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Der Aargau zählt in der Geschichte fünf Bundesratsmitglieder – das ist eigentlich eines zu viel

Die Vereinigte Bundesversammlung wählt am Mittwoch den 122. Bundesrat in der Geschichte der modernen Schweiz. Der Aargauer Publizist Silvio Bircher wirft einen Blick in die 175-jährige Geschichte des Bundesstaats und die Aargauerinnen und Aargauer in der Landesregierung. Einen Aargauer Bundesrat sortiert er aus.

Am 13. Dezember sind Bundesratswahlen. Es ist davon auszugehen, dass die sechs Bisherigen bestätigt werden. Um den frei gewordenen Sitz des «enfant terrible» im Siebenergremium, Alain Berset (SP), bewarben sich bekanntlich sechs Personen. Die SP-Fraktion wählte darauf ein Zweierticket mit Beat Jans (Basel-Stadt) und Jon Pult (Graubünden). Bleibt der SP-Sitz unbestritten, lautet meine Prognose, dass die Bundesversammlung Beat Jans wählen wird.

Damit wäre nach längerer Absenz der Basler Stadtkanton wieder in der Regierung vertreten. Das Verhältnis Deutsch- zu Welschschweiz würde wieder vier zu drei lauten, nachdem seit der Wahl der Jurassierin Baume-Schneider eine lateinische Mehrheit bestand.

Nachdem diesmal keine Nomination aus dem Aargau vorlag, lohnt sich trotzdem ein Blick auf die seit 1848 amtierenden 121 Bundesräte – 111 Männer und 10 Frauen:

Die Frage lautet: Wie viele davon stammten aus dem Aargau?

Wir nehmen die Antwort voraus: Es sind fünf – vier Männer und eine Frau – welche den Aargau in der Landesregierung unseres Bundesstaats vertraten (in Klammern ihre Amtszeit):

1. Friedrich Frey-Herosé (1848–1866):

Friedrich Frey-Herosé zählte 1848 zu den sieben ersten Bundesräten in der Geschichte der Schweiz. Er war zuvor Aargauer Regierungsrat. Im Sonderbundskrieg war Frey-Herosé Generalstabschef. Er soll massgeblich zur Abschaffung der Binnenzölle beigetragen haben. Heimatberechtigt war er in Aarau.

2. Emil Welti (1867–1891):


Bild: Str/PHOTOPRESS-ARCHIV

Ein Jahrhundertpolitiker, Bundesrat Emil Welti, der 1899 verstarb. Welti war Regierungsrat, Ständerat, Rechtsanwalt und Richter und heimatberechtigt in Zurzach (AG). Er galt als einer der einflussreichsten Politiker seiner Epoche. U.a. vereinheitlichte er die Armee, war an der Revision der Bundesverfassung von 1874 beteiligt und – dafür noch heute allgemein bekannt – er verhalf der Gotthardbahn zum politischen Durchbruch.

3. Edmund Schulthess (1912–1935):


Bild: Keystone

Bundesrat Edmund Schulthess war heimatberechtigt in Brugg (AG) und Zürich. Schulthess war Aargauer Grossrat und Ständerat. Nach dem Austritt aus der Landesregierung war er der erste Präsident der neuen Eidgenössischen Bankenkommission, dies bis 1943.

4. Hans Schaffner (1961–1969):


Bild: Keystone

Bundesrats Hans Schaffner, heimatberechtigt in Gränichen (AG) und Unterseen (BE) stand dem Volkswirtschaftsdepartement vor.

5. Doris Leuthard (2006–2018):


Bild: Keystone

Doris Leuthard ist heimatberechtigt in Merenschwand (AG) und Sarnen (OW). Sie stand als Bundesrätin erst dem Volkswirtschaftsdepartement vor, dann ab 2010 bis zu ihrem Ausscheiden aus der Landesregierung dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation.

Schaffner ist kein «ganzer Aargauer»

In der Liste der 121 Bundesratsnamen entstehen oft Unstimmigkeiten, ob der Wohnort oder der Heimatort massgebend sei für die Zuordnung zu einem Kanton. Darunter fällt ausgerechnet einer der vier Aargauer Männer. Die Streitfrage lautet: Ist Hans Schaffner, der nach seinem Rücktritt als BBC-Präsident vorgeschlagen, dann aber nach Protesten nicht gewählt wurde, ein Aargauer oder ein Berner Bundesrat?

Früher ist bei der Zuteilung zu einem Kanton und damit für die Statistik bei den gewählten Bundesräten auf den Heimatort abgestellt worden. Das spielte dort keine Rolle, wo Heimat- und Wohnort sich im selben Kanton befanden. Dies traf damals bei Frey-Herosé, Welti und Schulthess (alle FDP) zu, die alle nach Heimatort- wie auch Wohnortprinzip als Aargauer aufgeführt sind. Auch das einzige noch lebende alt Bundesratsmitglied Doris Leuthard (CVP) hat Wohnsitz und Heimatort in Merenschwand im aargauischen Freiamt.

