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Umfassende Freisprüche für Sepp Blatter und Michel Platini – jetzt könnte es eng werden für Fifa-Chef Gianni Infantino

Das Bundesstrafgericht in Bellinzona hat sein Urteil in Betrugsprozess gegen die beiden ehemaligen Spitzenfunktionäre im Weltfussball gefällt.

Das Urteil im Betrugsprozess gegen Joseph Blatter (86) und Michel Platini (67) ist gefallen. Kurz nach zehn Uhr am Freitag eröffnete das Bundesstrafgericht in Bellinzona das Verdikt.

Der Gerichtsschreiber verlas das Urteil: Freisprüche für Blatter und Platini vom Vorwurf der ungetreuen Geschäftsbesorgung und, im Fall von Platini, der Gehilfenschaft dazu. Blatter und Platini erhalten ihre Auslagen ersetzt, die Fifa enthält keine Entschädigung.

Die Zahlung von zwei Millionen Franken, die 2011 von der Fifa an Platini gingen, war demnach korrekt.

Platini war mit drei Anwälten von Gericht präsent, angeführt vom Berner Dominic Nellen. Anwesend war auch sein Genfer Anwalt Ralph Isenegger. Blatter hatte seinen Verteidiger Lorenz Erni an seiner Seite, aber auch seine Tochter war anwesend. Die beiden Beschuldigten sassen zwei Meter entfernt voneinander im Gerichtssaal. Vor der Urteilsverkündung unterhielten sich die beiden mehrmals kurz, wobei es Blatter war, der das Gespräch suchte.

Die Fifa war mit vier Anwälten vor Ort, angeführt von der Genferin Catherine Hohl-Chirazi. Staatsanwalt Thomas Hildbrand liess sich von einer Assistentin begleiten. Aber der Fokus im Verfahren sei verstärkt auf der Frage gelegen, wie die Beweise überhaupt erhoben worden seien und auf den Geheimtreffen in der «Schweizerhof-Affäre» um Fifa-Präsident Gianni Infantino und Ex-Bundesanwalt Michael Lauber.

Es seien überhöhte öffentliche und mediale Erwartungen an das Verfahren gestellt worden, so die Richterin. Darum sei es aber nicht gegangen, sondern nur um die Frage der zwei Millionen. Und ob die Beweise, die zum Verfahren führten, korrekt erhoben worden waren. Und ob sich die Bundesanwaltschaft allenfalls, wie es die Verteidigung sah, auf gesiegelte Beweise gestützt hatte.

Die Eröffnung eines Strafverfahrens müsse korrekt abgelaufen sein, dieser Frage habe das Gericht nachgehen müssen. Namentlich der angeklagte Sachverhalt spiele dabei eine Rolle, nicht aber Schweizerhof-Affäre um nicht protokollierte Treffen. Darum kümmerten sich zwei Sonderermittler.

Das Gericht sei zum Schluss gekommen, dass sämtliche Papierunterlagen spätestens am 15. Juli entsiegelt worden waren. Die Eröffnungsverfügung der Bundesanwaltschaft habe sich also nicht auf versiegelte Unterlagen gestützt und sei korrekt erfolgt. Sie habe zudem aufgrund der vorliegenden Verdachtsmomente, dazu gehörten Medienberichte, das Verfahren 2015 zwingend eröffnen müssen. Soweit also alles korrekt verlaufen, so das Gericht.

Auch keine Rolle spielte für das Gericht, ob die Bundesanwaltschaft einen Hinweisgeber hatte, als es auf die zwei Millionen kam. Auch dafür seien die Sonderermittler zuständig.

Nachvollziehbar sei für das Gericht auch, dass das Verfahren 2015 zunächst nur gegen Blatter eröffnet wurde.

Der Spruchkörper, der das Urteil fällte, bestand aus Bundesstrafrichterin Joséphine Contu Albrizio (FDP) als Präsidentin sowie den Bundesstrafrichtern David Bouverat (SVP) und Adrian Urwyler (Die Mitte). Letzterer war bereits Mitglied des Spruchkörpers gewesen, der 2020 das Verfahren um die WM 2006 in Deutschland («Sommermärchen») verjähren liess. Die Hauptverhandlung hatte während drei Wochen im Juni stattgefunden, mehrere Zeugen waren befragt worden, die teils widersprüchliche Aussagen machten.

Die Bundesanwaltschaft mit dem federführenden Staatsanwalt Thomas Hildbrand hatte nach fast siebenjähriger Untersuchung Anklage gegen die beiden ehemaligen Fussball-Funktionäre wegen Betrug, eventuell Veruntreuung oder ungetreuer Geschäftsbesorgung sowie Urkundenfälschung erhoben. Bei Platini ging es teilweise um Teilnahme an den Delikten.

Der Weltfussballverband Fifa unter Präsident Gianni Infantino trat vor Gericht mit grossem Einsatz und mehreren Anwälten als Privatkläger auf.

