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Rafael Nadal und Andy Murray bedrohen Stan Wawrinkas letzten grossen Traum

Als er 2021 nach einer Operation am linken Fuss entschied, nicht aufzuhören, setzte sich Stan Wawrinka zwei Ziele. Doch nun droht einer der letzten grossen Träume des Romands zu platzen.

Mehrere Operationen an Knie und Fuss hat Stan Wawrinka hinter sich, dazu immer wieder muskuläre Probleme. Einmal musste er fast ein Jahr pausieren. Vor Jahresfrist sagte er: «Ich weiss, dass ich nicht mehr auf dem Level von früher spiele und das vermutlich auch nie mehr tun werde.» Auf dem Level, das ihn zum dreifachen Grand-Slam-Sieger gemacht hat.

Er könne das akzeptieren, sagt Wawrinka, denn er spiele immer noch auf einem sehr guten Niveau. Er lebe nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Und vielleicht auch ein bisschen in der Zukunft, weil die Vorstellung, die Vision von dem, was noch sein kann, geholfen hat, sich durch die wenigen heiteren Tage der Verzweiflung zu navigieren.

Als er sich im Juni 2021 erneut am linken Fuss operieren lassen musste und danach fast ein ganzes Jahr ausfiel, stellte er sich nie die Frage, weshalb er sich das noch antut. Weil er wusste: «Ich liebe, was ich tue.» Und weil er fürchtet, was nach dem Karrierenende kommt. Schon 2017 sagte er: «Es macht mir Angst. Denn am Tag, an dem du aufhörst, kommt vermutlich das Loch, weil man diese Emotionen nur im Sport erleben kann.»

Turniersieg und Olympia-Teilnahme als Ziele

Also stellte sich Wawrinka nicht die Frage, ob er zurückkommen will, sondern was er noch erreichen will. Es sind zwei Dinge: Er will noch einmal ein Turnier gewinnen, wenn auch nur ein kleines. 2017 in Genf holte er letztmals eine Trophäe. Und er will noch einmal Olympische Spiele bestreiten. Diesen Sommer hat er wohl seine letzte Chance.


2004 in Athen verpasste Wawrinka die Qualifikation, 2008 in Peking verlor er im Einzel in der zweiten Runde und gewann mit Roger Federer Gold im Doppel. 2012 in London wurde ihm die Ehre zuteil, die Schweizer Delegation als Fahnenträger anzuführen. Sportlich war der Ausflug nicht von Erfolg gekrönt. Wawrinka unterlag in der ersten Runde dem späteren Olympiasieger Andy Murray. 2016 in Rio de Janeiro musste er wegen einer Rückenverletzung verzichten, 2021 in Tokio war es der linke Fuss.

2024 wird in Paris gespielt, auf der Anlage der French Open, die Wawrinka so viel bedeuten. Weil er das Turnier schon als Kind mitverfolgte und weil er 2003 dort als Junior gewann. Dort für die Schweiz anzutreten, ist einer seiner letzten grossen Träume. Es wäre ein Kreis, der sich schliesst.

2008 gewannen Federer und Wawrinka in Peking Gold im Doppel.
Bild: Keystone

Doch ob Wawrinka die Qualifikation überhaupt schafft, ist fraglich. Die Hürde: Am 6. Juni muss er in der Weltrangliste im 56. Rang klassiert sein. Vor den Australian Open in Melbourne erschien er just im 56. Rang.

Russen, Nadal und Murray als Probleme

Jede Nation darf maximal sechs Athletinnen und Athleten pro Geschlecht nominieren. Pro Wettbewerb (Einzel, Doppel, gemischtes Doppel) dürfen maximal vier Spielerinnen und Spieler teilnehmen. Stand jetzt sind davon nur zwei Länder betroffen: die USA und Russland (unter neutraler Flagge).

Wie in jeder Sportart gibt es auch im Tennis bei der Verteilung der IOC-Quotenplätze Schlupflöcher, um besonders verdienstvollen Athletinnen und Athleten die Teilnahme zu ermöglichen. Im Tennis gehen bei Bedarf zwei Plätze an vormalige Olympia- und Grand-Slam-Sieger im Einzel, sofern diese am Stichtag Mitte Juni unter den ersten 400 der Welt stehen.

Einzel-Olympiasieger 2008 in Peking: Rafael Nadal.
Bild: Keystone

Stan Wawrinka ist Olympiasieger im Doppel, er hat drei Grand-Slam-Turniere gewonnen, besiegte in den Finals immer die aktuelle Nummer 1 der Welt: 2014 in Melbourne Rafael Nadal, 2015 in Paris und 2016 in New York Novak Djokovic. Er war die Nummer 3 der Welt, gewann 16 Turniere.

Doch all das könnte zu wenig sein. Denn zwei andere Männer müssen ihre Teilnahme in Paris womöglich ebenfalls durch die Hintertür erwirken. Rafael Nadal, derzeit ATP 446, und Andy Murray, derzeit ATP 44. Nadal hat 22 Grand-Slam-Turniere gewonnen, Murray deren 3. Und beide sind Olympiasieger im Einzel: Nadal triumphierte 2008 in Peking, Murray gewann sowohl 2012 in London als auch 2016 in Rio de Janeiro Gold.

Erfüllen mehr als zwei Spieler die Kriterien, entscheidet die Anzahl Titel. Auch hier hat Wawrinka mit seinen 16 Turniersiegen das Nachsehen gegen Nadal (92) und Murray (46). Noch bleiben Wawrinka knapp fünf Monate, um sich über die Weltrangliste für die Olympischen Spiele zu qualifizieren.

Gewann sowohl 2012 wie 2016 Gold im Olympia-Einzel: Andy Murray.
Bild: Keystone

Tennis als Schweizer Medaillen-Garant

Sollte das misslingen, droht der Schweiz der grosse Olympia-Kater. Denn neben Wawrinka stehen mit dem derzeit verletzten Dominic Stricker (ATP 88) und Viktorija Golubic (WTA 85) nur zwei weitere Schweizerinnen und Schweizer in den Top 100, würden sich aber derzeit nicht qualifizieren. Und Olympiasiegerin Belinda Bencic fehlt wegen ihrer Schwangerschaft.

Belinda Bencic holte 2021 in Tokio Gold im Einzel und Silber im Doppel.
Bild: Peter Klaunzer / Keystone

Bei den letzten vier Olympischen Spielen gab es für die Schweiz im Tennis immer mindestens eine Medaille zu bejubeln: 2008 durch Wawrinka und Federer Gold im Doppel, 2012 Einzel-Silber für Federer, 2016 Silber im Doppel durch Martina Hingis und Timea Bacsinszky und 2021 Gold im Einzel durch Belinda Bencic und Silber im Doppel durch Bencic und Viktorija Golubic. Zudem sorgte Marc Rosset 1992 mit Gold im Einzel für die einzige Schweizer Medaille in Barcelona. Gut möglich, dass in Paris nicht einmal eine Schweizerin oder ein Schweizer antreten kann.

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