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Novartis in der Krise: Jetzt muss das Führungsduo liefern

Es sah nach einem versöhnlichen Jahr aus bei Novartis – bis der unvermittelt ins Rampenlicht gerückte Patentstreit um Umsatzchampion Entresto die Aktionäre aufschreckte. Nun muss das Management verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.

Der Dienstag könnte für Novartis zum Schicksalstag werden. Das Unternehmen hat auf dieses Datum die Präsentation der Geschäftszahlen zum ersten Halbjahr terminiert. Im Einklang mit den Prognosen des Unternehmens haben viele Finanzanalysten in den vergangenen Monaten ihre Gewinnprognosen erhöht und so auch dem Aktienkurs etwas Schub verliehen.

Dafür war es freilich höchste Zeit. Novartis-Chef Vasant Narasimhan steht bei den Aktionären des Basler Pharmakonzerns in der Bringschuld. Der 46-jährige Amerikaner war im Februar 2018 mit dem Auftrag in die Schweiz gekommen, dem 2006 aus der Fusion der beiden Chemiefirmen Ciba und Sandoz hervorgegangenen Multi den bürokratischen Mief aus den Anfangszeiten auszutreiben und den Konzern auf einen dynamischen Wachstumskurs zu bringen.

Einiges hat der promovierte Mediziner zwar erreicht, vieles ist er den Investoren aber schuldig geblieben. Die jüngste Episode um den gerichtlichen Rücksetzer im langjährigen Patentstreit um das Herzmedikament Entresto, das in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Umsatz- und Wachstumsbringer des Konzerns avancierte, wirft ein Schlaglicht auf die aktuellen Herausforderungen des CEO.

Narasimhan hat 25 Milliarden Dollar ausgegeben

Entresto war 2022 mit einem Umsatz von 4,6 Milliarden Dollar das zweiwichtigste Medikament im Novartis-Sortiment. Die Pille steigerte die Verkäufe in der Zwölfmonatsperiode um fast 1,4 Milliarden Dollar – weit mehr als jedes andere Präparat in der Novartis-Apotheke.

Der Erfolg von Entresto hatte sich schon früher abgezeichnet und ist selbstredend ein Grund zur Freude für die Novartis-Aktionäre. Zu denken gibt diesen aber der Umstand, dass die immerhin schon gut acht Jahre alte Wunderpille den Karren von Novartis noch immer zum grossen Teil allein zieht. Um erfolgreiche Medikamente jüngeren Datums zu finden, muss man in der Blockbuster-Liste von Novartis in den hinteren Rängen suchen.

Das sollte anders sein, angesichts der Tatsache, dass Narasimhan seit seiner Ankunft schon weit über 25 Milliarden Dollar ausgegeben hat, um die Novartis-Pipeline mit Erfolg versprechenden Medikamenten und Wirkstoffen aufzufüllen. Noch ist es verfrüht, über alle diese Einkäufe eine Erfolgsbilanz zu ziehen. Einige mussten aber bereits als Rohrkrepierer abgeschrieben werden.

Vor diesem Hintergrund kommt vielleicht nicht überraschend, dass Novartis den Patentstreit um Entresto nicht an die grosse Glocke hängen wollte. Narasimhan & Co. verpassten es, die Investoren in geeigneter Weise auf die heikle Phase dieser Auseinandersetzung vorzubereiten. Sie haben damit die eben erst wieder etwas gestiegene Zuversicht der Aktionäre abrupt gebremst.

Rückbau von Vasellas Diversifizierungsstrategie

Kritisch hinterfragen lassen muss sich aber nicht nur der CEO, sondern auch dessen Verwaltungsratspräsident Jörg Reinhardt. Der 67-jährige Deutsche war 2013 in die Fussstapfen von Daniel Vasella getreten. Dieser hatte mit seinen exzessiven Gehaltsvorstellungen einen denkbar schlechten Eindruck hinterlassen und damit auch einen grossen Teil der Schweizer Wirtschafts- und Politikelite indigniert.

Alsbald ordnete Reinhardt den Rückbau von Vasellas Diversifizierungsstrategie an. Mit der geplanten Abspaltung des Generikaherstellers Sandoz wird demnächst das letzte Element aus der Vasella-Zeit aus dem Novartis-Universum verschwinden. Das Unternehmen soll sich fortan mit teuren Hightech-Medikamenten als Spezialist für seltene Krankheiten profilieren.

Bislang ist der Pharmakonzern aber noch immer von Medikamenten wie Entresto abhängig, die einen Massenmarkt mit vielen Millionen Patienten adressieren. Die Pandemie hat gezeigt, dass auch auf den Massenmärkten Spitzenforschung dringend nötig ist und auch in hohem Mass lukrativ sein kann.

Wie stark wackelt Narasimhans Stuhl?

Vor diesem Hintergrund könnte man Reinhardts Strategie vielleicht auch als Teil von Narasimhans Problem bewerten. Reinhardt wäre im Frühling 2025, nach zwölfjähriger Amtszeit, für eine Ablösung fällig. Ob er Narasimhan bis zum Ende des Mandats an seiner Seite haben wird, bleibt abzuwarten. Im vergangenen Jahr soll sich Reinhardt aktiv nach einem Ersatz für Narasimhan umgesehen haben, berichtete die «NZZ am Sonntag» im Februar.

Der Vorgang könnte sich wiederholen, wenn das Management die Erwartungen der Investoren erneut enttäuscht. Freilich würden sich dann viele Aktionäre zu Recht auch die Frage stellen, ob Reinhardt für den Entscheid dieser zentralen Personalie noch der Richtige wäre.

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