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Altersdiskriminierung oder Ausschluss von Unternehmern? Ton zwischen Binder und Giezendanner wird schärfer

Marianne Binder (65, Mitte) bezeichnet einen Spruch von Benjamin Giezendanner (41, SVP), der sich auf ihr Alter bezog, als diskriminierend. Der Volkspartei-Kandidat weist den Vorwurf zurück und wehrt sich zugleich gegen die Kritik, als Unternehmer habe er nicht genug Zeit für ein Engagement im Ständerat.

«Ich mag das persönliche Gespräch mit ihm. Er ist ein freundlicher Mensch. Und mich reizt der politische Austausch. Da ist er eine knallharte Nuss. Dass es zwischen uns auch humorvoll sein kann, bezeugen die Debatten im Grossen Rat.» Das sagte Marianne Binder am 16. September in der AZ über Benjamin Giezendanner. Damals wusste die Mitte-Kandidatin noch nicht, dass es am 19. November zwischen ihr und dem SVP-Vertreter zum Duell um den zweiten Ständeratssitz kommt.

Seit gut einer Woche steht fest, dass die beiden zur Ausmarchung antreten – damit hat sich auch der Ton im Wahlkampf verschärft. Giezendanner (41) sprach am SVP-Parteitag von einem «feministischen Orkan», der ihm entgegen wehe: «‹Alle gegen Giezendanner›, das war das neue Motto.» Er habe in den Spiegel schauen müssen, «ob dort ein alter, grauer, weisser Mann steht, der eine junge, dynamische Frau auf dem Weg nach Bern verhindern will.»

«Dümmliche Schenkelklopferei hätte ich ihm nicht zugetraut»

Bei der 65-jährigen Marianne Binder kommt der Spruch des SVP-Vertreters gar nicht gut an: «Ich halte Benjamin Giezendanner eigentlich für einen anständigen Menschen. Die dümmliche Schenkelklopferei über mein Aussehen, mein Alter und meine mangelnde Leistungsfähigkeit hätte ich ihm nicht zugetraut», sagt sie gegenüber der AZ.

Sie sei tatsächlich 65, «aber dann soll man mir bitte sagen, inwiefern das meine politische Leistung beeinträchtigt», kritisiert Binder. Sie müsse den Vergleich mit ihrem jüngeren Kollegen in den letzten vier Jahren in Bern nicht scheuen, sagt die Mitte-Frau. «Dies gerade auch, was die Anliegen junger Familien betrifft», meint Binder ihrerseits und verweist damit auf die Lebenssituation des dreifachen Vaters Giezendanner.

Binder: «Alter als Qualifikation ist diskriminierend»

Binder sagt weiter: «Dass das Alter bei mir eine Qualifikation ist, mir quasi das passive Wahlrecht abgesprochen wird, ist schlicht diskriminierend für mich als Frau und meine Generation.» Zudem müsse man Alter und Amtsdauer unterscheiden, erläutert Binder, die wie Giezendanner seit vier Jahren im Nationalrat politisiert. Sie sieht einen «Altersvorteil» bei sich: «Ich habe Zeit, für das anspruchsvolle Mandat mein Bestes zu geben.»

Ihr Lebensweg sei immer durch die Vereinbarung von Familien-und Erwerbsarbeit geprägt gewesen, führt Marianne Binder aus. «Aber mein Fokus lag, als ich meine beiden Kinder bekam, klar auf ihnen – das kann man mir ja kaum vorhalten.» Binder ist eine politische Spätstarterin: «Als ich 47 war, bin ich beruflich voll wieder eingestiegen, dann wurde ich Grossrätin», sagt die Badenerin.

Giezendanner: «Alter allein spielt für mich keine Rolle»

Benjamin Giezendanner entgegnet, er habe seine Aussage nicht auf Binder, sondern auf die jüngeren Gabriela Suter (SP, 50), Irène Kälin (Grüne, 36), Barbara Portmann (GLP, 48) und Lilian Studer (EVP, 45) bezogen, die alle zugunsten der Mitte-Vertreterin verzichten. Als der SVP-Kandidat den Spruch machte, war allerdings klar, dass nun Binder seine Gegnerin ist, deshalb versteht Giezendanner, dass sie den Spruch auf sich bezieht.

Er hält fest: «Das Alter einer Person allein spielt für mich keine Rolle in der Politik.» Marianne Binder sei aufgrund ihrer gesundheitlichen, geistigen und körperlichen Verfassung sicher in der Lage, als Ständerätin zu wirken. «Ich schätze ihre Energie und ihr Engagement, andererseits muss die Frage erlaubt sein, ob sie zwei Amtsperioden, also bis 73, im Stöckli machen würde», sagt Giezendanner.

Maximilian Reimann kandierte mit 65 für den Ständerat

Bei der SVP war die Altersfrage schon vor sechs Jahren ein Thema. Damals beschloss der Kantonalvorstand eine Art Altersguillotine: Wer 63 Jahre oder älter ist oder 16 Amtsjahre aufweist, muss für eine Nomination am Parteitag zwei Drittel der Stimmen erhalten. Prompt traten bei den Nationalratswahlen 2019 Maximilian Reimann (Jahrgang 1942), Sylvia Flückiger (1952), Luzi Stamm (1952) und Ulrich Giezendanner (1953) nicht mehr an.

