Sie sind hier: Home > Ukraine > Solowjows irre Propagandashow – doch was steckt dahinter?

Solowjows irre Propagandashow – doch was steckt dahinter?

Der prominente Kreml-Propagandist Wladimir Solowjow sagt in seiner Talkshow «Der Abend» den Einfall der russischen Armee in der Schweiz voraus. Wer sich in die Untiefen seiner irrwitzigen Thesen begibt, erlebt gleich in mehrfacher Hinsicht sein blaues Wunder.

Ob ein Atomangriff auf das Begräbnis der Queen, die Existenz eines speziellen Zoos für Sodomiten in Dänemark oder jetzt eben ein Feldzug in die Schweiz: In Wladimir Solowjows Talkrunde «Der Abend» werden derart viele aberwitzige Forderungen und Behauptungen aufgestellt, dass sich aus dem ganzen Wahnsinn jede beliebige Schlagzeile produzieren liesse.

Westliche Beobachter wie die US-Journalistin Julia Davies haben es auf eine einfache Formel gebracht, Der russische Staatssender Rossija 1 ist seit dem Überfall auf die Ukraine eine einzige durchgeknallte Propagandashow. Deren wichtigste Erzählstränge sind: Krieg und die Eroberung fremder Länder sind etwas Gutes, alles Nichtorthodoxe muss vernichtet werden, und es liegt am heiligen Russland und Präsident Wladimir Putin, diese antidemokratische Weltordnung durchzusetzen.

Insofern muss auch Solowjows Monolog vom Mittwoch keinerlei besondere Beachtung geschenkt werden, in dem er einen neuen Marsch der russischen Armee durch die Schweiz wie einst 1799 voraussagt.

«Lasst die Schweinhunde erzittern. Lasst uns nachschauen, wie es Suworows Denkmal geht. Lasst uns nachschauen, ob man sich noch daran erinnert, wie in Mailand die Hände russischer Soldaten geküsst wurden», wettert der TV-Moderator in seiner Anspielung auf General Suworows Alpenüberquerung zu Napoleons Zeiten.

Alles wie gehabt also. Viel spannender sind jene raren Momente, in denen Solowjow von seinen handverlesenen Talkgästen, die zwischen seinen minutenlangen Ausschweifungen auch mal was sagen dürfen, Widerspruch erfährt. Dann werden Einwände wie «Aber der Westen hat auch Atomwaffen und könnte zurückschlagen» durch Exkurse über die Ehrenhaftigkeit des Heldentods für Russland beiseite gewischt.

Ebenfalls für Aufsehen sorgte eine Sendung Mitte Februar, in der Solowjow Stellung nahm zu einem Twitter-Scherz, sein ältester Sohn Daniil (21) betreibe in London eine Modelkarriere, während Vater Wladimir all jene jungen Russen öffentlich verteufle, die sich vor dem Kriegsdienst in der Ukraine drückten.

Solowjow tappte in die Falle und reagierte in gewohnter Art mit einer fast achtminütigen Tirade, in welcher er – was für eine Ironie – «rechtliche Schritte» gegen die Urheber dieser Nachricht androhte. Sein Sohn habe zwar mit Erfolg in London studiert, sei aber längst wieder zurück in Moskau, «sehr gläubig» und drehe jetzt Dokumentarfilme über die russisch-orthodoxe Kirche.

Furiose Fans einerseits, furiose Gegner anderseits

Selbst einige andere Kreml-Propagandisten konnte der TV-Moderator dadurch nicht beschwichtigen. Denn der Widerspruch ist zu offensichtlich, dass er seine beiden ältesten Söhne trotzdem nicht an die Front schicken will.

In entsprechenden russischen Telegram-Gruppen wird Wladimir Solowjow deshalb als Heuchler und blosser Schausteller kritisiert. Er schiesse einzig deshalb so vehement auf den Westen, weil dieser den 59-jährigen Rubel-Milliardär sanktioniere und den Zutritt zu seinen beiden Villen in Italien, davon eine am Comer See, verweigere.

Dies deckt sich mit der Aussage des Moskauers Sergej in einer ZDF-Strassenumfrage: «Alles krasse Lügen. Ich weiss nicht, ob er selbst daran glaubt. Es ist schwer Solowjow überhaupt einen Journalisten zu nennen», findet der Mittvierziger.

Da stellt sich die Frage, wozu die fast täglich gesendete Groteske auf Rossija 1 überhaupt dienlich ist, wenn selbst einfachste Faktenchecks oder elementarste Logik den gesendeten Irrsinn entlarven. Die junge Moskauerin Evdokia sagt in derselben Umfrage, dass sich Solowjow einzig an die älteren Generationen richte, denn junge Russen würden sich ohnehin nur noch über die sozialen Medien informieren.

Differenzierter urteilt Inna Hartwich, die Korrespondentin von CH Media in Moskau: «Solowjow spaltet. Er hat furiose Fans, er hat aber auch genauso furiose Gegner. Manche finden ihn zwar übertrieben, aber denken, dass in dem, was er krakeelt, etwas Wahres drin sei.» Die gelte insbesondere für das gängige Narrativ, dass Russland nur dann respektiert werde, wenn der Westen vor seiner Stärke erzittere.

Auch erkennen laut Hartwich viele russische Zuschauerinnen und Zuschauer die Absurdität von Solowjows Thesen gar nicht mehr, da inzwischen selbst die regulären Nachrichtensendungen ein aggressives Kriegsvokabular pflegen. Je 1,5 Millionen Abonnenten für seinen Youtube- und Telegram-Kanal zeugen von dieser treuen Gefolgschaft. Ebenso kann er sich der ungebrochenen Unterstützung von Wladimir Putin sicher sein, der Solowjow als «wahren Patrioten» mehrfach ausgezeichnet hat.

Geht es jedoch um die Frage, ob auch westliche Medien den Provokationen der russischen Staatssender aufsitzen sollten, hat die kanadische Autorin Katherine Brodsky ein bestechende Antwort: «Wenn mehr Menschen das russische Staatsfernsehen schauten, würden sie verstehen, weshalb die Ukrainer ihren Kampf fortsetzen …»