Strittige Zahlung von zwei Millionen Franken

Es ging um eine strittige Zahlung aus dem Jahr 2011 von 2 Millionen an Platini, die von Fifa-Präsident Blatter ausgelöst worden war. Die Anklage und die eng mit ihr arbeitendende Fifa stellten sich auf den Standpunkt, das Geld sei nicht geschuldet gewesen; Blatter und Platini hätten die Fifa diesbezüglich bewusst und arglistig getäuscht. Ein Motiv für die Zahlung vermochte die Bundesanwaltschaft dagegen nicht zu präsentieren.

Zu Beginn des Verfahrens, 2015, war die Rede davon, dass es um Korruption bei der Vergabe von Fussball-Weltmeisterschaften, namentlich Katar ging. Davon ist keine Rede mehr. Diffus steht jetzt noch im Raum, dass die Zahlung im Zusammenhang mit dem Verzicht von Platini auf eine Kandidatur gegen Blatter 2011 als Fifa-Präsident stehe. Zeitlich geht aber auch diese Theorie nicht wirklich auf.

Ein Gentlemen’s Agreement aus dem Jahr 1998

Blatter und Platini sagten seit 2015 im Wesentlichen das Gleiche: Es habe sich um eine verspätete Lohnzahlung aus den Jahren 1998 bis 2001 gehandelt, als Platini Blatters Berater bei der Fifa war. Die zuständige Fifa-Gremien hätten die Zahlung 2011 ordentlich bewilligt. Basis sei eine mündliche Abmachung, ein Gentlemen’s Agreement aus dem Jahr 1998 gewesen. Der ehemalige Weltklassefussballer Platini habe damals eine Million verlangt, Blatter, der damals Fifa-Präsident werden wollte, habe zugestimmt.

Allerdings habe die Fifa zunächst nicht soviel zahlen können, daher habe Blatter Platini auf später vertröstet. Platini erhielt ab 1999 einen Vertrag über 300’000 Franken – die Summe, die damals auch der Fifa-Generalsekretär verdiente. Platini will Blatter ab 2010 an sein Versprechen erinnert haben, nachdem er erfuhr, dass die Fifa hohe Abgangsentschädigungen an Direktionspersonal bezahlt hatte. Die Fifa verlangte von Platini darauf, er solle Rechnung stellen, was er tat. Das wurde ihm später von der Bundesanwaltschaft als Urkundenfälschung ausgelegt.

Die Zahlung von 2 Millionen wurde 2011 ausgelöst, zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge. Platini versteuerte die zwei Millionen, er lieferte 830’000 Franken an den Schweizer Fiskus ab. Unbestritten ist, dass die Zahlung durch die Fifa-Finanzabteilung lief und dort zur Kenntnis genommen und dann ausgelöst wurde. Die zwei Millionen erschienen etwa auch auf Tabellen mit den Zahlungen an die Fifa-Exekutivmitglieder. Fifa-Anwältin Catherine Hohl-Chirazi versuchte vor Gericht dazulegen, dass die Zahlung damals von den zuständigen Fifa-Gremien nicht genehmigt worden sei.

Im Lauf des Gerichtsverfahrens in Bellinzona blieb insbesondere die Frage offen, wie der Anfangsverdacht zustande gekommen war, ob es hier mit rechten Dingen zuging. Strittig war auch, ob die Bundesanwaltschaft alle beschlagnahmten Akten verwenden durfte. Die Fifa hatte 2015 zunächst Siegelung der Unterlagen verlangt.

Im Vorfeld der Urteilseröffnung gingen die meisten Beobachter davon aus, dass es zumindest im Fall von Platini zu einem Freispruch kommen würde. Der Betrug, der Arglist erfordert, könne bei weitem nicht bewiesen werden, so die Einschätzungen. Und Platini hatte im Unterschied zu Blatter in den fraglichen Jahren keine Unterschriftsberechtigung bei der Fifa, er konnte sich daher nicht der ungetreuen Geschäftsbesorgung schuldig machen.

Strafverfahren hatte fatale Folgen für Platini

Das Strafverfahren, 2015 eröffnet, hatte namentlich für Platini weitreichende Folgen, weil die Fifa ihn (wie auch Blatter) schon Tage später sperrte. Dabei war der Franzose damals Kronfavorit für die Nachfolge des abtretenden Blatter als Präsident des Weltfussballverbands. So wurde im Februar 2016 Gianni Infantino als Blatter-Nachfolger gewählt. Platini musste in der Folge auch das Präsidium des Europaverbands Uefa abgeben.