Maximilian Reimann in seinem Garten in Gipf-Oberfrick – der heute 81-Jährige kandidierte 2007 im Alter von 65 Jahren für den Ständerat.
Bild: Fabio Baranzini

Für die Ständeratskandidaten gibt es bei der SVP aber weder Alterslimite noch Amtszeitbeschränkung. Maximilian Reimann war 65 und hatte bereits acht Jahre im Nationalrat und zwölf Jahre im Ständerat hinter sich, als er 2007 erneut für das Stöckli antrat und gewählt wurde. 2011 wechselte Reimann (damals 69), zurück in den Nationalrat, wo er weitere acht Jahre blieb.

FDP-Ständeräte wurden im Amt pensioniert

Auch bei der FDP war das Alter von Kandidierenden für den Ständerat bisher kein Thema: Als Philipp Müller 2015 kandidierte und gewählt wurde, war er 63-jährig. Der Unternehmer erreichte nach zwei Jahren im Stöckli das Pensionsalter und trat 2019 nicht mehr an. Genau gleich sieht es bei Christine Egerszegi aus: Die Freisinnige war bei ihrer zweiten Kandidatur 2011 ebenfalls 63-jährig – am Ende ihrer Ständeratskarriere war sie 67.

Christine Egerszegi und Philipp Müller waren beide 63-jährig, als sie 2011 und 2015 in den Ständerat gewählt wurden.
Bild: Alex Spichale

Egerszegi wird am 19. November Binder wählen, aus ihrer Sicht spricht bei Giezendanner die berufliche Belastung gegen einen Sitz im Stöckli. Die Arbeit im Ständerat werde oft unterschätzt, ein Unternehmer könne kaum die Zeit dafür aufbringen, sagte sie in der AZ. Mit Einsitz in vier Kommissionen sei man in der Regel zwei Tage pro Woche in Bern. Führe jemand noch ein Geschäft, habe dies schnell Priorität, mahnte Egerszegi.

FDP: Giezendanner muss sich Zeit nehmen für sein Amt

Die alt Ständerätin kritisierte auch die Unterstützung ihrer Partei, der FDP Aargau, für Giezendanner. Die freisinnige Basis stellte sich am Parteitag letzte Woche jedoch hinter den Beschluss der Geschäftsleitung. Präsidentin Sabina Freiermuth sagte, ihre Partei unterstütze Giezendanner, habe aber klare Erwartungen an ihn. Sollte er gewählt werden, hätte der SVPler als Ständerat den Interessen des Kantons höchste Priorität beizumessen.

FDP-Aargau-Präsidentin Sabina Freiermuth formuliert am Parteitag klare Erwartungen an den SVP-Ständeratskandidaten Benjamin Giezendanner.
Bild: Valentin Hehli

«Das heisst auch, dass er seine Ressourcen so einteilen muss, dass er genügend Zeit hat für dieses Amt», betonte Freiermuth. Die Freisinnigen erwarten laut ihrer Präsidentin von einem Ständerat, dass dieser sich seriös auf die Geschäfte vorbereitet und dossierfest ist. Giezendanner müsse sein berufliches Engagement so organisieren, dass er dies sicherstellen könne, forderte sie.

SVP-Ständerat Knecht verzichtete wegen beruflicher Belastung

Bei der FDP trat mit Philipp Müller im Jahr 2019 ein Unternehmer nach vier Jahren im Ständerat nicht mehr – bei der SVP tat Hansjörg Knecht, ebenfalls Patron einer Firma, dieses Jahr dasselbe. Er begründete den Verzicht auf eine weitere Kandidatur im Sommer 2022 mit seiner beruflichen Belastung.

Hansjörg Knecht, hier in seiner Mühle in Leibstadt, trat nach vier Jahren nicht zur Wiederwahl als Ständerat an.
Bild: Severin Bigler

Ein Engagement im Stöckli sei für einen Unternehmer mit eigener Firma nur möglich, «wenn die Familie zu 100 Prozent hinter einem steht und man bereit ist, auf vieles zu verzichten». Um die Aufgaben als Politiker und Unternehmer gleichermassen gut zu erfüllen, habe er fast die ganze Freizeit geopfert.

Giezendanner: «Habe mich für den Ständerat organisiert»

Benjamin Giezendanner sagt, er sei erstaunt, dass Egerszegi offenbar seine Firma durchleuchtet und herausgefunden habe, dass seine berufliche Belastung für einen Sitz im Ständerat zu gross sei. «Ich habe mich so organisiert, dass dieses Engagement möglich ist», versichert der Transportunternehmer. Gerade diese Kombination aus beruflicher Tätigkeit und politischem Engagement sei eine Stärke des Milizsystems.

Giezendanner merkt an, seine Gegenkandidatin Marianne Binder sei praktisch eine Berufspolitikerin, weil sie neben ihrem Mandat in Bern nicht erwerbstätig sei. «Wenn man mit der angeblich fehlenden Zeit von Unternehmern argumentiert, müsste ich mich diskriminiert fühlen», hält er fest. Und er ergänzt, im Fall einer Wahl am 19. November würde er auch in vier Jahren nochmals als Ständerat antreten.