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Lenzburger Gefängniswärter wegen Amtsmissbrauchs verurteilt – er schlug Gewaltstraftäter Brian Keller

Im Herbst 2022 verurteilte das Aargauer Obergericht einen Lenzburger Gefängnisaufseher – dieser hatte dem Gewaltstraftäter Brian Keller (früher bekannt als «Carlos») zwei Faustschläge gegen den Kopf versetzt. Nun hat das Bundesgericht eine Beschwerde des Wärters abgewiesen und den Schuldspruch wegen Amtsmissbrauch bestätigt.

Brian Keller, der früher «Carlos» genannt wurde, beschäftigt die Justiz seit Jahren. Zeitweise war der Gewaltstraftäter im Aargau inhaftiert, so wurde er vor fünf Jahren heimlich in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Lenzburg verlegt. Nur kurze Zeit später, am 11. Juli 2019, sollte Brian Keller wieder zurück in die JVA Pöschwies gebracht werden.

Als sechs Beamte ihn aus seiner Zelle holten, soll Brian diese angespuckt, bedroht und angegriffen haben. Danach drückten ihn die Aufseher gemeinsam zu Boden und setzten einen Taser ein. Als der Häftling bereits wehrlos gewesen sei, habe ein Wärter weiter auf ihn eingetreten und ihn geschlagen – deshalb zeigte der Gefangene den Vollzugsbeamten an.

Videoaufnahmen als entscheidendes Beweismittel

Brian Keller alias Carlos im Juli 2021 vor dem Bezirksgericht Lenzburg.
Raphael Karpf

Mitte Juli 2021 sprach das Bezirksgericht Lenzburg den Wärter wegen Amtsmissbrauchs schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 18’900 Franken sowie einer Busse von 4700 Franken. Freigesprochen wurde der Aufseher hingegen vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung. Die Richterin stützte sich beim Urteil auf Videoaufnahmen von der Verlegung, die sie sich angesehen hatte.

Das Aargauer Obergericht bestätigte den Schuldspruch gegen den Wärter, der schon neun Jahre im Hochsicherheitstrakt in Lenzburg arbeitete, im Herbst 2022. Oberrichterin Franziska Plüss hielt fest, die beiden Fusstritte und die zwei Schläge gegen den Kopf von Brian K. seien nicht verhältnismässig und nicht notwendig gewesen. Auch sie stützte sich auf die Videos des Einsatzes und hielt fest: «Es geht nicht, dass ein bereits überwältigter, wehrloser Gefangener noch geschlagen wird.»

Bundesgericht: Videoaufnahmen sind als Beweis verwertbar

Dies akzeptierte der Gefängniswärter nicht, in einer Beschwerde ans Bundesgericht beantragte er einen Freispruch vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs. Sein Verteidiger Thomas Fingerhuth argumentierte, die Videoaufnahmen des Einsatzes seien juristisch nicht verwertbar und dürften nicht als Beweismittel herangezogen werden. Das Bundesgericht räumt in seinem Urteil ein, «dass die fraglichen Videoaufzeichnungen nicht rechtmässig beschafft wurden».

Korrekterweise hätte die Staatsanwaltschaft den Weg über ein Rechtshilfegesuch an die JVA Lenzburg wählen müssen. Dennoch sind die Videos gemäss Bundesgericht im Verfahren verwertbar – und zwar deshalb, weil sie zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich sind. Das Aargauer Obergericht habe das öffentliche Interesse an der Aufklärung des Amtsmissbrauchs-Vorwurfs zu Recht höher gewichtet als jenes des Wärters an der rechtskonformen Erhebung der Videoaufnahmen.

Schläge gegen den Kopf waren nicht verhältnismässig

Es sei unbestritten, dass von Brian Keller – zumindest zu Beginn des Vorfalls – «ein hohes Aggressionspotenzial ausging und dass er selber durch sein Verhalten die Intervention durch die sechs Vollzugsangestellten ausgelöst hatte», heisst es im Urteil aus Lausanne. Dies ändere aber nichts daran, dass der Wärter den Häftling zwei Mal gegen den Kopf geschlagen hat, «nachdem der Gefangene bereits zu Boden geführt und festgehalten bzw. vollständig arretiert worden war».

Diese Gewaltanwendung erfolgte, «als die Situation wieder deeskaliert war», schreibt das Bundesgericht. Zudem hatte Brian Keller eine Spuckhaube über dem Kopf, als der Wärter ihn gegen den Kopf schlug. «Da er diese Schläge somit nicht kommen sehen konnte, war er ihnen wehrlos ausgeliefert», heisst es im Urteil weiter. Weil der Gefangene keine unmittelbare Gefahr mehr darstellte, könnten die Schläge «bereits in zeitlicher Hinsicht nicht notwendig bzw. verhältnismässig gewesen sein».

Befragung von anderen Wärtern und Instruktor nicht nötig

Weiter beanstandete der Wärter, das Obergericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt: Er hatte verlangt, dass die fünf weiteren Vollzugsbeamten, der Instruktor «Selbstverteidigung/Intervention» der JVA Lenzburg und der damalige Chef der Abteilung ebenfalls zum Fall befragt werden sollten. Diese Befragungen hätten aus seiner Sicht zeigen können, dass seine Schläge und Fusstritte gegen Brian Keller notwendig bzw. verhältnismässig gewesen seien.

Das Bundesgericht sieht dies anders und hält fest, der Ablauf der Intervention, das gesamte Vorgehen der Vollzugsangestellten und die Gewaltanwendung des Wärters gegen Brian Keller würden sich «klar und hinlänglich aus der Videoaufnahme ergeben». Deshalb sei der Entscheid des Obergerichts, auf weitere Befragungen zu verzichten, nicht zu beanstanden. Es sei auch nicht ersichtlich, warum ein Experte für solche Interventionen hätte befragt werden müssen, heisst es im Urteil.

Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Wärters ab und auferlegt ihm die Gerichtskosten von 3000 Franken. Damit bleibt der Entscheid des Obergerichts bestehen: dieses hatte den Vollzugsangestellten zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 210 Franken (also 18’900 Franken) und einer Busse von 4700 Franken verurteilt. Zudem wurde er verpflichtet, Brian Keller eine Genugtuung von 1000 Franken zu zahlen.