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Showdown in der SVP Aargau: Realos gegen Fundis – Parteispitze lässt Kandidatinnen zu Hearings antraben

Die Suche nach einer Nachfolgerin für Pascal Furer als SVP-Sekretär entwickelt sich zunehmend zu einem internen Richtungsstreit. Sogar die eigenen Regierungsräte haben sich eingeschaltet.

Die Sitzung wurde äusserst kurzfristig einberufen. Es musste sich also um etwas Wichtiges, Dringendes handeln, als sich die Geschäftsleitung der SVP Aargau letzten Montagmorgen traf. Auch die beiden SVP-Regierungsräte, Landammann Jean-Pierre Gallati und Bildungsdirektor Alex Hürzeler, machten Platz in ihrer Agenda frei, um dabei sein zu können.

Traktandum am Treffen des obersten Parteigremiums: die Suche nach einem neuen Parteisekretär. Das Thema hatte in den letzten Wochen intern einigen Wirbel ausgelöst und neue Fragen aufgeworfen. In der Geschäftsleitung gehen die Meinungen auseinander, welche Kandidatin die richtige ist.

Zur Erinnerung: Pascal Furer hatte letzten November nach 19 Jahren seinen Rücktritt als Parteisekretär angekündigt. Das Amt ist eine Schlüsselfunktion in der SVP Aargau, man ist am Schalthebel der Parteimacht. Oder wie Furer es im jüngsten Parteiblatt «SVP aktuell» selber formulierte: «Es war mir all die Jahre egal, wer unter mir als Präsident diente!»

Seit nunmehr rund zwei Monaten eruieren Parteipräsident Andreas Glarner und Fraktionschefin Désirée Stutz einen Nachfolger für Furer. Kurz vor Weihnachten wurde bekannt, dass sich die 39-jährige Grossrätin Barbara Borer-Mathys aus Holziken für die ausgeschriebene 50–70-Prozent-Stelle bewirbt.

Als Präsidentin der SVP-Bezirkspartei Kulm vertritt sie die stärkste SVP-Sektion (Wähleranteil 39,5 Prozent). Gleichzeitig ist Borer-Mathys eine prominente Kritikerin von Glarners polarisierendem Politkurs. Gegenüber der AZ sagte die Rechtsanwältin im Dezember, sie würde sich als SVP-Sekretärin zutrauen, integrativ zu wirken; es sei wichtig, die ganze Breite der Partei zu vertreten. In diesem Sinn sehe sie sich als Gegengewicht in der Parteispitze.

Barbara Borer-Mathys, Bezirksparteipräsidentin SVP Kulm. (Bild: Holziken, 5. Mai 2022)
Valentin Hehli

Zwei Frauen, zwei SVP-Welten

Barbara Borers offene Worte kamen in der SVP-Leitung nicht nur gut an, wie zwei gestandene SVP-Politiker unabhängig voneinander bezeugen. Borers Chancen auf den Posten schienen darum geschmälert – und die Aussichten der anderen gehandelten Kandidatin automatisch gestiegen. Bei dieser handelt es sich um eine Grossrätin, die als Glarner-Vertraute gilt und sich nicht zuletzt dadurch als Parteisekretärin an seiner Seite empfiehlt.

Borers Konkurrentin will ihre Kandidatur nach wie vor geheim halten. Auf mehrmalige Anfrage betont sie, weiterhin keine Stellung zum Thema zu beziehen, und bittet aus beruflichen Gründen um Verzicht auf Namensnennung. Die AZ kommt dem vorläufig nach, obwohl ihre Bewerbung für die Stelle als Parteisekretärin inzwischen seit Wochen in der SVP weitherum gehandelt wird und es sich um ein politisch wichtiges Amt handelt.

Das ändert nichts daran: Die SVP-Geschäftsleitung bietet die zwei Grossrätinnen nun zu Hearings auf, wie man sie vor Bundesratswahlen kennt. Dabei werden die beiden auf Herz und Nieren geprüft. Es geht zum einen um die sachliche Eignung, aber auch um eine politische Gewichtung.

