Schmerzfrei spielen: Badener Start-up hilft Violinisten mit spezieller Stütze – renommierter Geiger schwört darauf
Das holzige Stück am unteren Ende der Violine fällt erst beim zweiten Blick auf. Der Kinnhalter ist mit der Schulterstütze auf der Rückseite des Instruments verbunden. «Die beiden Elemente sind aufeinander abgestimmt und können je nach Halslänge und Körpertyp passend eingestellt werden», sagt Bec Yin Trinh.
Die Wettingerin mit chinesischen Wurzeln kümmert sich um die operative Leitung des Badener Start-ups Dolfinos, das vom Merker-Areal aus Equipment für Streichinstrumente in die ganze Welt verschickt.
Mit der verstellbaren Kinn- und Schulterstütze gelang dem Unternehmen ein Novum in der Musikwelt. «Normalerweise kauft man die beiden Teile separat. Es existierten zwar schon vorher kombinierte Modelle, jedoch waren sie sehr rudimentär und starr», sagt Trinh und präsentiert das an einem Punkt an der Violine befestigte Produkt.
«Herkömmliche Stützen werden um den Klangkörper gespannt und beeinflussen die Akustik der Geige oder Bratsche. Bezüglich der Klangqualität sind wir auch hier einen Schritt voraus.» Ein Vorteil sei auch, dass die Materialien, die zu einem grossen Teil aus der Schweiz stammen, hautverträglich sind.
Die gute Ausrüstung hat jedoch ihren Preis. Das günstigste Modell kostet knapp 650 Franken. «Wir sind teurer als die Konkurrenz. Der Fakt, dass unser System bequemer ist, die Instrumente damit besser tönen und man zu Hause keine ganze Sammlung an Stützen mehr verstauen muss, spricht für die Investition in unser Produkt», sagt die 37-Jährige.
Mit Studentenrabatten und neu eingeführten Raten-Zahlungen in der Schweiz versuche man der Kundschaft mit kleinerem Portemonnaie entgegenzukommen.
Asymmetrische Haltung birgt Probleme
Die grösste Annehmlichkeit der Ausrüstung ist jedoch gesundheitlicher Art: Die Kinn- und Schulterstütze soll Schmerzen sowie Verspannungen minimieren. «Die asymmetrische Haltung beim Spielen von Streichinstrumenten ist schlecht für den Körper. Es gibt viele Violinistinnen und Violinisten, die Mühe damit haben», sagt Trinh, die selbst als Kind Geige spielte.
«Dolfinos»-Gründer Michael Wiener suchte mit Forschungspartnern der Fachhochschule Nordwestschweiz, der ETH Zürich sowie Musikern und Geigenbauern nach einer Lösung: Das Projekt wurde 2014 mit dem Start-up-Award ausgezeichnet.
Bald darauf folgte die Firmengründung. 2019 kam die Kinn- und Schulterstütze auf den Markt. Sie fand auf Anhieb Anklang. «Der griechische Geiger Leonidas Kavakos, einer der besten der Welt, war früh von unserem Produkt überzeugt. Dass er damit auf weltweiten Tourneen und mit Orchestern spielt, ist für uns die beste Werbung», sagt Trinh.
Nach dem erfolgreichen Start kam der Corona-Lockdown. «Die Musikbranche war blockiert und ‹Dolfinos› erlebte eine schwierige Zeit», so Trinh. Während der Pandemie musste das Team verkleinert werden. Gleichzeitig wurde die Weiterentwicklung der Musikausrüstung vorangetrieben.
«Dolfinos» hat sich mittlerweile zurückgekämpft. Bestellungen aus der ganzen Schweiz, Deutschland, den USA, Taiwan und Südkorea erreichen das Merker-Areal. Wieso eigentlich der Standort Baden? «Die Stadt ist ein guter Knotenpunkt, zentral für Leute aus verschiedenen Regionen und bekannt für ihr kulturelles Angebot. Zudem sind die Mieten nicht so teuer wie in Zürich», sagt Trinh und lacht.
Diesen Sommer konnte das Start-up ein neues Produkt lancieren: den Miniput – ein schlichter, schwarzer Notenständer, der mit nur knapp 500 Gramm der leichteste auf dem Markt ist.
«Musikerinnen und Musiker sind oft unterwegs. Es ist praktisch, wenn sie nur leichtes Equipment mitbringen müssen, das einfach verstaubar ist», sagt Trinh und zerlegt den schlanken Ständer aus Aluminium in seine Einzelteile. Am Schluss hält sie ein Säckchen in der Hand, in dem ein Knirps-Regenschirm Platz hätte.
Der Miniput kann nicht nur als Notenständer, sondern auch als Tablett- oder Smartphone-Halter verwendet werden. «So kann man sich beim Üben aufnehmen oder Videos für Social Media oder die eigene Website machen.»
Ständer unterstützt beim Yoga zu Hause
Nicht nur Musikerinnen und Musiker setzen auf das Produkt. «Ich kenne Leute, die damit ihre Yoga-Work-outs zu Hause bestreiten. Die Höhe des Laptops auf dem Tisch oder dem Boden ist für viele nicht ideal. Mit dem Ständer kann man diese richtig einstellen», so Trinh.
Auch als einfaches Fotostativ eigne sich der Miniput. «Eine Freundin von mir nutzt ihn sogar, um ihr Baby zu überwachen, indem sie ein zweites Handy am Ständer montiert und dieses via Whatsapp-Videoanruf mit ihrem Smartphone verbindet.»
Künftig will «Dolfinos» weitere Annehmlichkeiten in den Ständer integrieren, zum Beispiel Licht oder einen Tassenhalter. Trinh freut sich, dass das Equipment bei der Kundschaft ankommt. Sie ist 2020 aus Liebe zur Musik ins Geschäft eingestiegen. «Klassische Musik und Musik allgemein bedeuten mir viel. Unser Produkt ist kein Luxus, sondern dazu da, um Musizierenden etwas Gutes zu tun», sagt Trinh. Die Dankbarkeit der Kundschaft in den positiven Rückmeldungen zu spüren, sei erfüllend.