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Spitzenplatz der Schweizer Forschung in Gefahr: Wissenschaft probt Aufstand gegen Keller-Sutters Sparkurs

Innovationsweltmeisterin – so rühmt sich die Schweiz gerne. Doch jetzt schlagen die Wissenschafts-Organisationen Alarm: Das Budget des Bundes für die Jahre 2025 bis 2028 reiche bei weitem nicht, um die Spitzenposition zu halten. Was sind ihre Argumente?

Nächsten Dienstag feiert Finanzministerin Karin Keller-Sutter im Rahmen einer kleinen Veranstaltung den 20. Geburtstag der Schuldenbremse. Diese schreibt vor, dass sich Ausgaben und Einnahmen des Bundes über längere Zeit die Waage halten müssen. Das wirkt: Die Verschuldung des Bundes ist im internationalen Vergleich sehr tief.

Doch die Einhaltung der Schuldenbremse sei «kein Spaziergang», wie Keller-Sutter selber sagte, als sie Ende Juni das Budget für das Jahr 2024 sowie den Finanzplan für die nächsten Jahre vorstellte. Denn die finanziellen Aussichten sind trüb. Und so steht die selbst ernannte Sparfüchsin auf die Bremse – mit entsprechenden Reaktionen.

Das zeigt sich dieser Tage im Rahmen der Vernehmlassung zur Botschaft über die Bildung, Forschung und Innovation (BFI). Die Organisationen aus der Wissenschaft zerpflücken die Budget-Vorschläge des Bundesrats für die Jahre 2025 bis 2028 einhellig: Die geplanten Ausgaben von maximal 29,7 Milliarden Franken genügten bei weitem nicht, um das Niveau des Forschungsplatzes Schweiz halten zu können, lautet der Tenor.

Dabei hatte der Bundesrat selber das ehrgeizige Ziel vorgegeben: «Die Schweiz bleibt führend in Bildung, Forschung und Innovation», hiess es in seinem Communiqué Anfang Juni. Darauf schreibt nun das «Netzwerk Future», in dem Swiss Universities, der Schweizerische Nationalfonds, der ETH-Rat, Innosuisse und die Akademien der Wissenschaften vereint sind: «Wenn der Bundesrat sein Ziel eines führenden Wissensplatzes zum Wohle der ganzen Schweiz erreichen will (…) sind Korrekturen zur Anhebung des finanziellen Rahmens erforderlich.» Kurz: Es braucht mehr Geld, viel mehr.

Teuerung und steigende Zahl der Studierenden kaum berücksichtigt

Diese Botschaft findet sich in sämtlichen Stellungnahmen: Der Vorschlag des Bundesrats führe «zu einem schmerzhaften Abbau der Leistungen der Schweizer Hochschulen», schreibt Swiss Universities. Der ETH-Rat hält fest, mit den vorgesehenen Mitteln könnten die ETH die «Rolle als Innovationsmotor der Schweiz und Ausbildner dringend benötigter Fachkräfte nur noch eingeschränkt erfüllen».

Innosuisse, die Agentur zur Förderung von Start-ups und KMU, fordert «ein deutliches politisches Bekenntnis zu einem starken Bildungs-, Forschungs- und Innovationsplatz Schweiz». In der Botschaft des Bundesrats erkennt sie das nicht. Und der Nationalfonds (SNF) hält fest: «Der Vorschlag des Bundes führt zu einem Abbau der Leistungen des SNF. Die Schweiz riskiert so ihren Wohlstand.»

Auf den ersten Blick überraschen diese Formulierungen. Denn der Bundesrat spricht in seiner Botschaft von einem Wachstum der Ausgaben um nominal 2 Prozent, real 1 Prozent. Es soll also mehr Geld ausgegeben werden als bisher. Jammert die Wissenschaft auf Vorrat?

Im Gespräch mit CH Media widerspricht SNF-Direktorin Angelika Kalt. Sie nennt mehrere Faktoren, die dazu führen, dass der scheinbare Zuwachs an Mitteln tatsächlich einem Abbau gleichkomme.

Angelika Kalt.
Bild: Adrian Moser/SNF

«Der Bundesrat sieht keine ausreichende Kompensation der erwarteten Teuerung vor», sagt sie: «Energie, Infrastrukturen, Forschungsinstrumente, alles wird teurer.» Dies sei nicht berücksichtigt, wie der Umstand, dass auch die Löhne der Doktorierenden der Teuerung angepasst werden sollten. Zudem beruhe die Berechnung des Wachstums auf dem Budget 2024, das vom Bundesrat bereits um 2 Prozent gekürzt worden ist. Das angestrebte nominale Wachstum startet folglich von einem tieferen Niveau. Und es ist nicht sicher, dass es erreicht wird, wie der Bundesrat in seiner Medienmitteilung selber einräumt: «Ob die Obergrenze für die BFI-Botschaft jedoch ausgeschöpft werden kann, hängt von der weiteren Entwicklung der Finanzlage des Bundes ab.»

Kommt hinzu, dass die Zahl der Studierenden steigt, entsprechend auch jene der Professuren, die Projekte eingeben. 5 Prozent beträgt die Zunahme der Gesuche beim SNF jedes Jahr. Die Mittel wachsen nicht entsprechend mit. «Folglich sinkt die Quote der Gesuche, die wir berücksichtigen können», sagt Kalt. «Wir müssen immer mehr sehr gute und innovative Projekte ablehnen.» Forscherinnen und Forscher sehen sich andernorts nach Unterstützung um.

«Wir riskieren, dass Talente ins Ausland abwandern», sagt Kalt. Dies umso mehr, als wegen der seit Jahren blockierten Europapolitik den Forschenden der Zugang zum weltweit grössten Fördertopf, dem EU-Programm Horizon, verwehrt sei.

Schweiz an erster Position – doch der Vorsprung schmilzt

Doch sind das nicht Klagen auf hohem Niveau? Die Schweiz belegt in verschiedenen internationalen Rankings nach wie vor den ersten Platz. Sie gilt als Innovationsweltmeisterin.

Die SNF-Direktorin bestreitet das nicht. Sie warnt aber vor einer «langsamen Erosion», für die es erste Anzeichen gebe. Die Zahl Publikationen, an denen Schweizer Forschende mit internationalen Ko-Autoren gearbeitet haben, stagniert. Und der Anteil bei den Schweizer Publikationen, die es in die Top Ten der meistzitierten Arbeiten geschafft haben, hat sich verringert. «Der Vorsprung der Schweiz gegenüber anderen Ländern hat abgenommen», sagt Kalt.

Doch was braucht es aus Sicht der Wissenschafts-Lobby, damit die Schweiz ihre Position verteidigen kann? Erst ab 2,5 bis 3,5 Prozent Mittelzuwachs sei das möglich, so schreibt das Netzwerk Future. Das Budget des Bundesrats ist weit davon entfernt.

Entscheiden wird letztlich das Parlament. Für Finanzministerin Keller-Sutter wird dabei die Verteidigung der Schuldenbremse «kein Spaziergang» – wie sie selber schon festgestellt hat.

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