Streit um Parteisekretariat: Realos gegen Fundis

Die Konstellation ist brisant, weil die beiden für zwei unterschiedliche Flügel innerhalb der Partei stehen: Borer-Mathys kann man zum Realo-Flügel in der SVP zählen. Hart in der Sache, aber gemässigter im Ton und nicht auf Konfrontationskurs mit den eigenen Regierungsräten. Sie selber ist überzeugt, nur so könnten potenzielle Wähler (zurück-)gewonnen werden.

Kandidatin B wiederum ist dem Fundi-Flügel rund um Glarner zuzuordnen, der in Sache und Stil aggressiver und kompromissloser politisiert. In der Pandemie etwa tat sich Kandidatin B als Massnahmengegnerin hervor und bekämpfte das Covid-19-Gesetz, während eine knappe Mehrheit der SVP-Delegierten den Kurs der SVP-Regierungsräte Gallati und Hürzeler stützten.

SVP-Parteiversammlung im «Ochsen» in Lupfig, 27. Oktober 2021. Die SVP-Parteiversammlung sagt Ja zum Covid-19-Gesetz.
Alex Spichale

So oder so: Offensichtlich sind sich Glarner und Stutz (noch) nicht einig, wer sie an der Parteispitze ergänzen soll. Der abtretende Parteisekretär Pascal Furer nahm für sich in Anspruch, nicht dem einen oder anderen Lager anzugehören. Von seiner Nachfolgerin erhofft sich Furer «neue Ideen, wie man die Leute mobilisieren und die Partei weiterführen kann».

Wähler mobilisieren, aber wie?

Mobilisieren ist im Wahljahr der entscheidende Erfolgsfaktor. Das fiel der SVP bei den letzten drei Wahlen (national, kantonal, kommunal) weniger leicht als auch schon. Viele SVP-Wähler blieben am Wahltag zu Hause. Alt Bundesrat Ueli Maurer rüttelte seine Parteifreunde zum Start ins Jahr an der nationalen Klausurtagung am Bodensee entsprechend auf und sagte gegenüber der NZZ: «Die SVP muss lernen (…), dass sie als stärkste Partei Verantwortung übernehmen und mitgestalten muss.»

Derweil gibt Andreas Glarner in den sozialen Medien einen Vorgeschmack darauf, wie er im Aargau Wähler mobilisieren will: Er arbeitet sich in bekannter Manier am Ausländerthema ab; mit Provokationen wie Vergleichen ins Tierreich, die Kritiker postwendend mit Rassismusvorwurf quittieren.

Das Problem sei weniger, dass Glarner als Provokateur manchmal über das Ziel hinausschiesse, in der Politik gehöre das dazu, sagt ein erfahrener SVP-Mann. Aber weil Glarner Parteipräsident sei, nehme man alles, was er mache, als offizielle SVP-Position wahr. Deshalb sei es für die Partei gut, wenn jemand Sekretär werde, der einen Ausgleich zu Glarner schaffe, und nicht jemand, der als Verstärker agiere. Das spreche eher gegen Kandidatin B. Borer-Mathys wiederum müsse den Beweis antreten, dass sie mit Glarner zusammenarbeiten und die Partei auch wirklich stärken könne.

Der Personalentscheid liegt nicht in Glarners Hand

Der Ball liegt nun bei der zehnköpfigen Geschäftsleitung. Pikant ist, dass auch die beiden Regierungsräte Gallati und Hürzeler von Amtes wegen vertreten sind und mitreden können, was nicht allen passt. Der elfte Sitz ist vakant, weil Naveen Hofstetter wegen einer Verurteilung wegen Rassendiskriminierung vor Bezirks- und Obergericht den Platz räumte.

Nach den Hearings gibt die Geschäftsleitung eine Empfehlung zuhanden des Vorstandes ab, der gemäss Statuten den Parteisekretär wählt. Der SVP-Vorstand besteht aus über 100 SVP-Mitgliedern. Der Entscheid wird nicht vor März erwartet.

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