiden mitwirkt (Klimaschutzgesetz, AHV-Reform, Sexualstrafrecht-Reform), ohne den Lead zu übernehmen.

Was waren die krachendsten Niederlagen?

Die Kehrseite der Medaille: Es ist nicht einfach, Niederlagen an der GLP festzumachen. Im nationalen Parlament spielt die Partei nicht selten das Zünglein an der Waage – entsprechend steht sie automatisch auf der Seite der Gewinner. Das trug ihr auch schon – nicht ganz zu Unrecht – den Ruf einer inhaltlichen Trittbrettfahrerin ein. Als das Volk 2021 wiederum das CO2-Gesetz versenkte, haftete das trotz klarer Bekenntnis dazu viel weniger an der flexiblen GLP als am rot-grünen Lager oder der Mitte-Parteileitung, die in Verruf geriet, die eigene Basis missverstanden zu haben.

Dazu passt, dass sich die Grünliberalen äusserst ungern dogmatisch verorten, denn das wäre dem Ruf des Pragmatismus ja auch abträglich. Sich zu exponieren, etwa mit eigenen Volksinitiativen, wagt die GLP seit der Kanterniederlage 2015 («Energie- statt Mehrwertsteuer», Nein-Anteil: 92 Prozent) nicht so schnell wieder. Am klarsten positioniert sich die GLP in der Europapolitik, wo sie sich stets zur EU bekennt. Nennenswerte Fortschritte gibt es in diesem Feld zwar keine, nur stehen die Grünliberalen auch nicht direkt dafür in der Verantwortung. In der Aussenpolitik sind sie zu leichtgewichtig und im Bundesrat schlicht nicht vertreten, Forderungen wie etwa nach einem Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum verhallen deshalb nahezu ungehört.

Wer sind die Auf-, Ab- und Aussteiger der laufenden Legislatur?

Hört man sich in der Partei um, fällt ein Name überraschend oft: Melanie Mettler. Seit 2019 im Nationalrat, seit 2021 Vizepräsidentin der Partei, bereits mehrfach Gast in der «Arena» von SRF, dazu Co-Präsidentin der parlamentarischen Gruppe Frauen: Für eine der «Neuen» hat sich Mettler erstaunlich schnell vernetzt. In ihrem Kerndossier, der Altersvorsorge, gilt die Bernerin mit Parteikollegin Kathrin Bertschy als eine der Strippenzieherinnen aus der politischen Mitte.

Ebenfalls neu – auch wenn es nach seiner Abwahl 2015 eher eine Rückkehr bedeutete – politisiert Roland Fischer seit 2019 in der GLP-Fraktion. In seinem zweiten Anlauf unterstreicht der Luzerner sein Know-how als Finanzexperte. Als solcher erlebt er derzeit turbulente Zeiten. Er stand der Finanzkommission als Präsident vor, als die Krise um die Credit Suisse ihren Lauf nahm. Diese Geschichte wird ihn voraussichtlich noch einige Zeit begleiten: Fischer vertritt die Grünliberalen in der Parlamentarischen Untersuchungskommission, welche den Skandal politisch aufarbeiten soll.

Mit Sicherheit keine Newcomerin, sondern vielmehr durch ihre Beständigkeit ist Tiana Angelina Moser mittlerweile zur Dienstältesten aller Fraktionspräsidien aufgestiegen: Seit 2011 dirigiert sie die Grünliberalen im Bundeshaus, schmiedet dabei umsichtig Bündnisse mit allen Seiten – und wirkt gegen innen als ruhender Pol.

Zwei prägende Gesichter der GLP: Fraktionspräsidentin Tiana Angelina Moser und Mitgründer Martin Bäumle.
Bild: Peter Klaunzer/Keystone

Bei den Absteigern der laufenden Legislatur gerät vor allem er in den Fokus: Ex-Präsident und Partei-Mitgründer Martin Bäumle. 2020, als sich die GLP für die Annahme der Konzernverantwortungsinitiative aussprach, sagte er: «Ich verstehe meine Partei immer weniger.» Drei Jahre später gilt dieser Satz auch von der Gegenseite. Bäumles Kurs in der Ukraine-Diskussion wird von niemandem in der Fraktion so richtig mitgetragen. Mehrfach forderte Bäumle, auch die Ukraine müsse sich auf Russland zubewegen – und erntete dafür Kritik, Appeasement-Politik zu betreiben.

Bekannteste Aussteigerin ist hingegen Isabelle Chevalley. Nach zehn Jahren zog sich die Waadtländerin 2021 aus dem Nationalrat zurück, was der Partei durchaus Probleme bereitete: In der Romandie sind die Grünliberalen zwar ebenfalls auf dem Vormarsch, doch fehlen der Partei die bekannten Gesichter.

Wie schnitt die Partei bei den kantonalen Wahlen ab?

Gleich nach dem damaligen Wahlerfolg stiegen die Mitgliederzahlen der Partei rasant an, was sicher mithalf, die GLP in der ganzen Schweiz als politische Kraft zu etablieren. In den Kantonen haben die Grünliberalen denn auch klar die beste Bilanz aller Parteien vorzuweisen: Ein Plus von 59 Sitzen in den Kantonsparlamenten, dazu mit Peter Truttmann (NW) und Esther Keller (BS) zwei Sitze in den Kantonsregierungen schlagen zu Buche. Dem gegenüber stehen Niederlagen in den Regierungswahlen von Zürich und Luzern, wo die Partei weiter auf Exekutivverantwortung warten muss.

Wie sieht die Prognose für den kommenden Herbst aus?

Glaubt man den Umfragen, sah es zwischenzeitlich nach einem weiteren gigantischen Zuwachs aus für die Grünliberalen, die bereits 2019 einen grossen Teil der «grünen Welle» für sich beanspruchen konnten. Zuletzt geriet die hellgrüne Offensive zwar etwas ins Stocken, doch dank geschickter Listen-Strategien dürfte die Rechnung für die GLP auch im Herbst an den eidgenössischen Wahlen aufgehen. Zumindest im Nationalrat liegen damit einige Sitzgewinne im Bereich des Möglichen, wenn auch kaum im selben Umfang wie 2019, als die GLP neun zusätzliche Mandate eroberte. Einen schweren Stand hat die Partei nach wie vor im Stöckli: Seit Jahren ist sie dort nicht mehr vertreten. Das wird sich wohl auch 2023 nicht gross ändern – trotz allgemeinen Hochgefühls.