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Der Retter ist Kampfsportler: Jetzt spricht der Mann, der den Messerstecher Anis T. gestoppt hat

Seine Freunde nennen ihn einen Helden, er sieht sich als einfachen Bürger, der einem Menschen in Not geholfen hat: Mit Hilfe von zwei Freunden hat ein Kampfsportler aus dem Kanton Neuenburg Attentäter Anis T. ausser Gefecht gesetzt. Der IS-Fanatiker wollte in Zürich einen Juden ermorden.

Am vorletzten Samstag findet in der Nähe von Zürich ein Wettkampf im Brasilianischen Jiu-Jitsu statt. Es handelt sich um eine Kampfsportart, die vom japanischen Judo und Jiu-Jitsu inspiriert ist. Unter den Teilnehmern befindet sich Yanis. Der 29-jährige Neuenburger besucht nach dem Wettkampf ein Restaurant im Kreis 2 der Stadt Zürich, wie Yanis vor wenigen Tagen dem Neuenburger Privatradiosender RTN erzählt hat. Auch Yanis‘ Jiu-Jitsu-Kollegen Franck und Baba, ein paar Jahre jünger und älter als Yanis, sind mit von der Partie, wie arcinfo.ch berichtet. Sie trainieren zusammen im Sportlabs-Fighting-Club von Peseux.

Der Jiu-Jitsu-Wettkampfkalender hat sehr wahrscheinlich ein Menschenleben gerettet. Denn in der Nähe des Restaurants, in dem die drei Freunde gemütlich essen wollen, attackiert Anis T. (Name geändert) um etwa 21.30 Uhr einen jüdisch-orthodoxen Mann. Mehrmals sticht Anis T. mit einem Messer auf den 50-jährigen Familienvater ein und verletzt ihn schwer. Am Tag nach dem Angriff geben Bekannte Entwarnung: Der Mann ist ausser Lebensgefahr.

Der 15-jährige eingebürgerte Schweizer mit tunesischen Wurzeln hat seine Tat tags zuvor auf Instagram angekündigt. In einem Video schwört er der Terrororganisation IS die Treue.

Jüdinnen und Juden danken Kampfsportlern für deren mutigen Einsatz mit einer Tafel am Tatort.
Bild: Michael Buholzer/Keystone

Passanten durchkreuzen den Mordplan des Dschihad-Teenagers. Sie eilen ins Restaurant und rufen um Hilfe. Yanis, Franck und Baba rennen auf die Strasse, verschaffen sich ein Lagebild. Yanis geht auf den Täter zu und setzt ihn ausser Gefecht. «Ich habe darauf geachtet, mich nicht selber in Gefahr zu begeben. Er hatte das Messer in diesem Moment nicht in der Hand», sagt Yanis.

Der Dschihadist versucht mehrmals, aufzustehen und sich loszureissen. «Wir haben ihm zu verstehen gegeben, dass das sinnlos ist und er sich nicht bewegen solle», sagt Yanis. Die Kampfsportler halten Anis T. in Schach, bis die Polizei eintrifft und ihnen für den couragierten Einsatz dankt.

Auch der Zürcher Regierungsrat und Sicherheitsdirektor Mario Fehr dankte den Lebensrettern persönlich. «Es sind alle Helden», sagte er. Als Helden werden Yanis und seine Freunde auch von ihren Kampfsportkollegen gefeiert. Yanis gibt sich im Radiointerview bescheiden: «Es war ein mutige Aktion. Aber ich bin kein Held. Ich bin ganz einfach ein Bürger, der einem Menschen in Not geholfen hat.» Er hofft, dass ihm auch jemand helfen würde, wenn er sich in einer ähnlichen Situation befände.

Er habe nie Angst gehabt, sein Leben zu riskieren, sagt Yanis. Sein Können als Kampfsportler habe ihm geholfen und ihm das Vertrauen geschenkt, eine solche Situation zu meistern. Yanis sah, wie das Opfer Blut verlor. Er redete mit ihm und versuchte, es wach zu halten. Die Nachricht, dass der Jude den Anschlag überlebt hat, hat Yanis enorm erleichtert. Er selber leidet bis jetzt nicht an den Folgen des dramatischen Abends. Es gehe ihm gut, er könne schlafen.

75 Politiker und Politikerinnen wollen Jugendstrafrecht verschärfen

Der schlimmste Angriff auf einen Juden seit Jahrzehnten hat in der Schweiz nicht nur eine Debatte entfacht, wie man besser Prävention gegen Antisemitismus betreiben kann. Mario Fehr liess schon an einer Pressekonferenz vom vergangenen Montag durchblicken, dass ihm das Jugendstrafrecht zu lasch ist.

Der 15-Jährige befindet sich derzeit in Gewahrsam der Zürcher Jugendstaatsanwaltschaft. Dem mutmasslichen Täter droht eine Gefängnisstrafe von maximal einem Jahr. Das Jugendstrafrecht zielt nicht primär auf Vergeltung und Abschreckung, sondern auf Resozialisierung. Ist ein Jahr Haft angemessen für eine Terrorattacke, bei der ein Mensch fast sein Leben verlor?

Nein, findet zum Beispiel der Zürcher SP-Ständerat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch. Da sich der Täter mutmasslich «nur» eines versuchten Mordes schuldig gemacht habe, werde er nicht die Maximalstrafe bekommen, sagte er der «NZZ»: «Wenn es für den Versuch schon die Höchststrafe gäbe, was würden die Richter dann machen, wenn ein Jugendlicher wegen Mordes angeklagt wird?» Das Schweizer Jugendstrafrecht werde nicht jeder Situation gerecht.

Eine Verschärfung des Jugendstrafrechts scheint politisch auf fruchtbaren Boden zu stossen. 74 Nationalrätinnen und Nationalräte von SP bis SVP haben eine Motion von Nina Fehr Düsel unterzeichnet. Die Zürcher SVP-Nationalrätin fordert darin unter anderem, dass bei besonders schweren Straftaten die Beurteilung nach dem Erwachsenenstrafrecht erfolgt und dass die maximalen Gefängnisstrafen bei 15-Jährigen von einem auf zwei und bei 16-Jährigen von vier auf sechs Jahre erhöht werden. Mit Blick auf das Attentat von Zürich sagt sie: «Hier muss das Jugendstrafrecht glaubwürdig eingreifen.»

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