Schwieriger wird es bei Hans Schaffner (auch er FDP).

Er wurde weder im Aargau geboren, noch lebte, wohnte oder arbeitete er je hier, aber er galt mit seinem Heimatort Gränichen nach früherer Praxis als Aargauer Bundesrat. Streng genommen müsste man also bei ihm von einem unechten Aargauer Bundesrat reden. Aber die immer noch bei uns gebackene Bundesrat-Schaffner-Torte aus Gränichen überdeckt bei weitem den fehlenden Aargau-Bezug.

Mit der früher gültigen Kantonsklausel, wonach nicht mehr als ein Mitglied des Bundesrats aus einem Kanton stammen dürfe, gab es eine Umgehungsmöglichkeit. So sass etwa neben dem effektiven Waadtländer, aber statistisch per Heimatort als Neuenburger zählenden Pierre Graber (SP-Bundesrat von 1969 bis 1978) gleichzeitig der Waadtländer Freisinnige G.A. Chevallaz, Bundesrat ab 1973, in der Landesregierung! Und das, lange bevor die Kantonsklausel vom Volk gestrichen wurde.

Neu zählt das Wohnortprinzip, die Kantonsklausel ist gestrichen

Nach heute gültiger Praxis zählt für die offizielle Bundesstatistik der Kanton, in dem die gewählte Bundesratsperson zur Zeit der Wahl auch wohnhaft ist. Hans Schaffner würde also gemäss heutiger Praxis als Berner Bundesrat gezählt, aber im Jahr 1961 galt eben noch, wie oben dargelegt, das Heimatortsprinzip. Auch zählt der nach seiner Wahl im Fricktal gefeierte CVP-Bundesrat Joseph Deiss zu Recht mit seinem Wohnort im Kanton Freiburg als Freiburger Bundesrat, unabhängig seines Zeihener Bürgerrechts im Aargau.

Schliesslich beschlossen die Parlamentskammern und danach das Volk im Februar 1999, auch die sog. Kantonsklausel aufzuheben. An ihre Stelle trat in der Bundesverfassung die viel flexiblere Formulierung, wonach bei der Wahl des Bundesrats «darauf Rücksicht zu nehmen (sei), dass die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen vertreten sind» (Art. 175).

Diese neue Verfassungsbestimmung ist auch der Grund, weshalb Anfang der 2000er-Jahre die beiden Zürcher Moritz Leuenberger und Christoph Blocher gleichzeitig Mitglied der Landesregierung sein konnten. Sie ist diesmal ausschlaggebend, weshalb der Waadtländer Roger Nordmann nicht aufs SP-Ticket kam, denn sonst wäre die Deutschschweiz mit nur drei Bundesratsmitgliedern längst nicht mehr «angemessen vertreten»!

Mit Blochers Wahl fiel auch die Zauberformel

Nicht nur wegen der doppelten Zürich-Vertretung war die Wahl Christoph Blochers Ende 2003 eine Zäsur. Damals fiel auch die seit 1959 gültige Zauberformel mit der 2-2-2-1 Bundesrats-Zusammensetzung (je zwei FDP, SP, CVP und eine SVP-Vertretung). Statt der damaligen CVP (heute Die Mitte) erhielt die SVP als wählerstärkste Partei einen zweiten Sitz.

Allerdings geschah dies nur hauchdünn nach einem Patt von 116:116 im ersten Wahlgang, mit 119:117 im zweiten und dann erst im dritten Wahlgang mit 121:116 Stimmen, womit nach vier Jahren Amtszeit die Appenzellerin Ruth Metzler abgewählt war.

Ähnliches wiederholte sich bekanntlich 2007, als Christoph Blocher ebenfalls die Wiederwahl verfehlte.

Mit der Nomination der Aargauerin Doris Leuthard hatte nach dem Rücktritt ihres verbliebenen einzigen Bundesrats Joseph Deiss die CVP wieder auf eine Frau gesetzt. Leuthard wurde von der Bundesversammlung am 14. Juni 2006 auch unbestritten bereits im ersten Wahlgang mit 133 Stimmen gewählt. Womit der Aargau seinen fünften Bundesratssitz erhielt.

Diese Zahl fünf ist zwar für unsern grossen und wichtigen Kanton relativ klein. Zählt man aber die Jahre, welche Aargauer Bundesräte zusammengezählt in der Landesregierung wirkten, so kommt der Aargau zur Überraschung vieler hinter Zürich, Bern, Waadt und Tessin auf einen absoluten fünften Spitzenplatz.

Fazit: Man muss einfach das richtige Kriterium wählen, um in der politischen Landschaft gut genug dazustehen.

*Silvio Bircher war National- und Regierungsrat, wohnt in Aarau und wirkt als Publizist.