Das umstrittene Strafverfahren war am 25. September 2015 vom damaligen Staatsanwalt des Bundes Olivier Thormann zunächst wegen Verdacht auf ungetreue Geschäftsführung, eventuell Veruntreuung, nur gegen Joseph Blatter eröffnet worden. Michel Platini war nicht Beschuldigter, sondern Auskunftsperson. Blatter werde «eine treuwidrige Zahlung von CHF 2 Mio. im Februar 2011 an Michel Platini, Präsident der Union of European Football Associations (UEFA), zu Lasten der FIFA vorgeworfen, angeblich für die zwischen Januar 1999 und Juni 2002 geleisteten Dienste», stand in der Medienmitteilung der Bundesanwaltschaft.

In einem zweiten Punkt ging es um einen für die Fifa «ungünstigen Vertrag» um TV-Rechte, den Blatter 2005 mit der karibischen Fussball-Union unter Jack Warner abgeschlossen haben soll. Dieser Teil des Verfahrens wurde später, 2021, kleinlaut eingestellt. Auch in der Sache um die zwei Millionen passierte seitens der Bundesanwaltschaft nach der grossen Ankündigung jahrelang nichts mehr.

Bis im Jahr 2020, als der externe Staatsanwalt des Bundes Thomas Hildbrand, ein entfernter Verwandter von Blatter, das Verfahren übernahm. Er ermittelte neu auch wegen Betrug und dehnte das Verfahren auf Platini als Beschuldigten aus. Dieser hatte damit nach fünf Jahren erstmals Parteirechte und Akteneinsicht.

Michel Platini am 8. Juni, bei Prozessbeginn, in Bellinzona. Hinten im Bild einer seiner Anwälte, der Genfer Vincent Solari. 
Alessandro Crinari / EPA / keystone-sda.ch

Dabei war die Aktion vom 25. September 2015 gegen Blatter und Platini von der Bundesanwaltschaft, die im Kielwasser der USA vollmundig gegen Fifa-Korruption vorging, öffentlichkeitswirksam inszeniert worden. Die Ermittler fingen die beiden nach einer Sitzung des Fifa-Exekutivkomitees in Zürich ab und befragten sie getrennt voneinander, während die Bundeskriminalpolizei Blatters Büro durchsuchte.

Nationale und internationale Medien, die auf die Pressekonferenz nach der Sitzung der Fifa-Spitze warteten, erlebten die Aktion der Schweizer Ermittler hautnah mit. Die Meinungen waren schnell gemacht: «Platinis Demaskierung» titelte die Neue Zürcher Zeitung. «Die Schlinge zieht sich zu», so der Blick. Er fabulierte bereits davon, dass Blatter «die maximale Strafe» von «siebeneinhalb Jahren» erhalten könnte und fragte: «Lebensabend hinter Gittern?»

Bei der Bundesanwaltschaft, wo seit einigen Monaten André Marty als Kommunikationschef am Ruder war, hatte jemand in Sachen «Medienbetreuung» ganze Arbeit geleistet.

Schon drei Tage später, am 28. September, erfuhr die deutsche «Welt» aus aus dem «Fifa Umfeld», dass die Suspendierung Blatters und Platinis durch die Fifa-Ethikkommission kurz bevorstehe. Einiges sah also nach einer konzertierten Aktion zwischen Bundesanwaltschaft und Fifa aus.

Platini wird so schnell keine Ruhe geben

Namentlich Platini wird das Ganze nicht auf sich beruhen lassen. Er ist überzeugt, Opfer einer Verschwörung geworden zu sein, bei der sein damaliger Generalsekretär bei der Uefa und heutige Fifa-Präsident Gianni Infantino mitmischte oder sogar Regie führte. Platini hat den Fifa-Präsidenten daher in Frankreich angezeigt. Ebenfalls anzeigt hat er, als angeblichen Gehilfen, Marco Villiger, der 2015 Fifa-Chefjurist war.

Infantino und Villiger sind bereits Beschuldigte in der «Schweizerhof-Affäre» um die ominösen, weil nicht protokollierten und in einem Fall «vergessenen» Treffen zwischen Infantino und dem damaligen Bundesanwalt Michael Lauber. Die Frage ist, ob und was dort genau gekungelt wurde, ob es zu strafbaren Handlungen kam. Das Strafverfahren gegen insgesamt sechs Personen wird von zwei Sonderermittlern des Bundes geführt. Es geht um Verdacht auf Amtsgeheimnisverletzung, Amtsmissbrauch, Begünstigung beziehungsweise Anstiftung dazu. Beschuldigt ist auch Richter Olivier Thormann, der 2015 das Verfahren gegen Blatter eröffnet hatte.

Denkbar ist etwa, dass es bei den Treffen auch um das Verfahren gegen Blatter und Platini ging. Sollte das Verfahren letztinstanzlich mit einem Freispruch für die beiden enden, drohen Schadenersatzforderungen. Platini etwa dürfte nicht zögern, gegen die Fifa vorzugehen. Er machte in den letzten Wochen in Bellinzona keinen Hehl daraus, dass er wütend ist und sich von der Fifa betrogen fühlt.